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Panorama: Schätze aus dem SMS-Archiv

Ein Plädoyer für das Handy. Fünf Kurzmitteilungen, diewir ohneverpasst hätten.

Als diese SMS kam, war die ganze Trennungs-Verwirrung wieder da: Wer, außer meiner Ex-Freundin Anna, sollte mir „Eine Umarmung“ schicken? Mit wem sprach ich denn sonst noch Italienisch? Ich kannte die Nummer nicht, wusste aber, dass Anna ein neues Handy hatte. Und wie gemein war das eigentlich, eine Woche, nachdem sie mir von ihrer Affäre mit dem kahlköpfigen Porschefahrer erzählt hatte, so etwas zu schreiben? Ziemlich wütend antwortete ich: „Was soll das heißen, eine Umarmung, ich denke du liegst mit deinem 35-jährigen Glatzköpfigen im Bett! Oder wolltest Du eigentlich ihm simsen??“ Glatzkopf habe ich extra im Online-Wörterbuch nachgeschaut, es heißt „il calvo“. Dann bin ich zur Party einer Freundin geradelt. Auf einmal piepte das Handy, und 100 Zeichen auf Italienisch kamen an, wovon ich nur den ersten Teil verstand: Irgendwas mit „Die falsche Nummer, das hoffe ich doch nicht“. Aber der Rest? Ich hatte keine Ahnung, wollte das aber unbedingt wissen. Mann, war ich aufgeregt, im Kopf hämmerte es nur „Anna, Anna, Anna“: Vielleicht war ja doch wieder was möglich? Ich stoppte einfach bei einem italienischen Restaurant, und bat den Kellner, mir die SMS zu übersetzen. Der sagte, das sei ja ein seltsamer italienischer Dialekt, er würde mal seinen Chef fragen. Der Chef wiederum stürzte in die Küche, dann stand die ganze italienische Crew um mein Handy, schaute mich mit einer Mischung aus Skepsis und Mitleid an und sagte, da stünde: „Ich weiß nicht, wovon du sprichst, weshalb sollte neben mir ein glatzköpfiger Typ liegen?“ War mir das peinlich! Draußen habe ich die Nummer einfach angerufen: Es war Mareike, die ich im Winterurlaub kennen gelernt hatte. Und die jetzt bestimmt auch dachte, was das für ein seltsamer Typ sei, ihre Skibekanntschaft.

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Biep, Biep! Ich saß gerade im Restaurant, als sich mein Handy bemerkbar machte. Eine SMS von Julia. „Oh, was für ’ne Überraschung!“, dachte ich. Julia war eine nette Freundin, hübsch und schnell und laut, mit einem schönen Lachen. Sie hatte mir zwei Tage vorher eine SMS geschrieben: Wie es mir so gehe und warum ich mich nicht melden würde. Ich hatte geantwortet: „sorry. hab deine nummer verlegt. melde mich, versprochen.“ Ich habe mich natürlich nicht gemeldet. Blöd von mir, kommt vor, vergessen. Aber einen Sohn? Irritiert schaute ich aufs Display. War Julia etwa schwanger? War das der wahre Grund ihrer ersten, scheinheiligen SMS? Ich bin rausgeeilt, habe angerufen. „Geht doch“, hat sie gesagt. Die SMS war ein Scherz, sie lachte ein bisschen. Ich kam mir ziemlich dämlich vor. André, 25

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Schöne Worte habe ich gegen echtes Erleben getauscht. Weil ich mich nicht getraut habe. Damals, vier Wochen, bevor ich diese SMS bekam, saß ich mit Tobias im Zug. Ich von Freiburg nach Berlin, er von Freiburg nach München. Wir kannten uns nicht, saßen alleine in diesem schäbigen Abteil, die Nacht rauschte an den Fenstern vorbei, und wir haben über alles Mögliche geredet: Über Geschwister, Hunde, Bücher. Eine Zugbekanntschaft. Er hat mir aus einem Krimi vorgelesen, irgendein US-Autor aus den 50er Jahren, ich weiß nicht mehr, welcher das war. Eigentlich merke ich mir Buchtitel, sogar schlechte. Aber diese Stimme war so einnehmend, sie füllte das ganze Abteil, kroch mir den Rücken hinunter und machte meinen Bauch flau, ich konnte die Worte gar nicht mehr verstehen, wusste nicht Mal mehr, wie jetzt hinsetzen, wohin mit den Händen. Irgendwann haben wir über Zürich gesprochen, und ich habe erzählt, dass ich dort schon immer mal hin wollte. Tobias sagte: „In 14 Minuten sind wir in Karlsruhe. Wir können da aussteigen, den Zug zurück nehmen, und sind nachts in Zürich.“ Er schaute mich an, ganz geradeaus in die Augen, ich wusste: Der meint das jetzt ernst. Dann hat er weitergelesen. „Was, wenn wir nachts in Zürich sind?“ habe ich mich gefragt. Vielleicht finden wir uns nach 24 Stunden total schrecklich? Ich weiß nicht, wie sehr ich ihn mag; weiß nicht, wie sehr er mich mag.Vielleicht ist die Idee der Reise viel schöner, als sie tatsächlich zu tun? Nach 14 Minuten ist Tobias allein ausgestiegen, also umgestiegen, nach München. Wir haben uns nie wieder gesehen. In Zürich war ich immer noch nicht. Diese so zuckersüße SMS mit dem Stern erinnert mich an verpasste Gelegenheiten. Und dass ich so zögernd und vorsichtig eigentlich nicht sein will. Johanna, 2 6

