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Panorama: Von jetzt an geht’s bergab

Gut, dass es einen Namen für die Krise gibt, in der David steckt. Er lautet: Quarterlife-Krise

Neulich habe ich gelesen, dass erwachsen ist, wer freiwillig früh ins Bett geht. Diese Definition eines Münchner Psychologen hat mich sehr beunruhigt. So gesehen bin ich nämlich schon ziemlich lange erwachsen, länger als mir lieb ist. Ich habe mir zum Beispiel angewöhnt, einfach nach Hause zu gehen, wenn mich eine Party langweilt, und eben nicht mehr so lange Bier zu trinken, bis mir alles egal ist. Manchmal gehe ich sogar schlafen, wenn die Party gut ist, weil ich am nächsten Tag viel zu tun habe.

Auch die Zahlen sprechen gegen mich, denn der Psychologe hat festgestellt, dass das freiwillige frühe Zubettgehen bei Frauen mit durchschnittlich 19,5 und bei Männern mit 20,9 Jahren einsetzt. Da liege ich mit meinen 24,1 Jahren deutlich drüber. Mich hat diese Meldung zutiefst beunruhigt. Ich hatte nämlich sowieso in letzter Zeit das Gefühl, dass es jetzt langsam, aber sicher ernst wird. Doch jetzt bin ich mir sicher, ich habe die Quarterlife-Krise. Den Begriff haben die beiden jungen Amerikanerinnen Alexandra Robbins und Abby Wilner erfunden. Sie haben hundert Leute um die zwanzig befragt und dabei herausgefunden, dass sie alle ihre Schwierigkeiten mit dem Erwachsenwerden haben, und dann haben sie daraus ein Buch gemacht. Warum ich weiß, dass ich diese seltsame Krise habe? Hier kommen ein paar Symptome.

Ich habe mein Auto verkauft, mein erstes eigenes, gut, es war auf meine Mutter zugelassen, aber ich bin damit durchs ganze Land gefahren, nach München zum Zivildienst, nach Leipzig zum Studium und sogar bis nach Budapest. Einen symbolischen Euro hat mir ein freundlicher Autoverwerter dafür noch gezahlt.

Eigentlich mache ich mir nicht besonders viel aus Autos und fuhr deswegen einen Opel Kadett, der schon länger mit sich zu kämpfen hatte. Je älter mein 1990 zugelassenes, weinrotes Geschoss mit dem sportlichen Vierganggetriebe wurde, desto stärker entwickelte es ein undurchdringbares Eigenleben. Vielleicht ist das der Grund, warum ältere Menschen bevorzugt Kadett fahren. Sie erkennen sich selbst wieder in diesem störrischen, klapprigen Gebilde, das mit technischem Firlefanz nichts zu tun haben will.

Mein Wackeldackel stand vorne an der Windschutzscheibe. Seine Anwesenheit und vor allem sein positives Wesen beruhigten mich: Ist schon okay, dass du eine Rentner-Schüssel fährst, schien er mir mit seinem Nicken sagen zu wollen. Jetzt steht er in meinem Zimmer auf dem Boden und nickt nicht mehr. An unsere gemeinsame Zeit im Auto, viereinhalb Jahre immerhin, erinnert nur noch das ausgeblichene Fell auf seinem Rücken. Sein Anblick ist ein einziger Vorwurf. Es ging aber einfach nicht mehr. Am ganzen Auto funktionierte nur noch das Kofferraumschloss einwandfrei. Und auf Dauer ist es doch ein bisschen umständlich, durch den Kofferraum ein- und auszusteigen.

Die Geschichte des Niedergangs meines Kadetts ließe sich beliebig fortsetzen. Davon zu erzählen, wäre bestimmt ganz spaßig, würde aber zu nichts führen – ähnlich wie Kaffeeverabredungen mit Ex-Freundinnen oder die nervigen Anekdoten alter Leute aus der guten alten Zeit, die es so natürlich nie gegeben hat. Jedenfalls hatte ich plötzlich das Gefühl, dass der Abschied von meinem Kadett, den ich auf dem Hof des Autoverwerters ein erstes und letztes Mal getätschelt habe, nur ein Vorbote weiterer, tief greifender Veränderungen in meinem Leben war.

Mein Freund Ingo hat seit ein paar Monaten eine neue Freundin, mit der er im März zusammenziehen wird. Als er mir das erzählt hat, es war Karneval und wir saßen in meiner rheinischen Heimatstadt auf einer Bank und tranken schon mittags Bier, erlitt ich einen Schock. Ausgerechnet Ingo, den ich wegen seines anarchischen Wesens so liebe. Ausgerechnet Ingo, der zu seinen bisherigen Frauen ein eher ironisch-distanziertes Verhältnis gepflegt hat. Natürlich freue ich mich für ihn, dass er endlich mal eine gefunden hat, bei der er seine Deckung aufgibt. Ich mag seine Freundin, finde auch, dass die beiden gut zueinander passen. Aber das ist verdammt noch mal noch lange kein Grund, zusammenzuziehen und Sätze zu sagen wie „Eigentlich mag ich ja keinen Teppich, aber K. möchte das im Schlafzimmer so haben. Was soll man machen?“

