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© Doris Spiekermann-Klaas

Tecktonik tanzen: Zappeln unterm Fernsehturm

Tecktonik ist das neue Ding aus Frankreich: schnell, hart, bunt. Jetzt ist der Tanzstil in Berlin angekommen.

Das Parlament der Jungs und Mädchen trifft sich zu seinen Sitzungen am Fernsehturm auf dem Alexanderplatz. Es scheint beinahe so, als hätte jede Szene einen ihrer Repräsentanten dorthin geschickt: Emos, Jumper, Punks, Indies und viele, die noch keinen Namen haben, hängen in losen Grüppchen auf den Stufen rum, rauchen und posieren für die Kameras der Touristen. Hier werden sie in Ruhe gelassen, hier geht es nicht um Szenekriege, hier geht es darum, sich der Welt vorzustellen.

Seit ein paar Wochen hat eine neue Gruppe diese Bühne betreten, sie wurde auf Anhieb zum Lieblingsmotiv der Touristen, weil sich die Fotos der neonbunten, zappelnden Jungs und Mädchen so gut zum Vorzeigen daheim eignen. So verrückt ist Berlin! Und so sehen die dort aus: die Jeans sind röhrig, die Sneakers knallig, die Schnürsenkel müssen zu den Kanye-West-Brillen passen, Gestelle in leuchtenden Farben, die eher an Rollläden erinnern, und die der Rapper den Stylern dieser Welt vor einem Jahr geschenkt hat. Aber wichtiger als das Bunte ist das Zappeln. Und dieses Zappeln heißt Tecktonik.

Tecktonik ist ein Tanz aus Frankreich, zackig, dynamisch, schnell. Wie ein Augenflimmern auf Elektrobeats. Für die Besucher oben am Fernsehturm muss es so aussehen, als sei eine Packung Smarties simultan durchgedreht. Die einen halten diese Art zu tanzen für das nächste große Ding. Die anderen für einen epileptischen Anfall. Den Tänzern selbst ist das egal. Wer vor dem Fernsehturm performt, will vor allem eins: auffallen um jeden Preis. Luca, 16 und die Zwillinge Stefan und Christian, 20, haben dafür nicht einmal vor einem Vokuhila zurückgeschreckt – eigentlich der modische Tod unter Gleichaltrigen. Oder eben ganz weit vorne, die Jugendkultur kann manchmal furchtbar kompliziert sein. Für Marina, 15, ist es einfacher, sie ist ein Mädchen. Also spart sie nicht an Farbe und Geld, wenn es um die richtigen Klamotten geht. Pose ist alles.

Tecktonik ist an sich nicht neu, nach heutiger Zeitrechnung ist er fast jenseits des Haltbarkeitsdatums. 2000 wurde der Tanz in einem Pariser Club erfunden. Eine Mischung aus Breakdance, Hiphop und Vogueing, dem Nachahmen von Modelposen. Von da aus schwappte er samt dazugehörigem Kleidungsstil und Musik auf französische Straßen, dann in die Medien, Charts und Kaufhäuser.

Der Export ins Ausland klappt mit wechselndem Erfolg. Die Russen sollen verrückt nach Tecktonik sein, auch Italien ist infiziert. In England schüttelt man nur den Kopf. Und in Deutschland? „Der Boom ist noch nicht da“, sagt ZebraXx, „aber er kann kommen.“ ZebraXx heißt mit bürgerlichem Namen José Beauruh, er ist Musicaldarsteller, Tanzlehrer und Jugendbetreuer. Außerdem der inoffizielle Sprecher für Tecktonik in Deutschland und eine Art Mentor für alle, die anfangen wollen. 2006 hat er den Tanz zum ersten Mal in einem französischen Ferienlager gesehen und es sich von seinen Zöglingen beibringen lassen. Für ihn ist Tecktonik die einzige Möglichkeit, sich anmutig zu elektronischer Musik zu bewegen und sich gleichzeitig auszupowern. Ein guter Aggressionsdämpfer. Zurück in Deutschland hat ZebraXx Anleitungen für die Schritte auf die Videoplattform Youtube hochgeladen – und es haben so viele geklickt, dass er beschlossen hat, Tecktonik an einer Tanzschule in Kreuzberg anzubieten. Seine Kurse sind bis jetzt die einzigen in Deutschland. Die meisten lernen im Internet.

„Im Netz ist Tecktonik längst angekommen“, sagt ZebraXx, „der Schritt nach draußen ist aber schwer.“ Es gibt Tecktonik-Foren, fast jeder kennt die Videos von Stars wie Jey-Jey Wantek – jenem Wunderjungen, der es bei Youtube auf fast 13 Millionen Klicks brachte. In den Clubs und auf den Straßen sieht es aber noch mau aus: „Die meisten trauen sich nicht“, sagt ZebraXx. Natürlich könne man nicht erwarten, dass ein französischer Tanztrend automatisch in einem anderen Land funktioniere. Er glaubt, dass die Hemmschwelle, öffentlich zu tanzen, in Deutschland generell höher sei. Vielleicht hänge es mit dem Körperselbstverständnis zusammen. Möglich sei auch, dass hierzulande noch mehr als anderswo das Urteil der Gleichaltrigen gefürchtet wird. Lieber eine Mode verpassen, als aus der Masse herausstechen. Damit sie sich was trauen, müssen sie eine große Gruppe hinter sich spüren. Und genau daran droht Tecktonik zu scheitern, noch bevor die Nische zum Trend wird. „Weil Jugendliche, jeder für sich, vor ihren PCs üben, kann es passieren, dass Tecktonik im Netz versickert.“

Luca hat Tecktonik zwar im Internet entdeckt, und dort auch nach Gleichgesinnten gesucht. Zum Üben ging er aber gleich nach draußen. Auch wenn er zuerst Gelächter erntete. Inzwischen wurden aus schrägen Blicke anerkennende. „Die meisten aus meiner Klasse kennen Tecktonik“, sagt Luca. „Und ich wette, schon viele haben vor dem Spiegel geübt.“ Für die Tanzfläche reicht der Mut meistens nicht. Auch nicht bei Tecktonikpartys, die der Franzose Edouard seit ein paar Monaten in Berliner Clubs organisiert, zum Beispiel im Maxim. Es wird geglotzt, mitgemacht aber selten. Edouard bleibt trotzdem dran: „Ihr Deutschen mögt am Anfang ein bisschen steif sein“, sagt er, „aber wenn ihr was anfangt, dann hört ihr nicht auf, bevor ihr die Besten seid.“

Noch will der Funke aber so recht nicht überspringen. Da hilft auch wenig, dass Volkswagen und das Teenie-Modelabel New Yorker ihre Produkte mit Tecktonik bewerben. Oder dass sich die Medien auf die wenigen Tänzer stürzen. Trends werden nicht aufgesetzt. Sie entstehen auf der Straße. Zum Beispiel unter dem Fernsehturm.

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