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Panorama: Lost in Köpenick

Julius ist in den Osten gefahren, um einen echten Jugendklub zu erleben. Bericht einer Expedition

Eigentlich hatte ich Leute erwartet, die wie meine Freunde und ich aussehen. Vielleicht sogar welche mit Dreads oder längeren Haaren. Dem war nicht so. Die, die an diesem Abend vor dem „alleins“-Klub in Köpenick standen, sahen schockierend anders aus als wir. Sie trugen Reebok-Schuhe und Nike-Socken. In den Socken steckten gelbe oder babyblaue Kordhosen oder enge blaue Jeans, die an den Oberschenkeln und am Hintern vorgebleicht waren. In diesen Hosen steckten Sweatshirts. Über den Pullovern trugen die Wartenden Picaldi- oder Cordon-Jacken, um den Hals Silberkettchen, im Mundwinkel eine Malboro light, auf dem Kopf kurze, extrem kurze Haare. Die Haare konnte man aber nur sehen, weil die Truckercaps so auf den Hinterköpfen lagen, dass man sie wegpusten könnte. Die Truckercaps fielen wahrscheinlich nur aus dem Grund nicht runter, weil sie an Tonnen von Haargel festpappten.

Wie genau kommt man eigentlich nach Köpenick? Andi, Martin, Benni und ich sind Wessis. Man fährt als Wessi – ich komme aus Charlottenburg – nicht gerade jeden Tag nach Köpenick. Martin befragte das Internet und fand heraus, dass wir durch ganz Berlin mussten. Zum S-Bahnhof Köpenick haben wir immerhin gefunden. Dort haben wir zehn Minuten nach dem richtigen Weg gesucht, bevor sich dieses Gespräch ergab:

Martin: „So, jetzt sind wir hier am S-Bahnhof. Und wie geht’s jetzt weiter?“

Ich: „Woher soll ich das wissen? Du warst doch im Internet und hast gesagt, du weißt, wie man zum Klub kommt.“

Martin: „Warum sollte ich wissen, wie man da hinkommt. Du wolltest zu dem Klub. Also müsstest du auch wissen, wie man da hinkommt.“

Ich: „Na klasse.“

Andi: „Da sind bestimmt nur Trottel. Gehen wir lieber in den Havanna-Club, da wissen wir, wo er ist.“

Benni: „Wir können es uns doch wenigstens mal anschauen. Gehen können wir immer noch.“

Martin: „Wir müssen mit dem 269er zum Bellevue-Park.“

Ich: „Warum hast du das nicht gleich gesagt?“

So viel zum Orientierungsvermögen und zur Weltläufigkeit von Wessis. Schon nach einer Stunde Suchen hatten wir den „alleins“-Klub gefunden.

An der Tür hing ein Schild: „Jamaram Reggae Style 3 Euronen 1-Tritt“. Euronen? Ich dachte an einen Bekannten aus Brandenburg, der sagt auch immer „Euronen“. Oder „alles im grünen Bereich“, „auf Augenhöhe“ und „juti“.

Zurück zu der Band Jamaram, die also um neun Uhr ein Konzert geben sollte. Als die Bandmitglieder von Jamaram im Klub ankam, war es Viertel nach neun. Das Konzert ging gegen halb elf los. Dafür war die Musik dann aber auch wirklich gut. Nur waren nicht viele da. Die Leute, die vor dem Klub standen, hat wohl das Plakat abgeschreckt. Reggae hört eben doch nicht jeder. Zum Glück.

Den „alleins“-Klub gibt es seit 1976 – das war auch das Jahr, in dem ein Anschlag auf Bob Marley verübt wurde. Außerdem stand die Mauer noch, und der „alleins“-Klub hieß Allende-Klub. Praktisch, denn das Viertel hieß Allendeviertel. Ich habe nachgeschlagen, man lernt so etwas nicht unbedingt in der Schule: Salvador Allende war Anfang der siebziger Jahre chilenischer Staatspräsident. Sozialist. Und 1973 – in dem Jahr veröffentlichte Marley seine Platte „Burnin“ („Get up, stand up“) – wurde Allende im Verlauf eines gewalttätigen Militärputsches getötet. Aus dem Allende-Klub ist dann nach der Wende der „alleins“-Klub geworden. Vor der Wende hat die FDJ hier ihre Jugendpartys gefeiert.

Nach dem Mauerfall hat sich ein Jugendklub mit einer recht großen Freizeitanlage entwickelt. Man kann Skateboard oder BMX fahren, Inlineskaten, Beachvolleyball oder Basketball spielen. Im Club selber finden jetzt regelmäßig Hip-Hop-Veranstaltungen wie PERFEKT SKILLZ statt. Es gibt regelmäßige Rap-Freestylecontests. Oder Human-Beatbox-Workshops. Ein Werbezettel verspricht, dass man dort sprayen lernen kann. Oder seine Lyrics mit bekannten DJs und MCs verbessern kann. Die Frau an der Bar hat erzählt, dass auch „Leberschaden“ hier bekannt geworden ist. Als sie meinen fragenden Blick bemerkt hat, hat sie erklärt, dass Leberschaden eine Band ist.

Ich hab einen von den Hip-Hop-Leuten mit der anfangs beschriebenen Kleidung gefragt, was ihn gerade an diesem Klub anspricht. „Ja, also, die spielen janz jute Mucke hier, meistens zumindest. Heut’ is nich’ so jut, wa“, sagte Kenneth. Nein, wirkliche Reggae-Fans gibt es hier nicht. Dann haben sich Mandy (sie hieß wirklich so) und ihre Freundin zu uns gestellt. Das Gespräch, das wir geführt haben war nicht aufschlussreicher als das mit Kenneth. Mandy also befand, wir seien „so autonom aussehende“ Leute. Viel zu bereden hatten wir mit den hippen, gestylten Mädchen nicht.

Interessanter war schon eher meine Unterhaltung mit dem Drummer von Jamaram. Vielleicht kennt jemand „Die Abschlussklasse“von Pro Sieben. Ein Format, in dem das Abschlussjahr einer fiktiven Abiturklasse gefilmt und dokumentiert wird. Die schauspielerische Leistung erinnert doch sehr an „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, also, sie ist praktisch nicht vorhanden. Eigentlich müsste man verheimlichen, dass man die Sendung gesehen hat. Aber der Schlagzeuger hat dort tatsächlich mitgespielt. Er sagte, dass er in das Casting nur durch Zufall reingerutscht ist. Und dass diese Produktion eher keine Sache sei, an die er sich später noch gerne erinnern würde. Gut an dem Auftritt von Jamaram war nicht nur die Musik, sondern auch die Tatsache, dass wir im „alleins“ nicht mehr die einzigen Wessis waren. Jamaram kommen aus München.

Reggae kann also doch jeder hören und spielen. Jamaram sogar sehr gut. So gut, dass sich die Picaldi-Menschen mit Grausen abwandten. Ist das nicht vielleicht auch besser so?

Julius Wolf

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