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Unendliche Weite. Wegen der mangelnden Abwechslung auf den Highways empfehlen sich Streichhölzer, die man gegen den Sekundenschlaf zwischen die Augenlider klemmt.

© privat

Unterwegs im Ausland: Auf die gerade Tour

Endlose Weite, humorlose Polizisten: Auf einem Roadtrip durch die USA lernte unsere Autorin einiges.

LEKTION 1

Wichtig auf einem Roadtrip durch die USA: Geduld und Streichhölzer, die sich auf den täglichen Etappen bei drohendem Sekundenschlaf zwischen die Augenlider klemmen lassen. Endlose Weite und unberührte Natur, soweit das Auge reicht. Wälder, schnurgerade Straßen mit dem markanten gelben Doppelstrich auf dem Asphalt und eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 90 km/h. „Folgen Sie dem Straßenverlauf für 387 Kilometer“, flötet die freundliche Navi-Stimme. Mit Tempomat ähnelt das Fahrerlebnis dem eines Autoscooters. Nebenbei lässt sich im Handumdrehen der nächste Weihnachtspulli stricken, ein Kreuzworträtsel lösen oder ein Eimer mit frittierten Hühnerflügeln verspeisen – mit dem Lenkrad zwischen den Knien kein Problem. Wenn man sich an den vorbeiziehenden Riesenbäumen in den Red Woods von Kalifornien, Steinwüsten in Oregon und Sand in der Prärie sattgesehen hat, wird es allerdings noch mal spannend. Auf 387 Kilometern Wildnis gibt es keine Tankstelle. Wird diese Tatsache bei 45 Grad in der Wüste harte Wirklichkeit und das einzig Essbare an Bord sind fünf Tage alte Donuts, so bekommt am Ende auch die längste Etappe geradeaus ihre ganz eigene Spannung.

Fahr Süd. Fünf Wochen fuhr Constanze die Westküste der USA entlang.
Fahr Süd. Fünf Wochen fuhr Constanze die Westküste der USA entlang.

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LEKTION 2

Abwechslung? Nicht unbedingt. USA, das Land der Vielfalt – so meint man zumindest. Was öffentliche Radio-Stationen angeht, ist die musikalische Abwechslung hingegen gering. Der Ami-Mainstream scheint genau zehn Songs zu mögen und wenn der Slogan des Radiosenders lautet: „Only the best in American music“, dann bekommt man auch nur das Beste, in Dauerschleife. So hörten wir Carly Rae Jepsens „Call me maybe“ mindestens dreimal die Stunde, auf sechsstündigen Autofahrten pro Tag also 18 Mal. Ob in der Wüste, im Gebirge oder an der Küste, am besten man ruft Carly von überall aus mal an. Und bittet sie bei Gelegenheit direkt, die Platte zu wechseln. Oder man steigt von Anfang an auf selbst gebrannte CDs um. Mindestens genauso originell wie das Radio ist das US-Fernsehen. Wer glaubt, mit den Geissens, Frauentausch oder anderen Scripted-Reality-Formaten hätten wir hierzulande die Entertainment-Niete gezogen, schalte einfach zu beliebiger Tageszeit den TV-Sender TLC an. Man nehme ein Motel „Bollywood-Style“ in Aberdeen, einer der totesten Städte der Westküste, zwei deutsche Mittzwanzigerinnen und einen Abend Leerlauf. „Wir wollen unterhalten werden, egal wie“, hatte uns ein befreundeter Ami zuvor mitgeteilt. Egal wie ließen auch wir uns an diesem Abend berieseln: mit dem Serien-Highlight „Toddlers and Tiaras“. Darin stylen überambitionierte Mütter ihre zweijährigen Töchter wie Barbie, setzen ihnen falsche Gebisse ein und schicken sie auf Schönheitswettbewerbe. Erschreckend, denn man möchte doch meinen, Kinder hätten das Bedürfnis zu spielen, anstatt sexy Choreografien im Cowgirl-Outfit vor einer Jury vorzutragen.

Polizisten verstehen keinen Spaß

Mit Ansage. Wer die Langeweile sucht, der folge dem Schild.
Mit Ansage. Wer die Langeweile sucht, der folge dem Schild.

