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© privat

Wir müssen REDEN: Hau mir ab mit Freiheit!

Wolltest du mal abhauen? Das fragte Ric Graf vorigen Donnerstag. Elena Senft antwortet ihm heute.

Ein einziges Mal in meinem Leben wollte ich abhauen. Und dabei ist abhauen nicht im Sinne von in ein fernes Land auswandern gemeint, weil man die Schnauze voll von Berlin hat oder Angst vor Steuernachzahlungen oder der Polizei und deswegen lieber in der Karibik eine Tequila-Bar betreiben will. Sondern richtiges, ehrliches Abhauen. Türmen. Sich verdünnisieren.

Ich muss 17 gewesen sein. Wir waren eine Gruppe alberner Mädchen. Und wenn uns nicht in zahlreichen Filmen und Büchern vorgelebt worden wäre, dass das Klettern in Freibäder ein zu vernachlässigendes Kavaliersdelikt sei und außerdem wichtiger Bestandteil der eigenen Selbstfindung, hätten wir es wohl bleiben lassen. Freundin L. raunte mir ins Ohr, sie würde bis drei zählen und dann würden wir den trägen Polizisten, die gerade unsere Personalien aufnahmen, davonrennen. Natürlich waren die Polizisten schneller und bedienten sich wettbewerbsverzerrender Hilfsmittel, so dass wir schließlich wie zwei Eidechsen in Schockstarre in einem gleißenden Lichtkegel gestellt und abgeführt wurden.

Und warum bin ich so stolz auf diese Geschichte? Weil ich so feige bin. Ich bin ein rechtschaffener Bürger. Wenn am Schlachtensee ein Schild steht, das das Baden vom gemieteten Ruderboot aus verbietet, dann kann es noch so romantisch sein, ich gehe nur von der ekligen legalen Badestelle aus hinein. Ich überklettere keine Zäune, denn es hat sie ja jemand dort hingestellt. Wenn ein Schild ein „Privatgrundstück“ ausweist, hacke ich mir eher einen Arm ab, als das Areal widerrechtlich zu betreten. Ich schmuggele keine Getränke in Diskotheken, ich bezahle sie so lange, bis ich pleite bin. Nach Hause muss ich dann laufen, weil ich nie schwarzfahren würde. Wenn ich einen Strafzettel bekomme, dann finde ich das berechtigt. Ich habe für das Abstellen meines Pkw keinen Parkschein gelöst, obwohl das Pflicht ist. Ich muss dafür bestraft werden und bezahle anstandslos, fast freudig. Ein ehrliches Bußgeld, danach ist man entschuldigt.

Und alles stehen und liegen lassen und Abhauen in die Karibik wegen der Tequila-Bar am Strand? Natürlich nicht! Denn ich hätte ja schließlich keinen Grund, auszuwandern. Und falls doch, wäre die Polizei sicherlich auch dieses Mal wieder schneller als ich.

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