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Panorama: Schwache Kinder stark machen Aggressive Schüler und Schwänzer werden

im Klenke-Haus wieder fit für das Lernen gemacht

„Jetzt habe ich Freunde und weniger Stress mit den Lehrern“, sagt Hajo. In der Schule gab es ständig Schwierigkeiten mit den Lehrern, er hielt sich an keine Regeln und machte im Unterricht nicht mit. Wurde ihm etwas zu viel, bekam er einen Wutausbruch. Der 13-Jährige ist einer von 17 Schülern, die das Dr.-KlenkeHaus in Steglitz besuchen, eine Jugendhilfeeinrichtung für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche. Die Sieben- bis 15-Jährigen haben mehrere Schulwechsel hinter sich, weil sie den Unterricht störten, Stühle und Tische umwarfen oder gewalttätig waren. Viele von ihnen entwickelten sich zu Einzelgängern, wurden Schulschwänzer.

Bei etlichen wurde das Aufmerksamkeitsdefizit (ADS) diagnostiziert, einige waren bereits in psychiatrischer Behandlung. „Bei uns sind viele Kinder, die keiner mehr will“, sagt Heiko Sandow, Leiter des Klenke-Hauses. Grund dafür sei, dass sie unabhängig von ihren Noten in den Schulen nicht klarkämen. Ziel des Klenke-Hauses ist, ihre sozialen Fähigkeiten zu stärken, um sie in geeignete Schulen reintegrieren zu können.

In den Räumen der Jugendstilvilla werden die Schüler in vier kleinen Gruppen täglich vier Stunden in Mathematik, Deutsch und Englisch unterrichtet. Die Gruppen werden von einem oder zwei Betreuern geleitet. Gemeinsam mit einer Lehrerin übernehmen sechs Erzieher und zwei Sozialpädagogen den Unterricht. „Ich greife die persönlichen Interessen der Kinder auf, um sie zur Mitarbeit zu animieren“, berichtet die Lehrerin. So werden im Deutschunterricht Texte über Dinosaurier und Wasserball geschrieben. Die Ansagen „Heft raus und anfangen“ oder „du musst“ funktionieren hier nicht. Stattdessen wird viel gelobt. Wenn die Kinder unkonzentriert sind, geht sie mit ihnen eine halbe Stunde auf den Spielplatz. Nachdem sie sich ausgetobt haben, geht der Unterricht weiter.

Dass sie nach etwa einem Jahr ruhig und konzentriert die Aufgaben einer Mathematikarbeit erledigen, ist das Ergebnis der pädagogischen und schulischen Förderung. „Bis dahin ist viel soziales Training erforderlich“, berichtet die Lehrerin. Die Unterrichtsstunden werden von 30 auf 45 Minuten gesteigert. Statt Zeugnissen gibt es Urkunden für gute Mitarbeit, schlechte Leistungen werden nicht bewertet. „Die Kinder haben kein Selbstbewusstsein, sie brauchen Aufmerksamkeit und Erfolgserlebnisse“, sagt der Leiter.

Damit sie wieder lernen, mit Kritik umzugehen, gibt es jeden Tag eine Feedback-Runde. „Das war anfangs schwierig, denn wenn einer meinte, sein Nachbar war schlecht, haben die anderen zugestimmt“, berichtet Sozialpädagoge Sandow. Als sie merkten, dass es fair zugeht, begannen sie, sich selbst richtig einzuschätzen und auch die Bewertungen anderer auszuhalten. Aggressionen ausleben können die Kinder in einem mit Matratzen ausgelegten Toberaum. Da geht es richtig hoch her.

Betreut wird im Klenke-Haus bis 16 Uhr. Nach dem Mittagessen stehen Einzelförderunterricht, Gruppenspiele in Sporthallen benachbarter Schulen und Ausflüge auf dem Programm. Dabei sollen die Kinder lernen, sich in der Gruppe zu bewegen und gemeinsam mit anderen etwas zu erreichen. Da sie aus ganz Berlin kommen, gibt es einen Fahrdienst.

Wichtig für die Förderung der Kinder ist die Zusammenarbeit mit den Eltern. Alle zwei Wochen tauschen sich die Betreuer mit den Eltern aus, einmal im Monat findet ein Elternabend und ein Projekttag mit Eltern und Kindern statt. „Viele Kinder haben zu Hause keine Regeln gelernt“, sagt die Psychologin Katrin Lorf. Gemeinsam mit den Eltern versucht sie, Strukturen für die Eltern-Kind-Beziehung zu erarbeiten. Fast alle Kinder kämen aus schwierigen Familienverhältnissen, einige haben zeitweise in Heimen gelebt.

Die Psychologin versucht, mit Körper- und Entspannungsübungen den Kindern beizubringen, wie sie mit Aggressionen umgehen, ohne dass ihr Umfeld leidet. Mit Farben und Knete geben sie ihren Konflikten ein Bild. Aus dem neuen Partner der Mutter wird so eine giftige Schlange. Katrin Lorf bedauert, dass es wegen der Haushaltslage nicht genügend individuelle Betreuungsplätze für alle verhaltensauffälligen Jugendlichen gibt. Die Folge sei, dass viele von ihnen im Heim oder auf der Straße landeten.

Fünf Jugendliche des Klenke-Hauses wechseln nach den Sommerferien wieder an Schulen. Hajo ist einer von ihnen. Der erfolgreiche Wasserballspieler freut sich auf eine sportbetonte Gesamtschule, denn er würde am liebsten Profisportler werden. Ein bisschen Angst hat er vor dem Schulalltag mit den kaum vermeidbaren Ermahnungen, aber er hat gelernt, seine Wutausbrüche in den Griff zu kriegen, und läuft nicht mehr weg, wenn es Konflikte gibt. Um sich an das neue Schulleben zu gewöhnen, besucht er bereits an zwei Tagen die siebte Klasse.

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