zum Hauptinhalt

Panorama: Mama Mzungu aus Steglitz

Bernadette wohnt in Berlin. Sie ist 23, als sie nach Uganda fliegt. Sie sieht Kinder, denen es dreckig geht Sie sagt: Ich will helfen, und sie hilft. Uns hat sie jetzt ihre Geschichte erzählt – und die ihrer Jungs in Afrika

Als Bernadette im Flugzeug nach Uganda sitzt, war sie nie länger im Ausland als zwei, drei Wochen. Im Urlaub eben. Dänemark, Kreta, Wandern in der Schweiz, mit Freunden oder Familie.

Dieses Mal ist sie allein. Sie fliegt nach Kampala, Hauptstadt von Uganda. Bernadette ist Erzieherin und hat sich frei genommen, um ein Praktikum in einer Behindertenschule zu machen. Sie ist damals 23 Jahre alt.

„Es war immer schon mein Traum, nach Afrika zu fahren“, erzählt sie, „aber ich hatte ordentlich Schiss.“

Bernadette sitzt auf dem Sofa in ihrer Wohnung im Bezirk Steglitz, auf ihrem Schoß liegt ein Fotoalbum mit Bildern aus Afrika. „Meine erste Reise nach Uganda ist jetzt eineinhalb Jahre her“, sagt sie und fährt sich durch die langen, blonden Locken. Seitdem war sie schon sieben Mal dort.

Bernadette hat in Uganda ein Kinderheim aufgemacht und 18 Jungs im Alter von acht bis 18 von der Straße geholt.

Sie hat, allein und mit Anfang 20, ein Haus gemietet, sie hat Wachmänner, einen Sozialarbeiter und Lehrer eingestellt. Sie hat den Verein „Hoffnung spenden“ gegründet, treibt Paten und Spendengelder auf. „Ihre Kinder“, wie Bernadette sie nennt, bekommen jetzt Schulunterricht und nehmen keine Drogen mehr. Bernadette hat ihnen ein Zuhause und eine Perspektive gegeben, wahrscheinlich hat sie ihnen nicht weniger als das Leben geschenkt.

Sie, die eigentlich aus einem Dorf in Ostvorpommern stammt, hat in Uganda erlebt, wie Jungen von Polizisten blutig geschlagen werden, wie ein Kind erschossen wird, sie ist mit Gewehren bedroht worden. Woher nimmt sie die Kraft? Und den Mut? Und warum tut sie sich das alles an?

Wenn Bernadette selbst das erklären soll, dann klingt es, als habe sie nicht anders gekonnt. „Ich bin in Kampala gelandet, ausgestiegen und war irgendwie sofort da.“

Bernadette fühlt sich dort von Anfang an zu Hause, und wie ein anderer Mensch. „Hier war ich immer pingelig. In Uganda waren Kakerlaken im Bohneneintopf.“ Doch Bernadette sieht Kinder, die aufgeblähte Hungerbäuche und spindeldürre Arme haben. Wer macht sich da noch über Insekten Gedanken?

Bernadette findet in Kampala, gerade dort, wo die Ärmsten wohnen, viel Leichtigkeit und Lebensfreude. Sie wird überall angesprochen, ausgefragt, zum Essen eingeladen. Wenn sie durch die Straßen läuft, dann rufen die Leute ihr „Mzungu“, Weiße, hinterher. Sie lacht dann und antwortet „Mudugawu“, Schwarze.

Es ist von Anfang an so, als sei sie nach einer langen Reise endlich angekommen. „Das war wie eine Sinnsuche“, sagt Bernadette, sie nimmt einen Schluck Wasser, „ich glaube, dass es bei jedem Menschen einen Grund gibt, wieso er hier ist. Ich habe meinen Platz jetzt gefunden.“

Als sie nach ihrer ersten Uganda-Reise wieder nach Berlin kommt, kann sie sich über nichts freuen: Nicht über ihr frisch gemachtes Bett, nicht über die warme Dusche, nicht über das Essen ohne Kakerlaken. Der Überfluss erschreckt sie. Und jede Ausgabe erscheint ihr sinnlos. Später, nachdem sie noch sehr viel mehr Armut gesehen hat, beginnt Bernadette überall zu sparen. Sie duscht nur noch kurz, geht nicht mehr ins Kino, wenn sie sich für zehn Euro Schuhe kauft, dann rechnet sie aus, wie viel Essen man davon in Uganda kaufen könnte. „Das hat sich jetzt zum Glück aber wieder normalisiert“, sagt sie und muss selbst lachen.

