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© Kai-Uwe Heinrich / Tagesspiegel

Schule: Und täglich hetzt der Mob

Nora schickte uns einen Brief: Sie wird an ihrer Schule niedergemacht. Jeden Tag begleitet sie die Angst.

„Morddrohungen und Beleidigungen, muss ich mir sagen lassen, seien ja bloß Spaß.“

(„Nikodinte“ in einer Mail vor ein paar Wochen im Sommer ’07)

Seit vielen Wochen bekommen wir Mails von Nora. Sie ist 22 Jahre alt, wohnt in Berlin. „Nikodinte“, das ist ihr Künstlername, unter dem sie auch schon Gedichte bei uns veröffentlicht hat. Sie will lieber unerkannt bleiben, denn was für ihre Mitschüler „Spaß“ ist, wie sie in einer ihrer Mail schreibt, ist für sie die Hölle: Sie wird seit zwei Jahren in ihrer Berufsschule gemobbt. Wir nennen sie Nora.

„Es wurde dort gemobbt, bis der Arzt kommt. Alles bloß, um die Witzfähigkeit zu prüfen? Hey, ich wollte kein Comedian werden. Aber ich kam mir zunehmend so vor, wie ein therapeutisches Hilfsmittel zur Zerstreuung kindlicher Aggressionen.“

Schreiben hilft ihr, sagt Nora, als wir sie an einem Nachmittag in ihrer Wohnung im Prenzlauer Berg treffen. Wenn sie schreibt, kann sie die Anfeindungen verarbeiten. Und sie will nicht mehr alleine sein, mit dem Hass den die anderen bei ihr abladen. Es soll ihr jemand zuhören und erfahren wie sie sich durch ihre Ausbildung quält, jeden Tag aufs Neue, oder besser: fast jeden Tag. Heute ist sie krank geschrieben. Sie braucht immer wieder mal eine Pause von dem Psychoterror.

„Zu Beginn meiner Ausbildung fing es an. Irgendwas Seltsames muss an meinem Fahrrad gewesen sein – jedenfalls hing es eines Tages im Baum.“

Nora sitzt in der Küche ihrer Einzimmerwohnung und raucht Stopfzigarretten , eine nach der anderen. Vielleicht fing es schon am ersten Tag in der Berufsschule an. „Wir saßen alle im Kreis und eine Sozialarbeiterin wollte, dass wir erzählen, welche Musik wir hören und was unsere Hobbys sind.“ Die Fragen fand Nora irgendwie komisch, aber sie hat sie beantwortet. Sie erzählte etwas von 70er-Jahre-Diskomusik, die anderen von Hip-Hop und Computerspielen. „Irgendwie fanden die wohl, dass ich nicht so der King bin“, sagt sie und lacht. Sie wollte sich mit ihren Mitschülern über Graffiti unterhalten, dachte das sei vielleicht eine gemeinsame Basis. Aber sie hatte keinen großen Namen oder tolle Zeichnungen vorzuweisen. Das beste Label für ihre Klamotten ist vielleicht „alternativ“.

„Auch Dinge , die wir nicht verstehen, erfordern von uns trotzdem eine angemessene Reaktion.“

Die Mädchen in der Klasse waren von Anfang an komisch. Nach ein paar Wochen fingen auf einmal auch die Jungs an, sie zu schubsen und zu beschimpfen. „Du musst dich wehren“, schrien sie Nora an. „Ich dachte nur: Was ist das hier für ein Scheiß-Spiel?!“. Insgesamt hätten sich neun Leute aus ihrer Klasse gegen sie verschworen, zwei Mädchen, der Rest Jungen. Wenn sie hetzen, dann immer in der Gruppe, nie alleine. Mädchen und Jungen mobben anders, findet Nora. „Die Mädchen sind richtig bösartig und hintergehen dich, verbreiten Gerüchte, die Jungs hauen dir wenigstens direkt eine rein oder schreien dich an.“ Sie muss durchhalten.

„Ich verstehe nichts von der Mischung aus Rülpsen, Pupsen und Stöhnen meiner Mitschüler und noch weniger etwas von dem Gebrabbel und Gesabbere, das ich dort täglich zu hören kriege.“

Doch auch kleinere Störaktionen sind effektiv. Meldet sich Nora, wird sie ausgelacht und ausgebuht. „Am Anfang lagen meine Noten zwischen eins und drei, irgendwann habe ich nachgelassen.“

„Meine Freunde sagen da immer: Lass dich nicht ärgern, aber das hilft nicht wirklich weiter.“

Kurzzeitig war ein älterer Schüler in der Klasse, der den anderen gesagt hat, sie sollten Ruhe geben. Das hat sich gut angefühlt. Auch wenn Nora findet, dass sie sich gegen die Anfeindungen alleine wehren muss. Freunde hat sie, na klar, auch in der Schule. Allerdings hat sie nur eine „Alltagsfreundin“, wie sie sie nennt. Mobbing macht einsam. Nora freut sich über jeden Anruf. Als das Handy während des Gesprächs klingelt, lächelt sie. Am anderen Ende der Leitung spricht eine Frauenstimme. Noras Freude ist schnell weg: „Warum ich krank geschrieben bin? Weil ich so einen Lehrgang machen muss und wieder mit Leuten zusammen bin, die mich beschimpfen und fertig machen“. Die Frauenstimme wird lauter, jetzt wird auch Nora energischer: „Meine Ausbilderin hat selbst vorgeschlagen, dass ich den Lehrgang später mache, weil die so scheiße zu mir sind.“ Das Gespräch wird hitzig, irgendwann legt Nora auf: „Das war meine Tante, sie glaubt mir nicht.“ Sie kann sich nicht vorstellen, dass ihre Mitschüler so gemein seien.

„Ob ich mir Sorgen um meine Zukunft mache? Keine Sorge, so etwas erlebt man auch durchaus an anderen Berufsschulen und oft sogar am eigenen Arbeitsplatz.“

Nora meint, Ignorieren sei die beste Strategie gegen Mobbing. Doch der Preis ist hoch. Zeitweise könne sie nicht mehr schlafen, Nervenzusammenbrüche kamen. Beinahe hätte sie ihre Ausbildung abgebrochen, sie hatte sich schon beim Arbeitsamt nach Alternativen erkundigt. Doch dann siegte der Wunsch, die Ausbildung zu beenden, und sie wollte sich ihr Leben von denen nicht verpfuschen lassen.

„Soweit ich weiß gibt es sogar ein Gesetz gegen Mobbing am Arbeitsplatz, aber irgendwie scheint da nie etwas zu passieren, ich habe schon von Fällen gehört, da hat jemand einem anderen ungestraft jemandem die Haare abgefackelt!“

Anzeige erstatten wollte sie nie. „Was sollen sie machen? Die ganze Klasse austauschen?“ Nora wollte sich selbst helfen, indem sie Selbstbewusstsein aufbaut. Mobbing dürfe nicht dazu führen, dass man sich in Frage stellt. „Es ist schon schwer genug, den Scheiß auszuhalten und durchzustehen“. Träume? Nein, keine. Nicht jetzt.

„Ich muss jetzt erstmal hier mein Zeug gebacken kriegen“.

Die Tasse Tee ist leer. Nora hat sich so richtig ausgekotzt und zündet sich die nächste Zigarette an. „Noch ein Jahr“ sagt sie zum Abschied. Sie lächelt.

River Tucker

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