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Mieze

© ddp

Mia im Interview: "Wir haben uns schön mit den Lehrern betrunken"

Mieze, Sängerin von Mia, ging früher auf das John-Lennon-Gymnasium in Berlin-Mitte. Wo wir uns treffen? Na, in ihrem alten Klassenzimmer. Ein Gespräch über ihren letzten Schultag, ihre Graffiti-Karriere und fiese Mädchenfächer.

Wir treffen Mieze, Sängerin von Mia, in ihrer alten Schule: dem John-Lennon-Gymnasium in Mitte. „Mir ist kalt“, murrt sie zur Begrüßung. „Ich bin mit dem Rad gekommen – im Regen“. Sie trägt eine Mütze, die schützt vor neugierigen Blicken, doch sie wird schnell erkannt von Schülern und alten Lehrern. „Ist das nicht Frau M…?“, flüstert ein Mann. An dieser Stelle hören wir mal nicht so genau hin – ihr bürgerlicher Name ist geheim. Wir verschwinden mit Mieze im Klassenzimmer. Zeit: 45 Minuten – eine Schulstunde also.

Guten Morgen!

Oh, muss ich jetzt aufstehen?

Mussten Sie das früher?

Niemals. Wir sind ja hier nicht in der Grundschule, oder?

Mieze, wir sitzen im John-Lennon-Gymnasium, Ihrer alten Schule. Kribbelt’s?

Nö. Aber es riecht wie früher. Ich habe ziemlich in der Nähe gewohnt und bin mit der Straßenbahn hierher gefahren. Ich habe auf meiner Schule eine super Zeit gehabt, vielleicht sogar die beste meines Lebens. Wenn Sie es ganz genau wissen wollen: Wir sitzen gerade in meinem alten Deutsch-Raum.

1999 haben Sie das Abitur geschafft. Verraten Sie uns die Durchschnittsnote?

Ja. 2,4.

Sie gucken irritiert.

Weil ich die Frage komisch finde. Ich muss gerade an einen alten Spruch denken, kurz nach den Prüfungen war’s: ’Dich wird nie wieder einer nach dem Abi fragen’. Ich habe damals irritiert den Kopf geschüttelt und gesagt: Quatsch, das kann nicht sein! Ich gehe doch nicht 13 Jahre zur Schule, habe den ganzen Stress, all das Tohuwabohu – und dann fragt nie wieder einer? Absurd. Aber es stimmt: Mich hat wirklich nie wieder einer gefragt.

Nächste Woche beginnen die Sommerferien, für viele ist die Schule dann vorbei. Erinnern Sie sich an Ihren letzten Tag auf der Schulbank?

An den letzten Schultag nicht so genau, es war halt alles auf einmal vorbei, obwohl das Quatsch ist: Das Leben geht ja erst so richtig los, oder? Ich erinnere mich aber noch an meine Abi-Party. Wir haben im Haus des Lehrers gefeiert …

… in dem Hochaus am Alexanderplatz …

… ich kam zu spät, weil wir noch einen Auftritt mit Mia hatten. Ich bin quasi dazwischen gegrätscht. Das war eine tolle Party, sehr locker und entspannt…

… im schnieken Ballkleid?

Nee, viel zu bieder. Ich trug an jenem Abend eine dunkelblaue Kreation mit Stehkragen. Meine beste Freundin kam ganz in weiß – mit Cowboyhut. Anne heißt sie, sie ist Designerin und hat später für uns und Fettes Brot Bühnenklamotten entworfen. Ich verstehe eh nicht, wie man sich so stocksteif anziehen kann: Die Abi-Party haben wir ja nicht für unsere Eltern gemacht, mit denen wir einmal Walzer tanzen mussten – sondern es war unsere Feier. Wir haben uns schön mit den Lehrern betrunken.

Sie sagten, es war Ihre vielleicht schönste Zeit. Warum?

Weil du noch nicht ganz erwachsen bist, aber auf dem Weg dorthin. An jedem Tag kommst du dir stylemäßig ein Stück näher, du experimentierst wie eine Verrückte. Das war extrem spannend. Ich hatte knallrote Haare bis zum Kinn, und es war die Zeit, in der ich ganz starkes, schwarzes Augen-Make-Up getragen habe. In der Schule bekommst du ja schnelles Feedback: Sieht gut aus oder eben nicht. Die Schule ist wie eine Bühne. Und ich war leidenschaftliche JoJo-Spielerin.

