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© Thomas Schmitz

Vancouver 2010: Der Wettkampf seines Lebens

Einen Club hat er zum letzten Mal im vergangenen Sommer von innen gesehen. Und auch sonst hat Short-Tracker Robert Seifert wenig Zeit für Hobbys. Außer sie haben was mit Sport zu tun

Es ist 8 Uhr abends kanadischer Zeit, als zwei Personen mit rot-weißen Jacken das Café betreten. Der deutsche Adler auf der linken Seite ihrer Jacke lässt ihre Nationalität erkennen. Vor mir stehen Robert Seifert und sein Trainer Éric Bédard. „Hallo!“, sagt Robert zur Begrüßung. Etwas verlegen legt er seinen Ausweis für das Olympiadorf auf den Tisch.

Robert Seifert hätte allen Grund, stolz auf seine bisherige Laufbahn zu sein und das auch zu zeigen. Doch er tut es nicht. Sein Blick ist starr auf seinen Kaffee gerichtet, während wir uns unterhalten. Abgesehen von der athletischen Erscheinung deutet äußerlich kaum etwas darauf hin, dass der Mann, der neben mir sitzt, einer der deutschen Olympiateilnehmer im Short-Track ist.

Doch der Eindruck täuscht. Kaum wendet sich unser Gespräch dem Sport zu, leuchten Roberts Augen und ein Lächeln erhellt sein Gesicht. Seit dem zwölften Lebensjahr betreibt er ihn nun schon. „Am meisten fesselt mich der Mann-gegen-Mann-Kampf am Short-Track", sagt er. „Anders als beim Eisschnelllauf treten Short-Tracker nicht nur gegen die Zeit an, sondern besonders gegen ihre Gegner.“

Der Eisschnelllauf ist Robert Seifert nicht unbekannt. Schon mit vier Jahren wagte sich der gebürtige Dresdener auf die Eisfläche. An Olympia war damals nicht zu denken. „Schritt für Schritt habe ich mir meine Erfolge erarbeitet, ohne je den Traum eines Olympiameisters vor Augen zu haben“, sagt Robert. Seit einiger Zeit ist das jedoch anders. „Olympia ist nun Thema. Mein Kopf arbeitet im Vier-Jahres-Takt.“

Auf meine Frage, ob ein Privatleben neben dem Leistungssport überhaupt möglich ist, lacht er kurz auf. „ Natürlich. Ich führe ein relativ normales Leben. Andere gehen morgens zur Arbeit, und ich gehe zum Training, da besteht also kein großer Unterschied. Nur wenn ich mit der Mannschaft für einige Wochen in einem Trainingslager verbringe, oder aber zu diversen Wettkämpfen antrete, weicht meine Arbeit von der eines Durchschnittsbürgers ab.“

Doch auch wenn Robert Seifert gerne Bescheidenheit an den Tag legt,  unterscheidet sich das Leben eines Leistungssportlers doch sehr vom sogenannten Alltag seiner Altersgenossen. In der Disko war er das letzte Mal im Sommer. Ohnehin sei er nach dem Training meist nicht mehr in der Stimmung für große Unternehmungen, von der körperlichen Erschöpfung ganz abgesehen. „Wenn ich nach Hause komme, bevorzuge ich es dann doch eher, auf dem Sofa zu liegen und zu entspannen, als nun feiern zu gehen.“ Das hat wie im Leben eines jeden Leistungssportlers einen ganz besonderen Grund: Robert will die Verletzungsgefahr so gering wie möglich halten.

Mit Verletzungen hat Robert Seifert ohnehin genug Erfahrungen. 2006, beim Weltcup im kanadischen Chicoutimi, prophezeiten ihm viele Medien schon ein frühzeitiges Karriereende. Im Viertelfinale des 500-Meter-Rennens  war er schwer gestürzt, seine Ärzte gaben sich pessimistisch, was seine zukünftige Sportlaufbahn anging.

Doch Robert Seifert ist mit viel Willenskraft und Anstrengung zu seiner ursprünglichen Form zurückgekehrt, hat den Trainingsrückstand aufgeholt. Rückblickend fällt ihm zu dieser Phase seines Lebens ein Zitat von Bertold Brecht ein: „Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“

Über Alternativen zum Short-Track hat sich Robert nur selten Gedanken gemacht. Zu sehr bindet ihn die Liebe zum Sport. Selbst als seine Karriere auf der Kippe stand, hat er den Glauben an sich nicht verloren und trotzdem weitergemacht. „Ich habe die Hoffnung nie aufgegeben und außerordentlich viel Unterstützung von meiner Familie, meinen Freunden und natürlich meinem Trainer bekommen. Ohne sie hätte ich das vermutlich nicht geschafft.“ Ein Jahr hat ihn der Unfall gekostet hat. Heute dreht er seine Runden auf dem Eis, als sei nie etwas geschehen.

Robert Seifert spricht offen, aber mit gedämpfter Stimme über diese Zeit. Dabei blickt er nachdenklich durch die gläserne Fensterscheibe auf Vancouvers Straßen. Die Stadt ist hell erleuchtet. Wolkenkratzer bilden einen Kontrast zu den Bergen im Hintergrund. „Eine schöne Stadt“, sagt er und schweigt. 

Viel gesehen hat der Sportler von ihr bislang aber noch nicht. Zwei Mal am Tag trainiert er, danach ist er zu erschöpft für touristische Siteseeing-Touren. „ Nach dem Training noch viel zu  laufen, rächt sich am nächsten Tag sofort.“ Robert hat in seiner bisherigen Laufbahn viele fremde Städte und Länder bereist. Das hat ihn allerdings nie dazu veranlasst, seinen Geburtsort Dresden zu verlassen. Zu viele Erinnerungen verbindet er mit der Stadt. Die ersten Runden auf dem Eis. Die Zeit am Sportgymnasium Dresden, wo sein Talent gefördert wurde. Dagegen schmieren Wolkenkratzer und tolle Wintersportmöglichkeiten ab. 

Robert Seifert schaut auf die Uhr. Es ist schon spät. Am nächsten Morgen muss er früh zum Training. Ausschlafen oder Rücksicht auf Jet-leg gibt duldet Trainer Éric Bédard nicht. Der verteidigt sich: „Das ist nur zu deinem Besten.“

Unser Gespräch neigt sich dem Ende, und auch die Mitarbeiter des Cafés geben uns deutlich zu verstehen, dass sie gerne schließen möchten. Mühsam erheben wir uns aus den bequemen Stühlen. Nach der Verabschiedung sehe ich zwei große Gestalten mit roten Pullovern und weißen Westen in den dunklen Straßen von Vancouver verschwinden. In Gedanken sind sie vermutlich gerade bei dem bevorstehenden Wettkampf. 

Jacquline Möller

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