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Studenten

© ddp

Politverdrossenheit: Spaßfaktor gleich Null

Am Sonntag wird gewählt. Doch in Schulen und Unis macht sich Politfrust breit – warum eigentlich?

Hannah ist Politikstudentin. Hannah interessiert sich nicht für Politik. Wenn sie auf dem Weg zur Uni Zeitung liest, dann blättert sie von hinten: Zuerst die Beilagen, danach Sport und Kultur, manchmal ein bisschen Wirtschaft. Dann ist die Fahrt auch schon vorbei. Die Haltestelle ist erreicht, die U-Bahn spuckt alle Studenten aus. Der Politikteil wandert ungelesen in die Papiertonne am Gleis.

Hannah ist nicht egal, was in der Welt und in ihrem Land passiert. Es gibt vieles, was sie stört. Trotzdem ist sie in keiner Partei, in keinem politischen Verband, sie ist mit ihren 21 Jahren noch nie auf einer Demo gewesen. Auch der Europawahl am Sonntag bleibt sie fern. Die Wahlbenachrichtigung hat sie noch nicht einmal aufgemacht. „Wozu?“ Sie glaube nicht daran, dass sie etwas ändern kann. Außerdem habe sie so viel für die Uni zu tun, dass die Energie für kaum etwas anderes reiche. „Eigentlich ist es paradox“, sagt Hannah. „Mein Politikstudium lässt mir keine Zeit, Politik zu machen.“ In den Klausurwochen reicht es höchstens für die Tagesschau – die guckt Hannah, um nicht den Anschluss zu verlieren, aber auch aus Gewohnheit. Polittalkshows zappt sie weg: „Da streiten alte Menschen um abstrakte Themen, es gibt viele leere Phrasen und nie eine Lösung. Ich habe nicht das Gefühl, dass es mich betrifft.“

Ähnlich wie Hannah scheint es vielen Studenten in Deutschland zu gehen. Bei einer Studie der Universität Konstanz wurden 8350 Studenten zu ihrer politischen Einstellung befragt. Das Ergebnis: Nur 37 Prozent gaben an, sich für Politik zu interessieren – weit weniger als vor 16 Jahren. Damals war über die Hälfte politisch interessiert, heute engagierten sich immer weniger in der Hochschulpolitik, in Bürgerinitiativen und Parteien. „Die heutigen Studenten sind angepasst und resigniert“, sagt der Bildungsforscher Tino Bargel, Leiter der Studie. Sie wollten keine öffentliche Verantwortung übernehmen und ziehen sich ins Private zurück. Haben sich die heutigen Studenten aus der Politik verabschiedet?

Der VWL-Student Gottfried Ludewig, 26, würde das nur teilweise bestätigen. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), dessen Vorsitzender er ist, hat nicht weniger Mitglieder als früher. „Die Studenten investieren aber weniger Zeit – weil sie allgemein nicht so viel davon haben“, sagt er. Einen der Hauptgründe dafür sieht er in der Master-Bachelor-Umstellung. Als unpolitisch würde Gottfried seine Kommilitonen trotzdem nicht bezeichnen. Sie engagierten sich immer noch – aber eben kurzfristiger, in Projekten und Initiativen: Meistens setzten sie sich für Sachen ein, die sie direkt betreffen, Themen „aus ihrer Welt“. Auch die Art des Engagements sei anders geworden: „Wenn wir jemanden erreichen wollen, ist es mit dem Stand vor dem Supermarkt nicht getan.“

