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Alles auf eine Karte: Sabrina Frischmuth im Einsatz.

© Paul Zinken

Schiedsrichternachwuchs: Alles tanzt nach ihrer Pfeife

Amateurfußball ist eine Männerwelt: breitbeinig, ruppig. Sabrina Frischmuth, 23, ist Schiedsrichterin – und das komplette Gegenteil.

Kontrolle, darum geht es. Bloß nicht eines von diesen Scheißspielen. Wenn die Spieler voreinander stehen, schnaubend, die Nasen aneinander, die Brust wie von einem Ballon aufgebläht, gockelnd, fluchend, dann muss sie da sein. Ihr Spiel, ihre Regeln. Heute erst recht.

30 Minuten vor dem großen Match sitzt Sabrina Frischmuth, 23, in einer grauen Kabine irgendwo in Wilmersdorf und versucht, wieder Ordnung in ihr Leben zu bringen. Was für ein verdammter Tag. Sie kramt in ihrer Tasche: gelbe Karte, rote Karte, Spielberichtsbogen, Banane, Taschentücher – alles da. Immerhin. Sie schiebt ihren rechten Fuß in einen schwarzen Fußballschuh, Adidas, Größe 36. Quietschen auf dem Linoleumboden. „Ich darf jetzt einfach nicht mehr daran denken“, sagt die kleine blonde Frau. „Jetzt zählt nur noch das Spiel.“

Heute Morgen saß Sabrina noch in einer Kapelle in Marienfelde. Ein Freund der Familie ist gestorben. Alle waren da: Mama, Papa, Oma, Opa. Sabrina hatte der Predigt zugehört, sich hilflos und ohnmächtig gefühlt; das Spiel schien in diesem Moment unendlich weit weg.

Aber nun – ein paar Stunden später – ist sie hier; in einem Raum, der aussieht wie aus dem Film „Das Leben der anderen“, und redet über Kontrolle. Sabrina ist Schiedsrichterin. Sie wird heute dafür sorgen, dass sich 22 Männer in der Bezirksligabegegnung zwischen Eintracht Pankow und BSV 92 nicht an die Gurgel gehen. Es geht um ihre Karriere.

Der Kunstrasenplatz vom BSV 92 liegt im Flutlicht, drum herum hoher Zaun. Wären da nicht die Strafraumlinien und die Tore, es könnte sich auch um einen riesigen Hundezwinger handeln. Es ist ein saukalter Mittwochabend. Um das Spielfeld herum stehen nur ein paar Verrückte – frierende Vereinsveteranen und Ersatzspieler, die sich für die Truppe eine Lungenentzündung holen würden. Aus ihren Hälsen qualmt es wie aus kleinen Schornsteinen.

Eigentlich ist es wie in der Champions League. Nur ohne Hymne. Die Spieler traben aufs Feld: zwei Reihen, ernste Blicke, Sabrina vorneweg, dann die Kapitäne. Aufstellung einnehmen, winken, Platzwahl.Sabrina hat sich am Mittelkreis aufgestellt. Kurz bevor sie die Lippen um die Pfeife schließt, kurz bevor es losgeht, schaut sie Richtung Zuschauer. Irgendwo hier muss er sein, der Beobachter vom Verband. Es gibt pro Saison knapp drei solcher Beobachtungsspiele. In ihnen entscheidet sich, was aus der Schiedsrichterkarriere von Sabrina werden wird. Sie ist ehrgeizig, will es schaffen. Anpfiff! Der Ball fliegt durch die Luft.

Wer sich unter Fußballern umhört, wie der perfekte Schiedsrichter sein muss, hört Worte wie „Präsenz“, „Autorität“ und „Ausstrahlung“. Man muss dann immer an einen Typen wie Clint Eastwood denken: ein Sheriff mit Trillerpfeife, ein Mann wie das Gesetz. Aber ganz sicher denkt man nicht an eine wie Sabrina. Ziemlich zierlich, ziemlich hübsch und ziemlich blond. Eine, die auf den Bolzplätzen zwischen Hennigsdorf und Köpenick viele Namen hat: Püppi, Blondie, Kleine oder Süße. Sabrina sagt: „Im Prinzip stören mich die Namen gar nicht so sehr, solange ich ernst genommen werde.“

Knapp 1100 Schiedsrichter gibt es im Berliner Fußballverband, 50 davon sind Frauen. Aber kaum eine darf höher pfeifen als sie. Sie stand schon in der 2. Frauenbundesliga an der Linie, ist im Schiedsrichterleistungskader des DFB. Seit sie 18 Jahre alt ist, tanzen ihre Wochenenden jetzt schon nach der Pfeife. Alles unter Kontrolle. Jeden Sonntag.

„Det war ’n Foul“, brüllt Jens Rehmisch. Der Torwarttrainer vom BSV 92, 48 Jahre, springt an der Seitenauslinie auf und ab. Mit seinem blonden Vokuhila sieht Rehmisch aus wie ein riesiger Andi Brehme. Aber so, als hätte Brehme nach dem WM-Finale 1990 etwas zugelegt. Rehmischs Trainingsanzug spannt. Frauen als Schiedsrichter? „Früher hätt ick jesacht, jeht jar nich. Aber wat willste machen. Is ja immerhin ne janz Ansehnliche“, sagt er. Rehmisch ist ein gutmütiger Typ, er meint das nicht böse. Aber wer ihn reden hört, der bekommt einen Eindruck, wie breitbeinig der Amateurfußball immer noch durch die Gegend stakst. Vor dem Spiel standen Rehmisch und Sabrina kurz zusammen. Als Rehmisch hörte, dass sie in kurzer Hose auflaufen würde, schlug er ihr vor, vielleicht lieber einen Minirock anzuziehen, davon hätten alle was. Sabrina grinste nur. Sie trägt dieses Grinsen wie ein Trikot. Es soll sagen: Ich gehöre dazu. Ich kann was vertragen.