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LEKTION 3

Man könnte verhungern, auch auf kleinen Ausflügen. Die Lösung: Ein Cooler sollte immer an Bord sein. Was hierzulande als Kühlbox, also als extrem unhandliches Reiseaccessoire bekannt ist, gehört in den USA zum Inventar eines jeden Autos. Gefüllt mit Eiswürfeln befindet sich im Cooler alles, was man für einen zweistündigen Ausflug zum Crystal Mountain braucht: Sandwiches, Chips, Eistee, Cola, Wasser, Saft, Kekse, Waffeln, ein gegrillter Truthahn und Tabletten gegen Übelkeit. Vorsorge ist wichtig, denn man könnte zum Beispiel mit dem Auto liegen bleiben. So abwegig ist dieses Szenario tatsächlich nicht, denn einen Tüv, der den Zustand des fahrbaren Untersatzes überwacht, gibt es in den USA nicht. So lange das Auto fährt, fährt es. Auch wenn man nach dem letzten Unfall durch’s Fenster einsteigen muss.

LEKTION 4

Die Kehrseite der Medaille. „Will work for food or sleep“, steht in unsauberen Buchstaben auf dem kleinen Pappschild. Ein Mann sitzt am Straßenrand, das weiße Ringerunterhemd ist schon lange nicht mehr weiß; die Füße stecken in Stofffetzen, die früher wohl mal Socken waren. Seine Haut ist bedeckt von Pusteln, gegerbt vom Wetter. Und laufen kann er auch nicht mehr. Was für eine Arbeit sollte das sein, die ihm Essen und einen Schlafplatz ermöglicht? Wir kaufen ihm ein Frühstück und einen Kaffee. Mir kommen die Tränen, ich kann dieses pure und unverfälschte kleine Glück in seinem Gesicht kaum ertragen. In Eureka kommt somit eine der wichtigsten Lektionen zutage, die ich auf meinem fünfwöchigen USA-Trip lerne: Der „American Dream“ kann schnell nach hinten losgehen. Denn wer einmal durchs Raster der eh schon maroden Sozialversorgung Amerikas fällt, steht schnell mit so einem Schild vor McDonald’s oder sitzt vor der Obdachlosenmission in Portland, Perspektiven gleich null. Ein Elend, das mich nachhaltig beschäftigt.

Lecker. In der Not aß unsere Autorin auch alte Donuts.
Lecker. In der Not aß unsere Autorin auch alte Donuts.

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LEKTION 5

Immer eine Jacke dabei haben. Amerikaner scheinen chronisch zu schwitzen oder haben vielleicht sogar eine höhere Körpertemperatur als Europäer. Um das zu umgehen, herrschen in allen öffentlichen Gebäuden, Restaurants oder Läden arktische Temperaturen, sogar in Las Vegas. Air Condition heißt das Zauberwort. Selbst das eigene Auto wird auf angenehme zehn Grad runtergekühlt. Eine Jacke und ein Schal werden empfohlen, um nicht am Lenkrad festzufrieren. Das Geschäft mit dem Eis scheint ein stabiles zu sein, ich habe mir überlegt, dort zu investieren. Ein Amerikaner verbraucht so viele Eiswürfel in einem Jahr, wie ich in meinem ganzen Leben nicht. Sei es, um die Minibar im Cooler gut temperiert zu halten oder um im Restaurant sein Getränk einzufrieren, denn man trinkt Eiswürfel mit etwas Wasser, nicht umgekehrt. Eigentlich bräuchten die Amis gar keine Kühlbox, wenn ihr Auto als Cooler auf Rädern durch die Gegend fährt.

LEKTION 6

Polizisten haben Autorität. Sie sind jung, gut trainiert und selten zu Scherzen aufgelegt. Cops wissen um ihre Wichtigkeit zum Erhalt von Recht und Ordnung und nehmen ihre Berufung todernst. Viele scheinen zu glauben, sie seien Mitglied im SWAT-Team, einer Spezialeinheit für Sondereinsätze. Dabei sind sie einfach nur auf Verkehrsstreife. Wenn man also dazu tendiert, keinen blöden Spruch auszulassen, könnte man in Schwierigkeiten geraten. Auf die Aufforderung „Please, pull over!“ – man möge doch rechts ranfahren – sei die Frage nach dem Sinn eines Pullovers bei 30 Grad im Schatten nicht empfohlen. Auch kann es passieren, dass ein Polizist nachts um drei mit seiner Stabtaschenlampe, die einem den Schädel spalten könnte, ans Autofenster klopft, weil man unerlaubt am Strand von Santa Barbara übernachtet. In diesem Fall lässt man dessen Namensschild mit dem Titel „Officer Bacon“ besser unkommentiert und zeigt sich nach Abmahnung, Aufnahme der Personalien und einem gut gemeinten „It’s only for your protection, girls!“ lieber heilfroh, dass Officer Schinken einen vor Schlimmem bewahrt hat. Fazit: Es ließen sich Bücher schreiben über Amerika, hätten das nicht so viele vor mir schon getan.

Constanze Bilogan

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