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Regenbogenfamilie

© David Heerde

Regenbogenfamilie: Daddy schwul

Georg ist elf, als sein Vater mit einem Mann zusammenzieht - und er Teil einer Regenbogenfamilie wird. In der Schule wird er oft gehänselt.

Der Mann, den sein Vater eines Tages mit nach Hause brachte, war ihm auf Anhieb sympathisch. „Das ist Markus, mein neuer Freund“, sagte der Vater und die Angelegenheit war damit erledigt. Für Georg Bittner, damals elf, war das dann auch keine große Überraschung mehr. Er und seine Eltern hatten stets ganz offen über Sexualität gesprochen. Dass Vater Geerd bisexuell ist, war in der Familie kein Geheimnis, und auch nicht, dass er vor der Heirat schon mal mit einem Mann zusammengelebt hatte. Und doch war Georg traurig, als sich die Eltern trennten. Aber das lag nicht am Vater, sondern an der Mutter, die einen neuen Mann kennengelernt und die Familie deswegen sitzen gelassen hatte.

Wenn Georg Bittner seine Geschichte erzählt, dann klingt er ziemlich unaufgeregt, fast emotionslos. Er rattert die einzelnen Stationen seines Lebens ab: Kindheit, Schule, Ausbildung. 22 ist er jetzt, vergangenes Jahr hat er sich selbstständig gemacht mit einem kleinen Friseurladen in der Fredericiastraße in Charlottenburg, der verlangt ihm viel ab, sechs Tage die Woche, bis zu zwölf Stunden pro Schicht. Deshalb ist der Trennungsirrsinn von damals nicht mehr so wichtig, nicht mehr so präsent. „Der liegt dahinten irgendwo verschüttet“, sagt Georg und tippt mit der Hand an den Hinterkopf.

Also schaufelt er und legt ihn wieder offen, Stück für Stück. Zum Vorschein kommen Erinnerungsfetzen. Eins weiß Georg zumindest noch ganz genau: Dass sein Vater damals mit Markus ziemlich glücklich war, und er auch. Der neue Mann hatte ebenfalls einen Sohn, der war für Georg wie ein Bruder, das machte die hässliche Trennung der Eltern ein bisschen vergessen. Die Wochenenden verbrachten sie oft im Haus des Neuen in Kleinmachnow. „Wir waren eine richtige Familie, ich habe Markus als Ko-Vater bezeichnet.“ Fünf Jahre hielt dieses Familienglück, dann war es aus zwischen Geerd und Markus. Und Georg war wieder traurig. Er ist ein Familienmensch, sagt er. Immerhin hat sich das Verhältnis zur Mutter inzwischen gebessert.

Regenbogenfamilien nennen sich Familien, in denen zwei gleichgeschlechtliche Partner Kinder großziehen. Der Name leitet sich von der Regenbogenfahne ab, dem weltweiten Symbol für Schwule, Lesben und Bisexuelle. Wie viele solcher Regenbogenfamilien es in Berlin gibt, ist nicht erfasst. Das Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen schätzt die Zahl auf 20 000.

Die Berliner Soziologin Uli Streib-Brzic hat mit der Münchner Sozialpädagogin Stephanie Gerlach ein Buch zu dem Thema herausgebracht, „Und was sagen die Kinder dazu?“ (Querverlag). Darin führen sie Gespräche mit Töchtern und Söhnen schwuler und lesbischer Eltern aus ganz Deutschland, Georg ist einer davon. Insgesamt 36 Jungs und Mädchen im Alter zwischen sechs und 31 Jahren haben die Autorinnen befragt. Es ist ein Buch, das Homosexuellen Mut macht, offen und ehrlich mit ihren Kindern umzugehen, selbst wenn nicht alle die neue Lebensweise des Elternteils so schnell und leicht akzeptieren wie Georg Bittner.

Dass der Vater nach dem Ende der Ehe mit einem Mann zusammenlebte, wussten Freunde und Bekannte, auch an Georgs Schule war es bekannt. Geerd hatte es in einer Elternversammlung erzählt, um Getuschel vorzubeugen. Für Georg begann von da an eine schwierige Zeit. Wenn er davon erzählt, gerät seine Stimme ins Stocken. Die schmalen Finger umklammern eine Teetasse, der Blick geht zu den Mischlingshunden Arwen und Rosa, die zum Friseurladen gehören wie Maskottchen. Das Verschüttete liegt auf einmal ganz frei.

Von den Mitschülern wurde Georg einerseits um den coolen Vater beneidet. Oft kamen Klassenkameraden zu ihm nach Hause, um sich mit Geerd über Musik, Filme, das Leben zu unterhalten. Andererseits wurde er gehänselt, als „Arschgeburt“ bezeichnet. Er, der Junge mit den zarten Gesichtszügen und dem drahtigen Körper, der in seiner Freizeit gerne Standard und Latein tanzt, galt schon immer als Sonderling, als Weichei. Die Schläge, die Georg kassierte, zählte er irgendwann nicht mehr.

Schließlich kehrte ihm sogar der beste Freund den Rücken. „Gruppenzwang“, sagt Georg. Er war froh, als er die Schule nach der zehnten Klasse beendete und eine Friseurlehre im Laden des Vaters anfing. Dass sich der vermeintlich beste Freund vor kurzem entschuldigte, sein Verhalten von damals zu erklären versuchte, ist für Georg ein schwacher Trost. „Da ist viel hängen geblieben von damals, eine Freundschaft funktioniert heute nicht mehr.“

Aufgehoben und anerkannt fühlte sich Georg in der schwulen Vätergruppe, die Vater Geerd regelmäßig besuchte und über die er Jugendliche kennenlernte, die Ähnliches erlebt hatten. Die Gruppe ist eine Art Stammtisch, bei dem sich Betroffene über ihre Erfahrungen und Ängste unterhalten. Denn viele Väter, die lange Zeit in heterosexuellen Partnerschaften gelebt hatten, taten sich schwer mit ihrem Outing. „Zum Teil sind die in Tränen ausgebrochen, weil sie ihre schwule Seite gerade erst entdeckt hatten und gar nicht klarkamen damit. Einige hatten erst kurz vorher geheiratet und Kinder bekommen. Die so am Boden zerstört zu erleben, war schon hart.“

Bei einem dieser Treffen lernte Georg ein Mädchen kennen, mit dem er einige Zeit zusammen war. Es ging auseinander zwischen den beiden, wie es eben auseinandergeht, wenn man jung ist – es hatte einfach nicht gepasst. Die gemeinsame Erfahrung schweißte nicht automatisch enger zusammen, heute haben sie noch sporadischen Kontakt. Er ist heterosexuell, sagt Georg. „Mit geringfügig bisexuellen Tendenzen.“ Sex mit einem Jungen würde er aus reiner Neugier mal ausprobieren. „Eine Beziehung mit einem Kerl kann ich mir aber nicht vorstellen.“ Darüber würde sich letztlich auch Vater Geerd ärgern. „Er möchte gerne Enkelkinder haben.“

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