Waren Sie auch eine gute Schülerin?

Geht so. Fies waren Physik, Chemie und Mathe, also die Mädchenklassiker.

Sie sind sitzen geblieben.

Ja, in der zehnten Klasse. Ich war auch insgesamt auf vier oder fünf Schulen, ich hatte Russisch als erste Fremdsprache.

Auch als Leistungsfach?

Nein, das waren Deutsch und Kunst. Ich erinnere mich noch an meinen Kunstlehrer, ihn treffe ich manchmal am Kollwitzplatz. Bei ihm durfte ich eine eigene Meinung haben. Das war mir immer wichtig. Wir mussten kein Stillleben mit Birnen und Äpfeln oder so etwas Grausames pinseln. Ich habe fotografiert, mit Buntstiften Gesichter gemalt, das konnte ich. Ich habe es auch mal kurz mit Graffiti probiert, aber das habe ich schnell sein lassen. Damals hat jeder einen Edding genommen und seinen Tag irgendwo hingesetzt. Find yourself!

Haben Sie noch Ihr Abibuch?

Irgendwo bestimmt.

Was steht drin: Knutscht gut? Ist eine Zicke? Hatte die leckersten Käsebrote?

Weiß ich gar nicht mehr, aber mir fällt gerade ein, dass ich sogar noch alte Lehrbücher in meiner Wohnung habe. Völlig wahnsinnig. Die hebt man auf wie Tagebücher, im Glauben, dass man sich später mal schön hinsetzt, einen Tee kocht, klassische Musik hört und alles durchliest. Von wegen! Bis jetzt hat es sich nie ergeben, dass ich abends das dringende Bedürfnis verspürt habe, in mein altes Mathebuch zu gucken.

Mussten Sie auch ins BIZ?

Ins Berufsinformationszentrum? Da wird ja jeder hingeschleppt, nicht wahr? Das war nichts für mich. Ich wollte mein Abi machen, um mir selbst zu beweisen, dass ich noch was anderes machen könnte.

Haben Sie kein Schulpraktikum gemacht?

Doch. Ich habe mal bei der „Jungen Welt“ gearbeitet und über ein Kinderfest geschrieben. Ich lief unglücklicherweise immer quer durch die Linse des Fotografen. An diesem Tag war ich drei Mal in der Zeitung. Später, als Nebenjob, stand ich an der Garderobe des Musicals „Space Dream“, in Tempelhof, und habe für ein paar Mark die Mäntel angenommen. Aber damals gab’s ja schon Mia.

Sie waren eine Schulband.

Wir haben mal mit zitternden Knien in unserer Schulturnhalle gespielt. Andi …

…der Gitarrist…

… war 1997 in der Band Die Irrläufer. Die fand ich total schau! Ich war zehn Jahre lang im Chor, konnte singen und ich weiß noch, wie ich mit meiner Freundin Anne zum Konzert von denen gefahren sind. Andi und ich haben gequatscht und dann Songs von R.E.M. gesungen. Später haben wir uns bis in die Morgenstunden im Monbijoupark gelegt und Gitarre gespielt. Ich war voll geflasht!

Auf Ihrem Gymnasium war auch Sarah Kuttner, die Fernsehmoderatorin.

Sarah hat den Kontakt zu den anderen Jungs hergestellt. Wir nannten uns Mafangoros, Blue Tea, Les Affairs – aber Mia war der beste Name.

45 Minuten sind gleich rum.

Oh, das ging ja schneller als früher!

Eine letzte Frage haben wir aber noch. Wie ist Ihr bürgerlicher Name?

Wen soll das schon interessieren?

Wir schließen den Schulraum ab. Mieze zerrt uns in den Innenhof, freut sich über den Anblick der alten Backstein-Gemäuer, die Sonne scheint. „Wie lange ich nicht mehr hier war, toll!“. Dann flitzt sie heim nach Pankow. Auf einem roten BMX-Rad.

Das Gespräch führte André Görke.

André Görke

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