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Wir müssen REDEN (72): Knutschen mit den Backstreet Boys

Für welches Jahrzehnt stehst du? Das fragte Elena Senft vor zwei Wochen. Ric Graf antwortet ihr heute.

Eines Morgens saß ich an meinem Schreibtisch, ich war noch etwas verschlafen und sortierte meine CDs. Das musste mal gemacht werden, in ein paar Kartons hatte ich schon lange nicht mehr reingeguckt. Dabei fand ich ein paar Scheiben, an die ich mich lieber nicht erinnert hätte, echte Gruselexemplare aus den 90ern: „Bravo-Hits“ waren ebenso dabei wie Scheiben von den „Backstreet Boys“, „No Mercy“ und „Caught in the Act“. Erinnerungen an erste Knutsch-Partys mit 13 kamen sofort wieder hoch.

Gleichzeitig erfüllte mich aber auch ein Schamgefühl: Die 90er waren irgendwie peinlich. Die Musik war gut gemeint, aber eher schlecht produziert, die Klamotten reichten von der Techno-Taucherjacke über neonfarbene Shirts bis hin zu Baggys. Und die Loveparade feierte ihren Durchbruch. Richtig überzeugend klingt das alles nicht.

Ich bin 1985 geboren, habe von den grellbunten Farben, dem Punk und der wachsenden alternativen Szene also nicht viel mitbekommen. Ich bin ein Kind der 90er: Da fand meine Sozialisierung in Sachen Musik und Mode statt, die meine Pubertät glücklicherweise nicht überdauerte. Viele Jahrzehnte, die ich spannend finde, habe ich nicht erlebt. Ich wäre gerne in den 60ern in Großbritannien gewesen und hätte den aufsteigenden Rock ’n’ Roll miterlebt, oder die 20er Jahre in Berlin, die kulturell glanzvoll, aber politisch heikel waren. Die 70er und der Punk, die Dramatik in der deutschen Politik – all das fasziniert mich heute.

Aber genau da liegt das Problem – im Heute. Im Hier und Jetzt mache ich meine Erfahrungen, werde von der heutigen Musikszene weit mehr geprägt als vom Rückblick in vergangene Zeiten. Ereignisse wie der 11. September oder die aktuelle Finanzkrise – all das verbindet sich auch mit meinem Erwachsenwerden. Die Nullerjahre sind bislang die größte Klammer für mein Leben, mit ihnen wachse ich, auch wenn der Blick zurück die Gegenwart manchmal trübt. Vielleicht kommt mein Jahrzehnt aber auch erst noch: Ich habe das Gefühl, 2020 wird verdammt gut. Ist aber nur so ein Gefühl.

Elena, wie lebst du 2020?

Nächsten Freitag antwortet Elena Senft.

Nächsten Freitag antwortet an dieser Stelle Elena Senft.

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