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Panorama: Umtausch ausgeschlossen

An Heiligabend gibt’s oft furchtbare Geschenke. Unsere Autoren erinnern sich – und wünschen: Schöne Bescherung!

Ein Elektrobaukasten? Was bitte schön sollte ich mit einem Elektrobaukasten? Eine ganze Box voller Dioden, Transistoren, Verstärkern und Drähten, und wenn man sich genau an die Anleitung hielt und alle Schaltkreise richtig legte, leuchtete zur Belohnung eine Glühbirne auf. Wahnsinn. „Für Elektronik-Fans“ stand auf der Packung geschrieben. Konnten meine Eltern nicht lesen oder war das die Rache für meine hässlichen Filzstiftbilder, die ich ihnen jedes Jahr zu Weihnachten schenkte? Dabei hatte ich mir diesmal doch einen Detektivkoffer gewünscht – mit Lupe, Taschenlampe und echtem Fingerabdruckpulver! Ich dankte also Mama und Papa und hatte bereits im zarten Alter von zwölf Jahren endlich einen triftigen Grund gefunden, offen gegen meine Eltern zu rebellieren. Blieb die Frage: Loch ins Ohr oder Haare grün?

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Heiligabend 1990. Ich war 15, fand Weihnachten ziemlich überschätzt und wollte später unbedingt noch in die Diskothek gehen. Als ich beim Karpfenessen erstmals meinen dreisten Gedankengang äußerte, rollten meine Eltern schon mit den Augen – meine Tante hingegen bekam leuchtende. Sie, nach eigenen Aussagen in den Siebzigern eine echte Szenegängerin, schien auch mehr Lust auf Disko zu haben als auf beschauliches Abhängen unterm Tannenbaum. Die Bescherung kam, und als sie mir ihr Geschenk präsentierte, konnte sie sich kaum noch halten: „Das musst du unbedingt nachher anziehen, am besten mit Pumps!“ Langsam wickelte ich das goldene Cellophan ab und mein Blick fiel auf eine Radlerhose! Grundfarbe Schwarz, mit Kuhflecken in Pink, Blau und Lila. Hauteng, aus Plastik, gespickt mit Pailletten – leider wurde mir plötzlich sehr schlecht von dem fettigen Karpfen. Ich bin nicht mehr weggegangen. Dagny Lüdemann

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Das Unheil begann bereits 24 Stunden vor Heiligabend auf dem Weihnachtsmarkt. Sonja und Katrin hatten sich rote Bommelmützen über die Haare gestülpt und geröstete Mandeln geknackt. „Sagt mal, ihr Nasen, wollen wir nicht Glühwein trinken?“, fragte Sonja irgendwann in die Runde und Katrin – eine Düsseldorferin und somit permanent in Feierlaune – nahm dankend an und konkretisierte das Vorhaben mit dem Zusatz: „Nur mit Schuss!“ – „Klaro, schön Amaretto!“, rief Sonja und schon hatten wir die ersten bunten Porzellantassen in der Hand. So ging das noch eine Weile, bis wir schließlich laut „I’ve been looking for freedom“ auf dem Weihnachtsmarkt gesungen haben, ein Popklassiker, gesungen von David Hasselhoff. Am nächsten Abend hatten wir alle immer noch Kopfschmerzen und ich einen Weihnachtsbriefumschlag an der Tür. „Von Sonja und Katrin“, stand darauf. „Gutschein für ein Getränk beim David-Hasselhoff-Konzert“. Ich habe ihn bis heute nicht eingelöst. André Görke

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Taillenhoch,eckig, aber kein Hifi-Karton – es war das größte Geschenk von allen.Ich war damals zwar schon Siebzehn, das änderte aber nichts daran, dass mich dieses Paket am meisten interessierte. Ratsch, eine Bahn Geschenkpapier, dann die zweite, Stoff blitzte hervor, Holz, vier Beine – ein Esszimmerstuhl. Ein Esszimmerstuhl? Ich starre das Ding an, mein Vater sagt: „Aber genau den hast du dir doch gewünscht!“ Lachen? Weinen? Freude heucheln geht nicht mehr. „Du hast auf dieses Schaufenster gezeigt und gesagt, so einen, genau so einen wolltest du schon immer haben.“ Erinnern kann ich mich weder an das Schaufenster noch an den Einkaufsbummel, und garantiert kein bisschen an einen Esszimmerstuhl mit mint-rosefarbenem Bezug. Ich besaß damals nur mein Kinderzimmer, und dafür braucht man echt keinen Vollholz-Esszimmerstuhl mit strukturgewebter Polsterung. Mein enttäuschter Vater versuchte mich mit Probesitzen zu überzeugen: „Der ist auch so bequem! Der stützt den Rücken richtig ab!“ und meine Mutter sagte: „Papa ist durch die ganze Stadt gelaufen, um dieses Schaufenster wiederzufinden.“ Ich habe das Scheusal behalten. Es ist dreimal mit mir umgezogen, hat einen dunkelroten Samtbezug bekommen und wurde mein Studenten-Schreibtischstuhl. Jedes Mal, wenn mein Vater mich besuchen kam, hat er darin gesessen. Er hat kurz geseufzt und gesagt, wie gut dieser Stuhl den Rücken abstütze. Das gute Stück brach entzwei, als ich ihn Jahre später als Leiter benutzte. Neu verleimt hat er noch zwei Jahre wackelnd weitergelebt, und als ich meine Magisterarbeit auf ihm tippte, ist er ganz klischeehaft, wie das Gerätschaften und Gegenstände in Prüfungen so tun, nach dem Drucker und vor der Computertastatur zusammengebrochen. Ein gutes Ende für einen Stuhl, eigentlich. Nur dass es mir inzwischen richtig Leid tat. Wir hatten uns so aneinander gewöhnt. Jeannette Krauth

