zum Hauptinhalt
318183_0_619de309.jpg

© Mike Wolff

Theater: Zwischen Schule und Schaubühne

Seine erste Filmrolle hatte Vincent Redetzki mit sechs. Heute, mit 17, gilt er als großes Theatertalent

Es ist halb drei am Nachmittag, als bei Vincent Redetzki das Handy klingelt. „Hallo?“, murmelt er in den Hörer, dreht sich im Bett um. Das Telefon hat ihn in seinem Ferienschlaf geweckt. Ob er denn noch ein paar Fragen zu seinen Filmen beantworten könne, fragt der Journalist am anderen Ende der Leitung.

Vincent Redetzki könnte jetzt sehr arrogant sein. Er könnte auflegen, wieder davon träumen, wie er über rote Teppiche stolziert. Er könnte im Schlaf zufrieden grunzen und die Namen der bekannten deutschen Schauspieler aufzählen, mit denen er schon zusammengearbeitet hat. Aber Vincent Redetzki tut das nicht.

„Worum geht es denn?“, fragt der Spandauer Jugendliche. Wenig später sitzt er in der Cafeteria der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz, lehnt sich über den Tisch, damit nicht jeder hört, dass er interviewt wird. Derzeit ist er hier in „Trust“ zu sehen, einem Stück von Anouk van Dijk und Falk Richter. In zwei Stunden muss er auf die Bühne. Er ist aufgeregt.

Vincent ist jetzt 17 Jahre alt. Ein Alter, in dem viele Jugendliche darüber nachdenken, was das Leben bringen soll. Vincent hat diese Gedanken elf Jahre vorverlegt. Als er sechs war, stand er zum ersten Mal vor einer Kamera. Seine gesamte Familie war von einer Agentur in einem Café gecastet worden. Vincent durfte damals bei „GZSZ“ einen Satz sagen. Vielleicht der wichtigste Satz seines Lebens. Er merkte, dass das seine Welt ist. Dass er nichts anderes mehr machen wollte.

Er wird manchmal gefragt, ob seine Eltern in Wahrheit für seine Karriere verantwortlich seien. „In gewisser Weise schon. Aber ohne Unterstützung der Eltern funktioniert so etwas doch überhaupt nicht. Sie haben mich, als ich klein war, oft zu den Drehs begleitet.“ Sein Vater holt ihn nach den Vorstellungen an der Schaubühne immer mit dem Auto ab. Denn auch Vincent muss morgens pünktlich in der Schule sein. Dort ist egal, ob sein Gesicht über Kinoleinwände flackert oder nicht. Noten zählen.

2004 fing er an der Schaubühne an, da war er elf und das Stück damals hieß „Unter Eis“. Nach der Premiere stand Jürgen Schitthelm, der Direktor des Theaters, am Rand der Bühne. Schaute Vincent an und sagte zu den Mitarbeitern, die um ihn herumstanden: „Aus dem wird mal ein ganz großer Schauspieler.“

Es folgten weitere Theaterstücke wie „Im Ausnahmezustand“ oder Kinofilme wie „Die wilden Hühner“ und „Sommer vorm Balkon“. Für letzteren gewann er 2006 den „Undine Award“ als bester Filmdebütant. Vor kurzem stand er wieder vor der Kamera. An der Seite von August Diehl und Johanna Wokalek spielt Vincent einen Soldaten. „Die kommenden Tage“ wird in diesem Jahr in den Kinos laufen. Vielleicht ist es der endgültige Durchbruch.

Vincent hat sich eine Cola geholt. Die macht munter. „Ich bin ein ziemlich müder Mensch“, sagt er. Müdigkeit gehört zu seinem Leben, genauso wie Fanpost. 2004 beschrieb er einem Zeitungsreporter noch, wie er seine erste Fanpost kritisch beäugte: wie einen Eindringling in seiner betont-normalen Welt.

Vor wenigen Monaten war Redetzki zur Verleihung des Deutschen Fernsehpreises eingeladen. Was denn wäre, wenn sie tatsächlich… Nein, das war nicht möglich, hatten er und seine Kollegen kurz vor der Verleihung noch gedacht. Und dann fiel da sein Name, zusammen mit den Namen seiner Ensemble-Kollegen. Förderpreis für die beste Nebendarstellung in dem ZDF-Dreiteiler „Die Wölfe“. Das Zittern war weg. Die Bühne, die vielen Kameras. „Das war wie ein Traum“, erinnert er sich. Kurz darauf wurde die Produktion noch mit dem amerikanischen Fernsehpreis „Emmy“ ausgezeichnet.

Vincent geht jetzt in die elfte Klasse der Martin-Buber-Oberschule, hat die Leistungskurse Deutsch und Geschichte. Er sei dort einer von vielen, sagt er. Aber das stimmt nicht ganz. „Klar, da kommen manchmal Leute, die mich für einen Star halten, aber über so etwas kann ich nur müde lächeln.“ Da habe es einmal einen Fan gegeben, der ein Autogramm verlangte. „’Tschuldigung, aber ich will jetzt einfach mal meine Ruhe haben“, hatte Vincent gesagt. Der Fan wurde wütend und rastete aus. „Das kann doch nicht wahr sein, oder?“, fragt Vincent. Er will kein Star sein. Sondern Schauspieler.

„Tendenziell mag ich Theater sogar lieber als Filme“, sagt er. Da sei man näher an den Zuschauern dran. Ein ganz anderes Gefühl sei das. „Meistens spiele ich Problemfälle. Irgendjemand hat mir mal gesagt, ich habe das passende, leidende Gesicht dazu.“ Vincent lacht. Benicio del Toro ist sein Lieblingsschauspieler. Die beiden haben etwas gemeinsam: Sie spielen gerne kriminelle oder gescheiterte Personen. Und haben damit Erfolg.

Vincent liebt komplizierte Charaktere. Für einen Tatort musste er vor kurzem seine Film-Mutter töten – „so etwas geht an die Substanz.“ Dass er sich solchen Rollen stellen kann, hat vor allem ein Mensch möglich gemacht: Regisseur Falk Richter, der den 11-jährigen Vincent an die Schaubühne holte. Er erkannte schon damals das Talent des jungen Schauspielers. „Falk schreibt viele Rollen direkt für mich“, sagt er.

Vincent Redetzki muss jetzt los. Er schließt seine Jacke, schlüpft aus der Tür und verschwindet in der Dunkelheit. Er wird gleich wieder auftauchen: im Scheinwerferlicht der Schaubühne.

Rick Noack

Zur Startseite