Damals, vor eineinhalb Jahren, hält sie es nicht lange untätig aus in Deutschland. Sie ist unglücklich und fühlt sich nutzlos. „Meinen Job hier kann eigentlich jeder machen, dachte ich damals, aber das in Uganda, das vielleicht nicht.“ Sie fliegt also wieder zurück. Dabei hat sie keinen richtigen Plan, nur den, dass sie Straßenkindern helfen will. Familie und Freunde erklären sie für verrückt. „Aber ich habe einen Dickkopf“, sagt Bernadette. Ohne Ziel streift sie jetzt durch die Straßen von Kampala. Jeder rät einem davon ab, in die Slums zu gehen. Bernadette macht es trotzdem. Vielleicht, weil sie das Leid, das sie lindern will, erstmal kennen muss. Und weil man in den Slums eben die Menschen trifft, die wirklich Hilfe brauchen. „Das war leichtsinnig“, sagt sie heute, „aber so habe ich Uganda kennengelernt.“

Sie begegnet in den Slums einem Pater, der zu ihr sagt: „Rette das Leben eines Kindes, und du rettest die ganze Welt.“ Worte, die pathetisch klingen, für Bernadette sind sie wie eine Offenbarung. Sie lernt Straßenkinder kennen. Es sind Waisen darunter und Kinder, die von zu Hause weggelaufen sind, weil sie missbraucht und geschlagen wurden. Sie sind alle Jungs. Mädchen leben nicht auf der Straße. Wenn sie aus armen Familien kommen, werden sie oft als Kinder an ihre zukünftigen Ehemänner verkauft.

Bernadette verbringt von jetzt an fast ihre gesamte Zeit mit den Kindern, kauft Brot und Früchte. Sie hört ihre Geschichten: Wie die des Jungen, der nachts aufwacht und merkt, dass er im Feuchten liegt, und dann, dass es das Blut seines Freundes ist, der neben ihm abgestochen wurde, während er schlief. Oder die von den Kindern, die in der Kanalisation waren, als Polizisten ihre Gewehre in die Rohre hielten und abdrückten.

Bernadette fängt plötzlich an zu husten, Tränen steigen ihr in die Augen. „Vom vielen Reden und dem Kratzen im Hals.“

Sie hat einen Plan. Sie will diesen Kindern ein Zuhause geben, Essen und Schulbildung. Von nun an geht alles ganz schnell: Zurück in Deutschland gründet Bernadette einen Verein, um besser Geld auftreiben zu können und der Sache einen organisatorischen Rahmen zu geben. Im Juni ist sie wieder in Uganda, mietet ein Haus und zieht mit „ihren Kindern“ dort ein. Vorher macht sie mit ihnen noch drei Treffen aus. Wer mit in das Haus will, muss jedes Mal ohne Drogen kommen, das ist die Bedingung. Das schaffen sie alle. Die Miete zahlt Bernadette von ihrem eigenen Geld für Monate im Voraus.

Die Kinder nennen sie Mama. Sie sind glücklich, weg von der Straße zu sein. Trotzdem gibt es am Anfang Schwierigkeiten. Die Jungen leben teilweise seit Jahren auf der Straße, und nun gilt im Haus: keine Schläge, keine Drogen. Daran müssen sie sich gewöhnen, einige schnüffeln weiter Benzin, klauen oder verschwinden für Tage. Das sind Momente, in denen Bernadette alles hinschmeißen will. Am Ende setzt sie sich durch mit Herzlichkeit, aber auch mit Strenge. Es gibt einen richtigen Alltag für Kinder: Vormittags Unterricht, nachmittags können sie an Theater- oder Handarbeitsworkshops teilnehmen.

Über „Hoffnung spenden“, so heißt ihr Verein, treibt Bernadette mittlerweile so viel Geld auf, dass es für die laufenden Kosten reicht. Sie arbeitet jeden Tag acht Stunden in einer Kita, noch mal sechs verbringt sie im Schnitt mit der Arbeit für die Kinder. Sie macht die Buchhaltung, hält Vorträge in Schulen und Kirchengemeinden, organisiert so Spenden und Paten. Sie zahlt sich kein Gehalt aus, damit jeder Euro, der gespendet wird, auch ankommt. Die Flüge bezahlt sie aus eigener Tasche.

Zur Ruhe kommt sie fast nie, nicht in Deutschland, und in Uganda schon gar nicht. Sie würde gerne dort leben. „Aber ich muss hier meinen Lebensunterhalt verdienen“, sagt sie. Um den Arm trägt sie ein Band aus schwarz-roten Perlen. Nicholas, acht Jahre alt und der Jüngste im Haus, hat es gemacht. Der Kleine hat gesagt: Das Band solle sie beschützen, so wie Bernadette ihn beschützt.

Details und Spendenadresse:

www.hoffnung-spenden.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false