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© Katharina Eglau

Schule: Allein unter Mädchen

Sven ist 17, lebt in Kairo – und ist der einzige Junge an einem Lyzeum mit 800 Schülerinnen

Der passt nicht zu den anderen, sagt ein Ordner

Fünf Schritte weit kam Sven. Dann packten die Ordner zu. Gerade war er mit seiner Schulklasse durch das Absperrgitter des Fußballstadions, da war der Ausflug für ihn auch schon wieder vorbei. „Der kann nicht dazugehören“, sagten die Sicherheitsbeamten, bevor sie den Schüler am Kragen packten. „Der passt nicht zu den anderen.“

Nicht ganz unverständlich. Sven fällt auf. Nicht im Alltag, aber unter seinen Mitschülern. Sven, der 17 Jahre alt ist und eigentlich einen anderen Namen trägt, besucht die elfte Klasse des Lyzeums der Borromäerinnen in Kairo – eine von Nonnen gegründete, katholische Mädchenschule, Unterrichtssprache Deutsch. Er ist der einzige Schüler unter 798 Schülerinnen.

„Ja, ja, Hahn im Korb“, den Witz habe er auch schon gehört, sagt Sven. Er sitzt in der Bibliothek der Schule in Downtown Kairo an einem kleinen Holztisch. In der Ecke lärmt eine Gruppe Kleinkinder. Sven wirkt ein bisschen schüchtern. Vielleicht ist er auch nur nervös, in einer Stunde schreibt er eine Deutschklausur. „In Mathe bin ich besser“, sagt er.

Dass er hier unterrichtet wird, seit er vor drei Jahren aus Wiesbaden hergezogen ist, hat praktische Gründe. Seine Eltern sind Lehrer an der Schule. Die Schulordnung der Borromäerinnen erlaubt Lehrerkindern den Besuch – unabhängig vom Geschlecht. 98 Prozent der Schülerinnen sind Ägypterinnen. Vor dem Sportunterricht kann Sven die Lehrerumkleide benutzen. Wenn er mal muss, die Toiletten der männlichen Lehrer. „Alles kein Problem“, sagt Sven.

Trotzdem: ein Junge, fast 800 Mädchen. Kann das funktionieren? „Klingt kompliziert“, sagt Bettina Hannover, Professorin an der FU Berlin mit dem Schwerpunkt Unterrichtsforschung. „Menschen, die einer Minderheit angehören, sind gewöhnlich in einer schwierigen Position. Sie neigen dazu, alles, was ihnen widerfährt, auf ihre Sonderstellung zurückzuführen.“ Außerdem würden sie ständig mit ihrer Andersartigkeit konfrontiert und sich dieser dann stärker bewusst.

„Ich will dich hochzeiten", schreibt eine Mitschülerin. Eine andere malt Herzen

„Dass ich mich jetzt stärker als Mann fühle als früher, kann ich nicht unbedingt behaupten“, sagt Sven. Aber natürlich weiß er, dass er aus dem Rahmen fällt. Am ersten Tag im Schulbus hat er die ganze Fahrt die Blicke der Mädchen im Nacken gespürt. Auch auf den Schulhof haben ihn erst mal alle angestarrt. Peinlich sei das gewesen, sagt er. Und dann hat er ständig Briefe von den Grundschülerinnen zugesteckt bekommen. Mit Botschaften wie „Ich will dich hochzeiten“ oder gemalten Herzchen. Er wird ein bisschen rot. Verliebt in eine Mitschülerin war er jedenfalls noch nie, sagt er.

Eine sechste Klasse der Schule hat kürzlich bei einer Befragung gesagt, sie wollen keine Jungen im Unterricht. Die Mädchen aus Svens Klasse aber freuen sich: „Ist doch interessant“, sagen sie und lachen. „Die anderen Klassen waren am Anfang ganz neidisch auf uns.“ Beim Lernen habe sich wenig geändert. Eingeschüchtert oder eingeschränkt, sagen sie, haben sie sich nie gefühlt.

Für Sven hat sich hingegen einiges geändert: „In Deutschland waren die cool, die nur mittelmäßige Noten hatte“, erinnert er sich. Seine Mitschülerinnen in Kairo aber würden Bildung alle als ein Privileg empfinden. Also muss auch er ranklotzen, um nicht zurückzufallen.

Krach an der Front der Geschlechter gibt es nur gelegentlich. Zum Beispiel als im Unterricht ein Text durchgenommen wurde, in dem stand, Frauengehirne seien anders strukturiert als die von Männern, weshalb es Frauen schwerer fiele, Naturwissenschaften zu erlernen. „Da war vielleicht was los“, sagt Sven. Als kürzlich im Englischunterricht die Hexenverbrennung dran war, sei er deshalb ganz still gewesen. Ganz schlecht habe er sich gefühlt. Weil seine Mitschülerinnen sich dabei wieder mal gewaltig über „die Männer“ aufregten, habe er als einzig greifbares Exemplar ihren geballten Ärger abbekommen. „Da ist man als einer gegen dreißig dann plötzlich ziemlich einsam.“

Der Gruppenzwang entfällt, findet Sven

Das ist Sven auch außerhalb der Schule manchmal. Andere Jungs kennenlernen ist bei Unterricht bis in den frühen Nachmittag, einer Stunde Schulweg und Hausaufgaben schwierig. Zwar kann er mit seinen Schulfreundinnen ins Kino oder Essen gehen – das sei dank liberaler Eltern auch hier möglich, in einem Land, in dem die Schülerinnen „Effi Briest“ verschlingen, weil ihnen die darin geschilderten Probleme einer geächteten Ehebrecherin aus dem 19. Jahrhundert als zeitgenössisch erscheinen. Aber männliche Freunde ersetzen können sie natürlich nicht. Seine Kumpels aus Deutschland sieht Sven jetzt nur in den Sommerferien.

„Heranwachsende setzen sich prinzipiell lieber mit Geschlechtsgenossen auseinander“, sagt Forscherin Bettina Hannover. Mache leiden darunter, wenn das nicht geht. Dass Sven jetzt gezwungen ist, sich permanent mit Mädchen auseinanderzusetzen, hätte aber zumindest einen Vorteil. Vorurteile gegenüber Mädchen, die viele Jungs in seinem Alter aus Unerfahrenheit hätten, würde er wohl nie ausprägen.

Manchmal ist Sven das Fehlen von anderen Jungs sogar angenehm. „Der Gruppenzwang ist weg“, sagt er. „In Deutschland auf der Schule war es so: Fing einer an zu rauchen, mussten alle rauchen. Hatte einer eine Freundin, mussten alle eine haben.“ Dass das jetzt nicht mehr so ist, beruhigt ihn sichtlich. Als seine Mitschülerinnen das hören, runzeln sie die Stirn. Ein bisschen Konfrontation ist doch gesund, finden sie. Und immer nur mit Mädchen rumhängen, das sei doch komisch.

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