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© privat

World Wide WEG: Status hier und dort

Ihr neues Leben in Washington kann unsere Autorin gar nicht genießen - sie ist zu sehr damit beschäftigt, ihre Freunde in Deutschland daran teilhaben zu lassen

Von: Wlada Kolosowa

An: werbinich@tagesspiegel de

Betreff: Status hier und dort

Ich spiele mit dem Gedanken, mir ein MacBook zu kaufen. Ein neuer Computer wäre in meinem Fall kein egoistischer Konsum sondern Gemeinnutz. Alle meine deutschen Freunde wohnen in meinem Laptop: in Facebook, Skype, in der Mailbox oder bei StudiVZ. Sie haben ein hübsches Zuhause verdient. Na gut, nebenbei geht es mir darum, meine Zeit vor dem Rechner erträglicher zu machen. Dort verbringe ich einen beachtlichen Teil meines Alltags. Anstatt mich kopfüber in das amerikanische Hier zu stürzen, schneide ich stundenlang Fratzen in die Webcam, tippe Finger wund oder hämmere wie ein Specht auf die Aktualisierungstaste, um anhand der Statuszeilen zu entziffern, was gerade im deutschen Dort passiert.

Freundschaften sind Arbeit geworden. Angenehme Arbeit, klar. Doch die Prämissen, auf denen sie einst beruhten, haben sich ins Gegenteil verkehrt: Während Freunde früher dazu da waren, das Leben unkomplizierter und angenehmer zu machen, muss man sie jetzt auf To-Do-Listen schreiben, ihretwegen den Wecker früher stellen – und mit Gewissensbissen kämpfen, wenn das Postfach trotz aller Bemühungen vor unbeantworteten E-Mails überquillt. Zu sehr bin ich damit beschäftigt, das Hier und Jetzt für die Daheimgebliebenen zu protokollieren. Manchmal bin ich der Synchronisierung der Echtzeit müde. Bin es Leid, die immer gleichen Geschichten in zwanzigfacher Ausführung zu erzählen. Dann wünsche ich mir nichts sehnlicher als eine Kamera auf der Stirn, mit der ich die anderen einfach in mein Leben konferenzschalten kann.

Oder ein Blog. Wie einfach es wäre! „Und, wie geht’s dir so?“ „Lies mein Blog!“ Ein Link, und schon kann sich der Freund durch mein amerikanisches Leben klicken, Fotos angucken und in meinem redaktionell polierten Leben stöbern. Wie effizient! Dumm nur, dass das der Natur von Freundschaften widerstrebt. Blogs sind später eine tolle Erinnerung und geeignet, alle Welt auf mein Leben neidisch zu machen. Aber Freude sind ja deshalb Freunde, weil sie nicht alle Welt sind. Deshalb wohne ich lieber teils in Amerika und teils im Computer, statt Fließbandzuneigung zu produzieren.

Ich und die Gebliebenen, wir kommunizieren im luftleeren Raum. Unsere Beziehung kennt weder Tag noch Nacht. Wir lächeln mit Klammern und weinen mit Kommas, drücken Lippen auf Webcams, hauchen, säuseln, turteln mit Telefonstimme, fühlen uns wie Idioten und machen es trotzdem. Weil man den anderen long-distance streicheln möchte. Mit Interpunktionszeichen oder dämlichen Skype-Animationen. Egal wie idiotisch. Hauptsache persönlich.

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