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Ich war zehn Jahre alt und bekam unter anderem einen Kassettenrecorder mit Aufnahmefunktion geschenkt. Die Eltern dachten: Nehmen wird als Erstes die Bescherung auf, dann haben wir gleich eine schöne Erinnerung ans Fest. Sie drückten die weiße Play- und die rote Record- Taste, bimmelten mit der Weihnachtsbimmel und ich legte los. Was man hört: leises Glockengeläut aus dem elterlichen Radio, Papierrascheln, mein Wispern: Ich brauche eine Schere, noch mehr Rascheln. Ich erinnere mich genau: Es war ein Nicki, orangefarben mit einem aufgestickten Oldtimer, grünen Ärmeln und grünem Kragenbündchen. Ich sage: „Oh, ein Schlafanzug!“ Und meine Mutter sagt: „Das ist ein Pullover.“ Dann war es still. Ich habe den Pulli nur einmal angezogen, und wurde dafür stundenlang ausgelacht. Ariane Bemmer

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Unsere Beziehung war jung. Er war tagelang nicht ansprechbar gewesen, weil er über ein Geschenk für mich nachdachte. Bei der Übergabe waren wir beide sehr aufgeregt. In der roten Samtschatulle lag das ausnahmslos Schrecklichste, was ich jemals gesehen hatte: Ein gelber, spitzer Tigerzahn in einer silbernen Fassung, der an einem speckigen Lederband hing. Die Kette habe bereits seinem Großvater gehört, sagte er pathetisch, als er sie mir umlegte. Ich war nicht sicher, ob es das besser machte. Ich heuchelte Freude, innerlich weinte ich und spielte vor meinem geistigen Auge Kombinationsmöglichkeiten eines Tigerzahns mit dem Inhalt meines Kleiderschrankes durch. Die Beziehung hielt nicht lange. Das Erste, was er anschließend zurückforderte, war zum Glück die Tigerzahnkette. Elena Senft

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Es war nie einfach, meiner Oma etwas zu schenken. Sie war eine resolute Frau, die tonnenweise Plätzchen gebacken hat, sie an die gesamte Verwandtschaft verschickte, aber selbst nichts geschenkt haben wollte. Bis vor zehn Jahren konnte ich noch mit Gnade – wahlweise: Keks-Ignoranz– rechnen, wenn ich ihr trotzdem ein Geschenk auf den bunten Gabentisch legte. Eines Abends hatte dann mein Bruder ihren Lieblingswein „Rosenthaler Kadarka“ gekauft, meine Eltern versuchten, mit einer Kristallschale Eindruck zu schinden, und ich hatte edle Pralinen bei „Leysieffer“ geholt. Doch alle Geschenke fegte sie vom Tisch und maulte: „Was soll ich damit? Ich hab genug! Wer soll das alles tragen?“ Als sie später wieder abfuhr, fanden wir ihre alljährlichen Geschenke in unseren Zimmern. An jenem Abend bin ich erstmals in den Genuss ihrer selbst gebackenen Kekse gekommen. Ulf Lippitz

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Es gibt Fehler, die einfach nicht wieder rückgängig zu machen sind. Dazu gehört, Personen im engeren Umfeld in der Vorweihnachtszeit von den eigenen Vorlieben zu berichten. Ich hätte stutzig werden müssen, als meine Mutter mich vor vier Jahren bei einem Besuch so komisch ansah und betont beiläufig fragte, ob ich lieber einen Tee oder einen Kaffee trinken möchte. Ein paar Wochen später lag unter dem Weihnachtsbaum ein fünfteiliges Teeservice. Das hat mich zwar nicht gerade freudig erregt, wäre aber auch nicht weiter tragisch gewesen, wenn ich in den folgenden beiden Jahren nicht zwei weitere Teeservices hätte auspacken müssen. Um ein viertes Teeservice möglichst geschickt zu vermeiden, habe ich meine Mutter vor ein paar Wochen darauf hingewiesen, dass ich jetzt langsam genug Teebehältnisse habe. „Oh, na gut“, sagte sie schuldbewusst. Dann grinste sie und fragte: „Backst du eigentlich gerne?“ Christian Hönicke

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