Ich habe das Gefühl, dass Ingo gerade einen großen Fehler macht und kann nichts dagegen tun, außer vorsichtig meine Einwände zu äußern. Doch die dringen gar nicht zu ihm durch, weil er so verknallt ist. Deutlicher möchte ich aber nicht werden, weil ich grundsätzlich ja nichts gegen diese Beziehung habe. Und Neid auf das Liebesglück anderer wird Singles wie mir ja gerne und schnell unterstellt. Die für mich fatale Folge einer solchen Offensive wäre wahrscheinlich auch, dass die beiden noch enger zusammenrücken auf ihren knapp 60 Quadratmetern, und ich noch stärker darum kämpfen müsste, Zeit mit Ingo zu verbringen. Zeit, die ohnehin schon begrenzt ist, da wir rund 500 Kilometer voneinander entfernt leben.

Den ersten Kampf habe ich schon verloren, denn Ingo wird mir nicht bei meinem Umzug nach Berlin helfen, so wie er das bisher immer getan hat. Es ist der Bruch mit einer Tradition, der mir schmerzhaft bewusst gemacht hat, dass ich im Moment wohl am Ende eines nicht so schlechten Lebensabschnitts stehe.

Ingo’ Prioritäten haben sich verschoben, er will mit seiner Freundin zusammen sein und nicht länger mit mir seinen Kleiderschrank zusammenbauen und danach viel Bier trinken. Natürlich werden wir Freunde bleiben, ist doch klar, aber klar ist auch, dass es irgendwie anders sein wird – wie so vieles.

Wo ist das Problem?, könnte man fragen und Hesse zitieren: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben“. Das Erwachsensein hat aber leider seinen Zauber verloren. Nur Kinder sagen noch mit leuchtenden Augen: „Wenn ich mal groß bin, dann …“-Sätze, so genannte Heranwachsende oder formal Erwachsene sagen eher „Eigentlich sollten wir erwachsen werden“ – als trotzige, verunsicherte Reaktion auf die zunehmende Verantwortung und abnehmende Freiheit.

Warum also erwachsen werden, wenn man es als moderner Peter Pan besser oder zumindest leichter hat? Die bisherigen Reifekriterien wie Schulabschluss, regelmäßiges eigenes Einkommen und eigene Wohnung haben schließlich ihre Aussagekraft verloren.

Ich bin jetzt gerade 24 geworden und werde ab 1.April zum ersten Mal in meinem Leben regelmäßig arbeiten und Geld verdienen. Zwar nur für ein Jahr, weil ich danach noch mein Studium abschließen muss, doch der lockere Teil meines Lebens ist wohl endgültig vorbei. Gemerkt habe ich das, als mein künftiger Arbeitgeber mich gebeten hat, zu planen, wann ich denn innerhalb dieses Jahres Urlaub nehmen möchte. Woher soll ich das denn jetzt schon wissen?

Mein Freund Björn, der schon seit etwa fünf Jahren regelmäßig arbeitet und Geld verdient, hat mir von einer gemeinsamen Bekannten erzählt, 20 Jahre alt, die sich vom Verdienst ihres Ferienjobs eine Kaffeemaschine für 1000 Euro gekauft hat. Das fand Björn, ganz toleranter Rheinländer, noch voll okay, „wenn die meint“. Seine Gemütsruhe hat er allerdings vorübergehend verloren, als er gemerkt hat, dass sämtliche Tassen der Freundin zueinander passen und die Gläser auch, „die waren von Leonardo“, alles an ihrer Wohnung habe so fertig gewirkt, so endgültig und das machte wiederum Björn fertig.

Mein Leipziger WG-Zimmer, das ich in den nächsten Tagen ausräumen werde, ist ein einziges Provisorium. Meine Stereoanlage zum Beispiel besteht aus einem alten Doppelkassettenrecorder, der auf einem alten CD-Player steht. Solange dieses eingespielte Team noch funktioniert, werde ich daran auch nichts ändern – erst recht nicht seit Björns Geschichte. Oder würde ich mir sofort eine Bang&Olufson-Anlage kaufen, wenn ich nur das Geld dafür hätte? Ich hänge auch keine Bilder auf, die lehnen an der Wand, höchstens Poster, damit ich beim Ausziehen keine hässlichen Löcher stopfen muss. Oder will ich mich einfach bloß noch nicht einrichten – weder in meinem Zimmer noch in meinem Leben?

Ich bin jetzt gerade 24 geworden und werde ab 1. April zum ersten Mal in meinem Leben regelmäßig arbeiten und Geld verdienen (ja, ich weiß, das ist ein großer Erfolg in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit), mein bester Freund zieht mit seiner Freundin zusammen (ja, ich weiß, das ist sein gutes Recht) und mein erstes eigenes Auto ist Schrott (ja, ich weiß, das ist ein Luxusproblem).

Ich habe eigentlich keine Ahnung, was zuerst da war, der Begriff „Quarterlife-Krise“ oder meine so wunderbar dazu passenden Erlebnisse und Gefühle. Aber eines ist sicher: Ich werde gerade erwachsen und kann rein gar nichts dagegen tun. Es fühlt sich nicht gut an.

David Denk

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