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Köpi

© Mike Wolff

Köpi: Schwarzer Wohnblock

Barrikaden, Blaulicht, Pflastersteine – vor der „Köpi“ haben fast alle Angst. Warum eigentlich? Kommt doch mal vorbei, sagten die jungen Bewohner. Wir schickten unseren mutigsten Reporter los.

„ACHTUNG! Sie verlassen jetzt den kapitalistischen Sektor!“

Die Warnung hängt gleich am Eingang, am Gittertor zur „Köpi“. Daneben wuchern Pflanzen, hinten ist das alte Haus zu sehen, bunte Plakate. Irgendwie: Ja, spannend.

Im Hof steht Katta, 23 Jahre alt, sie streckt die Hand aus und sagt: „Hey, hallo, komm’ rein!“

Katta trägt schwarze Klamotten, sie hat schwarze Tattoos, neben ihr hopst ein Mischlingshund herum, auch der ist schwarz. Wir laufen vorbei an alten Wohnwagen, Sperrmüll, Fahrrädern. Das Treppenhaus ist dunkel, aus den Fenstern hängen Transparente, die Wände sind mit Graffiti übersät.

Na, dann: Herzlich willkommen!

Die „Köpi“: Das ist eine geheimnisvolle Welt mitten in Berlin. Einst hatte fast die ganze Stadt Angst vor dem Haus und all den Autonomen in ihren Kapuzenpullovern. Weit über die Stadtgrenzen hinaus war das Gebäude in der Köpenicker Straße 137 als Hausbesetzerzentrum bekannt. Von überall her reisten Sympathisanten an, noch vor zehn Jahren wurden hier – wo Kreuzberg auf Mitte trifft – Polizeiautos von Vermummten mit Steinen beworfen, seitdem steht die „Köpi“ für Barrikaden, Blaulicht, Chaoten. Und auch in letzter Zeit hat es Brandanschläge gegeben, sagt die Polizei, Wasserwerfer mussten bei Demos mitfahren, es gab immer wieder lautstarken Protest gegen eine drohende Räumung der „Köpi“.

Katta hat genau hier ihre Bude, im zweiten Stock. Seit drei Jahren wohnt sie quasi in der größten WG der Stadt. Platz ist für 50 Leute und zehn Hunde. Arbeiter, Arbeitslose, Studenten, Schüler, Eltern und Kinder teilen sich ein knappes Dutzend Wohnungen auf vier Etagen.

In Kattas Zimmer liegt der neue „Harry Potter“, vor dem Fenster steht eine dieser typischen Grünpflanzen von Ikea, die es in jeder WG gibt. „Wieso auch nicht bei uns?“, fragt Katta. Sie spielt an ihrem Lippenpiercing, zieht an einer Zigarette. Katta teilt sich ihre Wohnung mit sechs Jungen und Mädchen. Die Küche ist traumhaft, riesig groß, mit langem Esstisch, unbegrenzten Vorräten an Zwiebeln und drei Kühlschränken. Einer ist für Fleischesser, einer für Vegetarier, und einer für ganz konsequente Tierfreunde: Im Veganer-Kühlschrank steht nicht mal eine Packung Milch.

Katta kommt aus Hessen, in Berlin hat sie zunächst in einer „völlig normalen“ WG gelebt. „Da war es aber irgendwie unsozial.“ Außerdem findet sie Hausverwaltungen überflüssig: Erst zahle man jemandem Geld, nur weil ihm ein Haus gehört, dann bezahle der wieder jemanden anderen, um das Haus in Schuss zu halten. „Verschwenderisch!“, sagt sie.

Vor ihrem Studium – Deutsch auf Lehramt – hat sie eine Lehre zur Tischlerin gemacht, eine Wohnung in Schuss halten könne sie selber. Ihr Zimmer hat Katta blau gestrichen, den Holzfußboden lackiert, und eine Art begehbaren Kleiderschrank gezimmert. Leider kann es in dem unsanierten Haus ziemlich kalt werden. „Im ersten Winter habe ich mir den Arsch abgefroren“, sagt sie. Da hieß es: Kohlen schleppen, Ofen in Gang kriegen, eine Zentralheizung ist seit der Hausbesetzung vor 17 Jahren nie eingebaut worden.

Doch auch ohne Heizung ist in der „Köpi“ was los: Konzerte, Grillabende und Partys wechseln ab. Auch wenn ein DIN-A4-großer Notfallplan in der Küche vor Polizeieinsätzen warnt, Straßenschlachten vor der Tür gibt es nicht mehr. Dafür viel Zwischenmenschliches. „Man kriegt schnell mit, wer bei welcher Party wen geküsst hat“, sagt Katta und schmunzelt. Die „Köpi“ ist wie ein nettes Dorf, Klatsch und Tratsch gehören dazu. Nur fotografieren will sich keiner lassen, passiert auch nicht alle Tage, dass ein Reporter so durchs Haus spazieren darf.

Einmal die Woche versammeln sich die Bewohner zum Plenum – die meisten Entscheidungen werden schließlich gemeinsam getroffen. „Ein anonymes Mietshaus ist nicht mein Ding“, sagt Katta, als sie unter ihrem Hochbett auf der Lesecouch sitzt. Das Licht der Stehlampe ist milde, das Bücherregal aufgeräumt. Irgendwie gemütlich, vor allem, wenn es draußen regnet. Katta stört das nicht, sie muss sowieso eine Hausarbeit schreiben.

Auch sonst plagt man sich mit den üblichen WG-Sorgen. Die Stromrechnung muss beglichen werden, die Gebühren für BSR, Internet und Wasser auch. Rund 60 Euro Nebenkosten fallen für jeden monatlich an. Miete aber zahlt keiner, es gebe niemanden, der welche verlange, sagen die Bewohner. Auch der neue Eigentümer, der das Haus im Mai ersteigert hatte, habe sich wegen der Miete noch nicht gemeldet. Katta kann sich ihr kostengünstiges Leben von ihren Eltern finanzieren lassen. Die sind Akademiker.

Ihr Nachbar Finn – schwere Stiefel, Iro, Nietenarmband – sieht das anders. „Ich will niemandem auf der Tasche liegen“, sagt der kräftige Punk. Der 20-Jährige hat in Bremen eine Ausbildung zum Bootsbauer gemacht, seit zwei Monaten wohnt er in Berlin. Arbeitslosengeld will Finn nicht beantragen. Ein Leben als „freischaffender Künstler“ läge ihm näher. Er denkt dabei an Skulpturen aus Stahl. „Schweißen kann ich ja.“

Zu seiner neuen WG kam Finn ganz unverhofft. Auf einer Demo hat er Leute aus der „Köpi“ getroffen – und ist mit einem Kumpel in eine freie Zwei-Zimmer-Wohnung im dritten Stock eingezogen.

Derweil geht Kattas Mitbewohnerin nach unten, auch sie: gepierct, schwarzer Rock, dazu Rastalocken. Sie bringt den Müll raus. Putzdienst? Nö, sagt Katta, einen Putzplan brauche man hier nicht. Aber wer lebt schon gern im Müll? Auch der Abwasch wird regelmäßig gemacht.

Der Regen hört nicht auf, Katta bleibt zu Hause, die vierte Staffel „Sex and the City“ liegt auf dem Tisch. Ein ganz normaler Abend in einer fast normalen WG.

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