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Panorama: Tobende Nonnen und Tänze ohne Jungs

Christiane Bertelsmann, unsere Leserin, besuchte ein katholisches Mädchengymnasium

Anne war schuld. „Geh doch auch auf meine Schule“, meinte sie, als sich nach der vierten Klasse die Frage stellte, auf welches Gymnasium ich wechseln sollte. Anne war damals meine beste Freundin, und ihr Wort galt mir wie das Evangelium: Sie war drei Jahre älter, hatte zwei Hunde und endlos viele Klassenkameradinnen. Als sie mir in Aussicht stellte, dass wir die Pausen zusammen verbringen würden, war die Entscheidung gefallen. Früher hätte man das St. Ursula Höhere Töchterschule genannt; damals, Anfang der 80er Jahre, sagte man katholisches Mädchengymnasium. Eine absolute Rarität, selbst im vorwiegend katholisch geprägten Süddeutschland.

Es war ein ganz schön heftiger Wechsel von der Dorfschule, zu der ich zu Fuß laufen konnte, in die Stadt, mit dem Bus nach Freiburg, für mich eine Mega-Stadt mit 200 000 Einwohnern. Weil ich Geige spielte, kam ich in die 5 m. M wie Musik. Außerdem gab’s noch die Klassen 5 a bis d. Alle bestückt mit mindestens 30 Mädchen. Als einzige Klasse bekamen wir eine Nonne zur Klassenlehrerin, Schwester Maria Veronika, eine Benediktinerin mit schwarzer Kutte. „Jetzt kommt mal mit, Mädchen, ich fress euch schon nicht auf“, sagte sie zur Begrüßung. So ganz sicher waren wir uns da nicht.

Schwester Veronika, das sollten wir rasch merken, war eine Vollblut-Musikerin, die schon mit uns Fünftklässlerinnen Kinderopern einstudierte. Wenn wir zu viel kicherten, riss ihr der Geduldsfaden. Dann brüllte und wütete sie an ihrem Pult, dass uns angst und bange wurde. Unsere katholische Mädchenschule brachte – neben einer Nonne als Klassenlehrerin – noch ein paar Besonderheiten mit sich: Religion war Pflichtfach, selbst für die Hand voll muslimischer Mädchen, die sich an unsere Schule verirrt hatte. Für die evangelische Minderheit, zu der ich gehörte, war die 1. Stunde am Donnerstag frei. Die anderen hatten Gottesdienst in der schuleigenen Kirche. Ein weiteres spezielles Schulfach war Kirchengesang, immer samstags, gleich eine Doppelstunde. Geleitet wurde auch dieses Fach von Schwester Veronika. Zum Glück war mit den frommen Liedern ab der siebten Klasse Schuss, vielleicht dachte man, nach zwei Jahren müssten wir nun wirklich alle können.

In der Unterstufe fiel uns kaum auf, dass die Jungs fehlten. Natürlich beobachteten wir voller Interesse, wie die großen Mädchen von ihren Freunden nach der Schule abgeholt wurden und knutschend vor dem Eingang standen. Manchmal wagte sich eine Truppe Jungs aus der Berufsschule nebenan auf unseren Schulhof, wurde allerdings von Lehrern oder dem Hausmeister sofort vertrieben. Bemerkbar machte sich der Jungsmangel, als wir aufs Landschulheim fuhren. Es ist eben nur mäßig prickelnd, mit der Banknachbarin Stehblues zu tanzen. Zu den Schulpartys durften die Jungen dann kommen.

Wir hatten natürlich auch männliche Lehrer. Wenn sie jung waren und nicht allzu schlecht aussahen, konnten sie sicher sein, dass ihr Unterrichtsfach zum Lieblingsfach wurde. Am Ende der 11. Klasse hatte ich – dank eines gut aussehenden Physiklehrers – plötzlich richtig viele Punkte. Als es Richtung Abitur ging, machten sich die Vorzüge der getrenntgeschlechtlichen Erziehung bemerkbar: Neben den sonst mädchentypischen Leistungskursen wie Französisch und Deutsch hatten wir auch zwei Mathe-Leistungskurse und einen Physik-Lk.

Anne habe ich dann nur einmal wieder gesehen. Während einer der ersten Hofpausen hat sie mir zugewinkt. Wenig später hat sie die Schule gewechselt.

Christiane Bertelsmann, Jahrgang 1968, ging von 1980 bis 1988 auf das katholische Gymnasium St. Ursula in Freiburg, das bis heute eine Mädchenschule ist. Sie lebt als freie Journalistin in Berlin.

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