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Salafisten feiern den Wahlsieg Mursis. Die Fotografin Katharina Eglau begleitet die Umbrüche in Ägypten seit 2008.

© Katharina Eglau

Nahost-Korrespondent Martin Gehlen zu Gast im Tagesspiegel: „Wir hören Schüsse in der Wohnung“

Ägypten, die Türkei, der Iran: Überall ringen die Menschen um die Rolle der Religion in ihren Gesellschaften. Nahost-Korrespondent Martin Gehlen spricht im Tagesspiegel-Haus über die Umbrüche in der Region

Es sind genau 15 Minuten Fußweg zum Tahrir-Platz von Martin Gehlens Wohnung aus, und an manchen Tagen wagt er sich nicht vor die Tür. „Bei den schwersten Auseinandersetzungen am 6. Oktober wurden in unserer Nachbarstraße 25 Menschen erschossen“, sagt der Nahost-Korrespondent, der im Kairoer Stadtteil Dokki lebt. „Wenn sich Tumulte aufbauen, hören wir die Schüsse in unserer Wohnung. Nach dem Sturz von Mursi saßen wir auf gepackten Koffern.“ Die Kaserne in der Nähe ihres Wohnhauses biete einen gewissen Schutz, auch die Tatsache, dass im Viertel nicht nur Ausländer, sondern vor allem normale Ägypter leben. Aber die Dauerbelastung nach drei Jahren Krisenberichterstattung ist sehr hoch.

Als Martin Gehlen und seine Frau, die Fotografin Katharina Eglau, 2008 nach Kairo zogen, war nicht abzusehen, dass der Korrespondentenjob derart aufregend und gefährlich sein würde. Zu Beginn der Arabellion in Kairo gerieten sie noch zufällig in Auseinandersetzungen hinein. „Jetzt sind die Kämpfe Normalität, und es ist klar, dass die Polizei sofort schießt. Da hält man sich von den Tumulten besser fern.“

Gehlen, promovierter Politologe, ist ein ruhiger, besonnener Mensch, keiner, den es aus purer Abenteuerlust zu den Stätten von Aufruhr und Krawall zieht. „Ich zähle mich nicht zu den Kriegs- und Krisenreportern“, sagt der 57-Jährige. Am Anfang seiner Tätigkeit als Nahost-Korrespondent für den Tagesspiegel und die „Südwest-Presse“ hatte er gedacht, dass er in den über 20 Ländern, die in seine Zuständigkeit fallen, auch kulturelle und soziale Themen würde bearbeiten können. Aber inzwischen kommt er aus der Krisenberichterstattung kaum noch heraus.

Auf Recherchereisen achten Martin Gehlen und Katharina Eglau vor allem darauf, dass die Fahrer ortskundig sind. „Wenn plötzlich etwas passiert, muss ein Fahrer sofort reagieren können, dann hat man keine Zeit, in Stadtpläne zu gucken“, erzählt Gehlen.

Vor kurzem etwa war er in der Stadt Minia, in der Häuser und Kirchen koptischer Christen von Muslimbrüdern angezündet worden waren. „Da wäre es ungeschickt, mit einem Auto mit Kairoer Kennzeichen rumzufahren. Man braucht ein unauffälliges Auto und einen guten Fahrer, der nicht herumirrt.“

Seinen anfänglichen Optimismus, was die Zukunft Ägyptens betrifft, hat Martin Gehlen verloren, Hoffnungen richtet er inzwischen eher auf Länder wie Tunesien oder auch den Iran. Bei einem Vortrag im Tagesspiegel-Haus wird Gehlen über seine Arbeit und über die Rolle der Religion im Nahen und Mittleren Osten sprechen. Denn: „So unterschiedlich die Konflikte in Ägypten, der Türkei und dem Iran auf den ersten Blick erscheinen, so gemeinsam sind ihre Wurzeln. Die drei größten Völker des Nahen Ostens ringen um die Rolle des Islam in ihren Gesellschaften. Millionen Menschen sind es leid, sich mit frommen Vorschriften islamischer Doktrinäre bis in ihr Privatleben hinein bevormunden zu lassen.“ Zum Vortrag zeigt Katharina Eglau Bilder von ihren Recherchereisen. Wie entwickelt sich das Verhältnis von Religion und Politik in der Region? Eine brennende Frage auch für diejenigen, in deren Wohnungen keine Schüsse nachhallen.

Vortrag von Nahostkorrespondent Martin Gehlen am Freitag, 1. November, 19 Uhr, Askanischer Platz 3, Eintritt 14 Euro inkl. Begrüßungsgetränk, Anmeldung Telefon 29021-520 oder hier.

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