Fadi-El Ghazi ist der gleichen Meinung: „Einfach bei der Demo mitlaufen und Schild hochhalten reicht den jungen Leuten nicht!“ Letzten Sommer hat er bei der Organisation der Bürgerinitiative „Mediaspree versenken!“ mitgewirkt. Die Frage, ob das Spreeufer bebaut werden soll, hat viele junge Menschen aktiv werden lassen. Weil sie Clubs und niedrige Mieten bedroht sahen, haben sie gegen das Bauprojekt protestiert – mit Erfolg. Bei dem Bürgerentscheid über die Mediaspree stimmte der Großteil dagegen. „Wenn es um die eigene Haut geht, gehen die Jugendlichen eher auf die Straße“, sagt Fadi. Die Initiative habe aber nicht nur deshalb gezogen: Der Spaßfaktor bei Protestaktionen sei hoch gewesen, es habe Partys gegeben und einen Kurzfilmwettbewerb. „Die Jugendlichen sind nicht politisch verdrossen“, sagt Fadi. „Sie brauchen neue Aktionsformen.“

Das Bündnis für Urbane Mobilbeschallung, kurz B.U.M.S., versucht es mit Techno. Es ist der musikalische Teil der Hedonistischen Internationalen, eines losen Zusammenschlusses für Spaßpolitik. B.U.M.S. ist keine offizielle Organisation, viele sehen die Macher lediglich als halblegale Querulanten. Streng betrachtet ist das Bündnis nicht mehr als ein dutzend Musikanlagen auf Rädern plus DJs. Und trotzdem sind ihre Themen politisch: Bei den Aktionen laufen Hunderte den brummenden Anlagen hinterher und protestieren tanzend gegen Datenerfassung und schlechte Arbeitsbedingungen.

Medizinstudentin Lilly, 26, hat früher bei den Grünen mitgemacht. Heute ist sie bei B.U.M.S. „Ich hatte das Gerede satt, bei dem nichts rauskommt“, sagt sie und fordert „Aktion statt Diskussion“. Sie kann verstehen, warum sich ihre Kommilitonen aus der traditionellen Politik zurückziehen: Ihr Engagement bliebe ohne Konsequenzen, sie hätten keine Erfolgserlebnisse. Deshalb seien sie frustriert. Desinteressiert seien sie dennoch nicht: „Ein unglaubliches Potenzial an junger Begeisterungsfähigkeit und Energie wird vergeudet“, sagt Lilly. „Ideen und Lust, etwas zu verändern, sind da. Mann muss die jungen Leute nur mit den richtigen Methoden abholen.“ Dass man mit Techno keine Gesetze ändern kann, ist den B.U.M.S.-Machern durchaus bewusst. Das ist aber auch nicht ihr Anliegen: Sie wollen den Menschen nur zeigen, dass Spaß nicht sinnfrei sein muss und Politik nicht spaßlos. Ist das staubige Image erst abgelegt, so die Hoffnung, kommt Politik vielleicht wieder in Mode.

„Auch Politik hat Konjunktur“, sagt Bildungsforscher Tino Bargel. „Und früher war sie angesagter.“ Die Passivität der Studenten sei keine Modeerscheinung, die Ursachen liegen tiefer. Auch das Argument „Bachelor“ lässt er nicht gelten: Der tatsächliche Studienaufwand sei laut Untersuchungen nicht größer geworden. Zugenommen habe aber der gefühlte Druck: Die Angst, sich später nicht auf dem Arbeitsmarkt behaupten zu können, häufigere Prüfungen, Studiengebühren. Doch statt sich dagegen aufzulehnen, zögen die Studenten brav am Strang. Die eigene Passivität lässt sie sich machtlos fühlen, als Folge schotten sie sich ab. Eine Abwärtsspirale.

Einen Ausweg sieht Bargel im Intensivieren politischer Bildung an Schulen und Hochschulen. Außerdem müsse man Studenten zur Verantwortung erziehen – was auch bedeutet, sie mitentscheiden zu lassen, etwa was mit ihren Studiengebühren passiert. Im Gegenzug müssten die jungen Menschen einsehen, dass sie ihre Zukunft mitgestalten müssen, falls sie eine haben wollen. Ja, die Politik scheint gerade nicht attraktiv. Es sei aber eben nicht alles nur Spaß. „Ein bisschen was muss man schon selber tun.“

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