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Manchmal, wenn ich an meinen Freund Christian denke, muss ich an das Klischee vom armen Künstler denken. Er macht diese typischen Jobs, die einen gerade so über Wasser halten: Er stellt Liegestühle im Tropical Island auf – dort, wo die dicken Samoaner in Baströckchen vor Brandenburger Badegästen tanzen – oder kellnert auf langweiligen Ärztekongressen. Alles, um sich das kleine Kreuzberger WG-Zimmer mit der Hawaii-Fototapete leisten zu können und nachts an seinen Filmen zu arbeiten. Ich habe lange überlegt, was ich ihm auf seine SMS aus Istanbul antworten soll. Denn ich mache mir schon Sorgen, ob wirklich alles „recht OK“ ist; „so weit“. Am Abend vor seinem Abflug, bei scharfen Nudeln und Rotwein, da habe ich ihn noch gefragt, ob er wirklich mehr oder weniger mittellos nach Istanbul fliegen will, um dort für zwei Monate seinen neuen Kurzfilm zu drehen. Das Geld für Reise und Projekt, sein mit 4000 Euro dotiertes Künstler-Stipendium, das war längst auf einen kläglichen Betrag geschrumpft. Deshalb zögern? Hätte wohl jeder gemacht, aber Christian hat nur gelacht und so getan, als hätte ich ihn gerade ermahnt, ein Paar lange Unterhosen einzupacken. „Ich krieg das hin“, sagte er. Auf die SMS habe ich bisher nicht geantwortet. Ich hätte ihn doch nur daran erinnert, genug zu essen, zu schlafen, Unterwäsche zu kaufen und auf sich aufzupassen. Konstantin, 29

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Tausende Katholiken sitzen gerade um mich herum, und dann kommt diese SMS von meinem besten Freund. Er ist Vater! Ich hüpfe hoch, von meinem Plastiksitz in der Düsseldorfer LTU-Arena beim Eröffnungstag des Weltjugendtags, will aufschreien – aber das geht doch nicht hier, während der Messe – und so kommt ein knappes Juchzen dabei heraus. Böse Blicke und ein Räuspern von der Frau Mitte 40 neben mir (das heißt doch hier WeltJUGENDtag, oder?) gibt’s dennoch. Ich versuche zu erklären: „Gerade ist ein Kind geboren worden!“ – „Herzlichen Glückwunsch, dann weißt du ja, wofür du beten kannst“, sagt die Frau mit steinerner Miene. Das kann doch nicht sein! Da wollen die Katholiken – und ich bin auch eine – hier in großem Stil, mit Flaggen, Tauben, Chören und Orchester, einen Gottesdienst feiern, und eine tatsächliche frohe Botschaft finden sie störend, sind pikiert! Ich zwänge mich durch die Reihen, springe die Treppen zum Ausgang hoch, setze mich draußen hin und wähle Roberts Nummer. Mein vermisster Studienfreund, mit dem ich auf unzähligen schlechten Partys war und großspurig über das Leben philosophiert habe. Ich sehe uns nochmal am See, mit den Rollern, wenn sie mal nicht kaputt waren und höre uns über unsere Beziehungen reden, die auch oft kaputt waren, oder höre ihn über eine neue Frau schwärmen. Mein bester Freund, der mir alle zwei Wochen ein neues Tier seiner Amphibienzucht präsentierte, und der unangefochtener Lieblingspfleger der Damen im Altenheim war. Er geht ans Telefon, erzählt von dem Baby, ist beeindruckt von seiner Freundin, die so großartig gekämpft hätte: Der ganze Männerstolz dröhnt durchs Telefon. Wir legen auf, ich sitze noch eine Weile grinsend auf den Treppen vor der Arena, Kirchenlieder schallen herüber. Es gefällt mir besser hier draußen, das Leben, denke ich. Jeannette, 27

Thies[23]

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