{Proteste nach dem ersten Tor}

Sicher im Urteil. Sabrina Frischmuth ist eine der wenigen weiblichen Unparteiischen im Berliner Fußballverband. Sie stand schon in der 2. Frauenbundesliga an der Linie, ist im Schiedsrichterleistungskader des DFB.
Sicher im Urteil. Sabrina Frischmuth ist eine der wenigen weiblichen Unparteiischen im Berliner Fußballverband. Sie stand schon in der 2. Frauenbundesliga an der Linie, ist im Schiedsrichterleistungskader des DFB.

© Paul Zinken

Das Spiel ist zerfahren, viele Fehlpässe, der BSV drückt. Dann die 15. Minute: ein Pass in die Tiefe, eine Drehung wie beim Ballett, kurz vorgelegt, Abschluss, Tor. „Jawoll“, schreien die Ersatzspieler. „Jawoll“, schreit Jens Rehmisch, die großen Fäuste geballt. Jubelpose. Ein paar Spieler von Pankow protestieren. Abseits? Nein, sagt Sabrina. Keine Diskussion. Auf dem Feld ist sie ein Irrwisch, flitzt wie aufgezogen hin und her, rechts, links, immer auf Ballhöhe, der blonde Pferdeschwanz zappelt aufgeregt hinterher. Nur wenige strittige Situationen gibt es, und wenn, löst Sabrina sie mit dem Lächeln einer kleinen Schwester. Püppi. Das kann manchmal auch von Vorteil sein.

Alles in allem kein Scheißspiel. Nicht wie neulich bei Blau Weiß Berolina Mitte. Da stand Sabrina in der Halbzeit vor dem Spiegel und rieb sich die verweinte Wimperntusche aus den Augen. Es gab kleinere Handgreiflichkeiten, Zuschauer hatten Spieler bepöbelt und Spieler Zuschauer. „Die Kleine soll mit ihren Puppen spielen“, hatte einer gesagt. Es war, als hätte man Sabrina auf einen wild gewordenen Bullen gesetzt und der sie irgendwann abgeworfen. Schuld traf sie keine. „Süße, es ist nur ein Spiel“, hatte ihre Zwillingsschwester am Telefon gesagt, bevor Sabrina wieder aufs Feld gegangen war. Ja, antwortete Sabrina, aber es sei eben ihr Spiel, und das wolle sie sich von Verrückten nicht kaputt machen lassen.

Vielleicht stimmt es: Schiedsrichter spielen ein Spiel, das sie nicht gewinnen können. Ständig zwischen Macht und Ohnmacht, Zielscheibe für frustrierte Rumpel-Maradonas. Immer wieder kommt es zu Vorfällen, bei denen sie bedroht oder zusammengeschlagen werden. Ende letzten Jahres traten in Holland drei 16-Jährige einen Linienrichter wegen einer Abseitsentscheidung tot, ein ähnlicher Vorfall in den USA macht gerade Schlagzeilen. Auch Sabrina kennt diese Geschichten. Natürlich frage sie sich in manchen Momenten: „Warum tue ich mir diesen Scheiß eigentlich an?“, sagt sie. Aber es mache schließlich auch Spaß.

Man könnte eine Geschichte über Sabrina, die Schiedsrichterin, schreiben und nur von ihrem Kampf erzählen. Von ihrem Ringen um Respekt. Von ihrem Ehrgeiz. Aber dann würde etwas fehlen. Sabrina spielte selbst lange im Mittelfeld beim SV Blau Weiß Berlin, ihr Vater machte den Trainer. Sie ist aufgewachsen in dieser Welt, die aus Vereinsheimen besteht mit vergilbten Wimpeln darin, aus Männern mit Trainingsanzügen aus Ballonseide, aus ewiger Flachserei und Herzlichkeit. Es ist eine übersichtliche, vertraute Welt. Heimat für viele. Sabrina kann einfach nicht davon lassen.

In ihrem anderen Leben studiert sie BWL. Dabei wollte sie immer Polizistin werden. Viele Schiedsrichter sind das. Doch bei der Aufnahmeprüfung zur Polizeischule fehlten ihr zwei Zentimeter. 1,60 Meter groß müssen Anwärterinnen in Deutschland sein. Sabrina schrieb einen Brief an den Polizeipräsidenten. „Bitte“, stand darin und „es ist mein Traum“. Aber es half nichts.

Das Spiel trudelt dem Ende entgegen. Der BSV führt souverän. Ein paar Frustfouls gibt es noch, nichts Ernstes. Sabrina schaut auf ihre Uhr.

Hinterher wird der Beobachter vom Verband zufrieden sein. Er wird ihr eine gute Note geben. Für eine sehr gute war das Spiel nicht dramatisch genug. Rehmisch wird sagen: „Hat se doch janz ordentlich gemacht. Aber noch besser wäre es, sie hätte noch ein bisschen jetanzt.“ Ein paar Spieler werden sagen: „Das erste Tor, Abseits!“ So was müsse man sehen.

Aber noch ist es nicht so weit. Dieser letzte Moment gehört ihr. Sie nimmt die Pfeife in die Hand. Ein Pfiff. Geschafft.

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