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Panorama: Wissen, auf Sand gebaut Leserin Vera Kloß hatte Unterricht im Zeltlager

Ich kam 1946 in die Elisabethund- Gudrun-Mittelschule in Charlottenburg. Wir hatten kaum Schulbücher, keine Hefte, kalte Klassenzimmer.

Ich kam 1946 in die Elisabethund- Gudrun-Mittelschule in Charlottenburg. Wir hatten kaum Schulbücher, keine Hefte, kalte Klassenzimmer. Aber eines Tages hatte unser Klassenlehrer eine sensationelle Idee. Er verlegte den Unterricht in ein Zeltlager. Was für ein Abenteuer für uns 15-jährige Mädchen! Das war 1948 zur Zeit der Berlin-Blockade. Niemand kam raus aus der Stadt. Da wollte uns unser Lehrer wenigstens eine kleine Abwechslung bereiten. Ende September fuhren wir für zehn Tage zum Postfenn im Grunewald ins Zeltlager. In den Zelten konnten zwölf Mädchen schlafen. Wir haben uns früh morgens draußen unter freiem Himmel gewaschen, was zu dieser Jahreszeit schon gewaltig frisch war.

Die Toilette bestand aus einem „Donnerbalken“, für kleinere Geschäfte ging es in den Wald. Das alles wurde uns verschönt durch den flotten, braun gebrannten Lagerleiter Rudi, den wir alle anhimmelten.

Der Unterricht fing morgens um acht Uhr an. Wir saßen vor den Zelten im Kreis auf dem Boden. Manchmal war es etwas schwierig, den Lehrer zu verstehen, weil alle drei Minuten englische Flugzeuge über uns hinwegflogen, die Care-Pakete und andere Güter zum Flugplatz in Gatow brachten. Im Erdkundeunterricht war das Gedröhne nicht so schlimm. Hier sollten wir Nord- und Südamerika als Relief in den Sand bauen. Wir sammelten Kiefern-Zapfen, Moos, Blätter und Zweige. Der Lehrer hatte blaue und weiße Pulverfarbe für Flüsse und Bergspitzen mitgebracht und Fähnchen für die Namen der Städte. Auch an Bindfäden und Messlatten hatte er gedacht, damit wir das Relief maßstabgetreu bauen konnten. Wir begannen die Arbeit, die immer mehr Spaß machte.

Urwälder wurden mit den Kiefern-Zapfen markiert, der Amazonas und der Orinoco nahmen durch die blaue Farbe Gestalt an und die kunstvoll mit Wasser und Sand aufgeschütteten Bergketten erhielten zum Teil weiße Spitzen. Die Fähnchen standen mit den richtigen Namen an den Stellen der großen Städte. Wir waren sehr zufrieden mit unserem Werk. Dieser anschauliche Geografieunterricht hat uns mehr vermittelt als die trockene Buchweisheit in den Jahren zuvor.

Vera Kloß ist 72 Jahre alt. Sie hat als Einzelhandelskauffrau, Dekorateurin und im öffentlichen Dienst gearbeitet.

Vera Kloß (72) ging während der Berlin-Blockade in die Schule. Der Lehrer verlegte den Unterricht ins Zeltlager, um den Kindern eine Abwechslung zu bieten. Dort bauten sie mit Sand.

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