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Anstehen als Ritual. Die Schlange am Eingang steigert die Spannung. Gehört man zu denen, die ins Berghain reindürfen, oder wird man abgewiesen? Diese Frage stellen sich die Besucher jedes Wochenende aufs Neue, denn die Türsteher des Clubs gelten als die strengsten der Stadt.

© Steffi Loos/dapd

Willkommen im Club: Zum ersten Mal im Berghain

Ist der Club wirklich so toll wie sein Ruf? Unser Autor wollte es herausfinden. Das Protokoll einer Premiere.

Auf diesen Samstag freue ich mich schon seit zwei Wochen. So sehr, dass ich die Nacht zuvor vor Aufregung kaum ein Auge zumachen kann. All die Geschichten, die ich übers Berghain gehört und gelesen habe, geistern mir durch den Kopf. Sind es nur fantastische Hirngespinste, oder ist an den Anekdoten über diesen sagenumwobenen Techno–Tempel tatsächlich was dran? Ich bin gespannt. Bevor es losgeht, lege ich mich noch einmal hin. Denn obwohl ich noch nie da war, weiß ich eines genau: Für das, was kommt, braucht man Energie. Viel Energie.

Es ist kurz nach acht. Nur noch wenige Stunden bis zum Aufbruch, bis zu meinem persönlichen Coming-of-Age-Moment. Duschen, Anziehsachen rauslegen, fertig machen. Ab jetzt bevorzuge ich die Farbe Schwarz, alles andere ist egal. Ob T-Shirt, Pulli, Jeans, Cordhose, Lederjacke, Mantel – Hauptsache es ist schwarz und passt irgendwie zusammen.

Den Weg bin ich zwar noch nie gegangen, aber ich habe ihn vorher im Internet genau studiert. Es ist, als hätten meine Beine auf Autopilot gestellt. Die Oberbaumbrücke entlang, links in die Seitenstraße und dann über eine sumpfartige Landschaft, die nach dem Gewitter mit tiefen Pfützen übersät ist. Vorbei an den stillgelegten Gleisen, und jetzt kann ich es schon hören, das Stimmengewirr der Leute, die auch ins Berghain wollen. Die Aufregung steigt, man sieht ihn jetzt: diesen neoklassizistischen Bunker, der sich anmutig am nächtlichen Firmament abzeichnet und über dessen Zukunft gerade viel spekuliert wird.

Anstehen. Ich frage mich, wie ich aussehe, wie ich rüberkomme. Hände lieber in die Hosentaschen oder raus? Spielt das überhaupt eine Rolle? So etwas wie eine Einlass-Garantie gibt es im Berghain bekanntlich nicht. Der Typ sei entscheidend, heißt es. Was immer das auch bedeuten mag. Die Bässe vibrieren bis vor die Tür. Ein erster Adrenalinkick. Jetzt dreht es sich um die eine, alles entscheidende Frage: Komme ich rein? Die Schlange bewegt sich zügig Richtung Eingang, viele werden aussortiert. So wie die zwei jungen Männer, die enge Jeans, weite Tanktops und Brille tragen und Händchen halten. Mit einer kurzen Geste gibt ihnen der Türsteher zu verstehen, dass hier heute nichts mehr zu machen ist. Scheiße, ich habe auch ein Tanktop an. Doch der Einlasser ist gnädig und winkt mich durch. Der Stempel auf meinem Unterarm: ein erster Triumph.

Vor mir tut sich ein Moloch auf. Das Gehirn schaltet ab, die Reizüberflutung ist zu groß. Ich bin in einem merkwürdig entrückten Zustand, denn der Ort steht für sich. Über eine Treppe geht es in den ersten Stock. Und dann ist es so weit, ich stehe mitten auf der Tanzfläche. Um mich herum glückliche Gesichter. Aus den meterhohen Boxen kommt Musik. Der Bass übernimmt die Regie meines Körpers und bewegt ihn wie von selbst. Als Tanzen kann man das, was mit mir passiert, nicht bezeichnen. Egal. Das Gefühl der Stunde: Glückseligkeit.

Für den Rest der Nacht lege ich mein Schicksal in die Hände des DJs. Er lenkt die Masse, die ihm hörig zu sein scheint. Zu behaupten, er sei eine Art Gott, wäre polemisch und falsch. Aber wie der Besuch einer Kirche ist auch diese Erfahrung hier alltagsübersteigend, fast transzendierend. Die Gesetzmäßigkeiten eines strukturierten Ablaufs werden hier außer Kraft gesetzt. Regeln, die unter der Woche gelten, werden hier bewusst aufgehoben – man verlässt die Realität und begibt sich in eine Parallelwelt.

Abtauchen in ein anderes Universum

Ich tauche ein in ein neues Universum. Es ist dunkel und roh, aber dennoch herzhaft. Es scheint einer aberwitzigen Fantasie entsprungen zu sein, mit Gestalten, die im normalen Alltag untergehen. Man kann hier als Ritter oder Indianerhäuptling verkleidet herumlaufen, in Unterhose oder nackt. Nur wer normal ist, der sticht heraus. Muskelpakete lächeln einen an und geben Bier aus, ohne dabei in irgendeiner Weise aufdringlich rüberzukommen. Der Barkeeper (oder ist es eine Barkeeperin? so genau kann man das nicht sagen) verdreht bei jeder neuen Bestellung lachend die Augen.

Hete, Homo – egal. Hauptsache mittendrin sein, eintauchen. Dieses Rein ist gleichzeitig ein Raus. Für viele Gäste hat es eine zusätzliche Bedeutung. Eine erotische Stimmung kommt in einem auf, wenn man an den vielen dunklen Ecken vorbeikommt. Was hier passiert, will niemand wissen, sehen, hören. Je weiter die Nacht fortschreitet, desto exzessiver verhalten sich die Gäste in den Ecken. Irgendwann gibt es kein Halten mehr, und wenn zwei Menschen auf dem Sofa neben der Raucherlounge Oralverkehr haben, dann ist das für die Vorbeigehenden so normal wie ein knutschendes Pärchen in der S-Bahn. Freiheit wird an diesem Ort radikal ausgelebt. Für manche ist das ein beängstigendes Gefühl, für andere ein erlösendes. Es gibt nur eine Prämisse: „What happens in Berghain stays in Berghain.“ Filmen und fotografieren ist strengstens verboten, iPhone-Knipser werden von wachsamen Mitarbeitern nach draußen geleitet.

Nach einer Weile geht mir jegliches Gefühl für Zeit verloren, der Stress fällt ab. Das Aufheben der Grenze zwischen Tag und Nacht ist für viele Besucher mit Drogen verbunden, aber längst nicht für alle. Die Sinne erweitern sich schon allein durch den Ort, die Musik, das Licht, den Rauch. Die Bewegung des Körpers zum Takt der Musik und das Glücksgefühl, Teil dieser Familie sein zu dürfen, setzen genug Endorphine frei.

Schlimm wird es erst beim Verlassen der Höhle. Ich trete vor die Tür und muss blinzeln. Die Sonne blendet, es ist schon Mittag. Nachdem ich gerade so viele Stunden im Dunkeln verbracht habe, gewöhnen sich meine Augen nur langsam an die Helligkeit. Alle Probleme und Pflichten des Alltags, die auf der Tanzfläche vergessen waren, kehren mit dem Licht wieder zurück ins Bewusstsein. Und doch ist da noch Freude. Freude auf das Bett und Freude darüber, dass man teilhaben und vergessen durfte. Nächste Woche wieder.

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