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Panorama: Kampf um die Klasse

Weil es zu wenig Schüler gibt, wurden rund 130 Schulen geschlossen — und es geht noch weiter

Sie trugen die Namen großer Dichter, Widerstandskämpfer und Forscher, sie brachten zehntausenden Kindern fast alles bei, was man zum Leben so braucht, sie waren der Mittelpunkt ihres Kiezes, aber heute gibt es sie nicht mehr: Seit der Wende wurden in Berlin rund 130 Schulen geschlossen. Fast alle lagen Ostteil.

Jetzt ist das Ende des Schulsterbens absehbar, weil sich die Geburtenrate auf dem niedrigen Nachwende-Niveau von 320000 Schülern eingependelt hat. Mitte der 90er Jahre waren es noch 400000. Dennoch droht auch in den kommenden zwei Jahren über zwanzig Schulen in der Stadt die Schließung (siehe nebenstehenden Artikel).

Nicht jede Schulschließung ist eine Katastrophe. Viele Standorte wurden ohne Trauer und Empörung aufgegeben, weil sie bei den Eltern sowieso nicht sonderlich beliebt waren. Ihre Namen sind längst vergessen. Proteste gab es dann, wenn das Bezirksamt beliebte und gute Schulen schließen wollte, nur weil ihre Sanierung teurer gekommen wäre als die der unbeliebten Nachbarschule. Dann hängten Eltern und Lehrer Plakate an die Fassaden und schrieben Protestbriefe. Manche hatten Erfolg und konnten ihre Schule retten wie etwa die Papageno-Grundschule in Mitte. Aber es gab auch Niederlagen wie die des Erich-Fried-Gymnasiums, das trotz großer Gegenwehr und hoher schulischer Qualität abgewickelt wurde, weil das Bezirksamt andere Vorlieben hatte.

Je länger der Geburtenrückgang anhält, desto häufiger müssen auch gute Schulen geschlossen werden. Oft sind es Häuser, für die es keinen Ersatz gibt weit und breit, Schulen, die ein besonderes Profil haben und ihren Kiez in der sozialen Balance halten, weil zum Beispiel Eltern mit kleinen Kindern gerade wegen ihr dort wohnen bleiben. An diesem Punkt ist jetzt Lichtenberg angekommen: Am 22. Februar soll im Bezirksamt die Entscheidung fallen, ob das traditionsreiche Immanuel-Kant-Gymnasium in Rummelsburg aufgegeben wird oder das kleinere Hans-und-Hilde-Coppi-Gymnasium in Karlshorst mit seiner familiären Atmosphäre. Nur für eine der beiden Schulen reicht der Schülernachwuchs.

Wie schwer die Wahl ist, zeigt der Kompromiss, der jetzt auf dem Tisch liegt: Beide Gymnasien sollen fusionieren und zwar am geräumigeren Standort des Kant-Gymnasiums. Das aber soll seinen Namen hergeben, den es seit 90 Jahren trägt. Ein neuer Name soll den gemeinsamen Anfang symbolisieren und in den nächsten Jahren besiegeln.

Die Kantianer waren damit einverstanden, ihren Namen aufzugeben – aus Dankbarkeit dafür, dass sie ihr Haus behalten dürfen. Aber Schüler, Lehrer und Eltern des Coppi-Gymnasiums kämpfen erbittert gegen den Umzug. Die Coppi-Anhänger warnen davor, dass mit ihrer Schule das einzige Gymnasium in Karlshorst verloren gehen würde - ein wichtiger Anlaufpunkt für die vielen jungen Familien, die zuziehen. Zudem verweisen sie auf ihre höheren Anmeldezahlen. Außerdem gebe es auf dem Schulhof des Kant-Gymnasiums Drogen und eine rechte Szene im Umfeld, sagen sie. Auch von der stark befahrenen Straße vor der Schule und den „hässlichen Graffiti“, die das Haus überziehen, ist die Rede.

Schaut man sich im und vor dem Kant-Gymnasium um, stellt man allerdings fest, dass die Straße nicht überdurchschnittlich befahren ist und in der Schule eine entspannte Atmosphäre herrscht. Die Graffiti sind zugegebenerweise Geschmacksache, aber dominieren nicht den Eindruck. Die Schulleiterin sagt: „Wir haben auch nicht mehr Drogen als andere Schulen“. Sie gibt zu, dass die Schule in einem sozialen Brennpunkt liegt. Aber sie gibt auch zu bedenken, dass eine eher „linke“ Schülerschaft gut tue in einem Kiez, in dem sich eine rechte Szene angesiedelt habe.

Eine Lösung des Problems ist nicht einfach. Es gäbe zwar auch noch das Georg-Forster-Gymnasium, das man an der Stelle eines der beiden anderen Standorte aufgeben könnte. Aber die Georg-Forster-Schule wurde bereits mit einem anderen Gymnasium fusioniert und muss sich davon erst erholen. Außerdem hat es im Unterschied zu den beiden anderen einen mathematisch-naturwissenschaftlichen Schwerpunkt.

Vergangenen Donnerstag haben Eltern, Lehrer und Schüler der Coppi-Schule mit einer Lichterkette gegen die Schließungspläne demonstriert. Spätestens seitdem ist auch Volksbildungsstadtrat Michael Räßler (PDS) klar, wie brisant die Lage ist. Man werde sich das Ganze „noch mal überlegen“, sagt er.

Wie sich der Bezirk auch entscheiden wird, es geht in jedem Fall eine Einrichtung verloren, die wichtig ist für den Bezirk, für die Bildung, für die soziale Balance. Und es geht wieder ein Stück Würdigung verloren: die der Widerstandskämpfer Hans und Hilde Coppi. Hans Coppi wurde 1942 in Plötzensee hingerichtet. Ein zweites Kant-Gymnasium gibt es immerhin in Spandau.

Auch Van Gogh, Archimedes, Eosander, Uhland, Schlüter, Stauffenberg, Fridjof Nansen, Cervantes, Marco Polo, Ludwig Erhard, Riemeister, Fontane und viele weitere prominente Namen wanderten von ehrführchtigen Schulportalen auf die Schulschließungsliste der Bildungsverwaltung. Aber den anderen neuen Ländern ging es nicht besser: Sie verloren fast 2000 Schulen. Brandenburg musste sogar Realschulen und Gesamtschulen zu „Oberschulen“ verschmelzen, weil die wenigen Kinder nicht für alle Schultypen reichen.

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