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World Wide WEG: Unsere neue Kolumne

Der Abschied von Berlin fällt schwer. Unsere Autorin packt trotzdem den Rucksack für ihr Auslandsjahr in den USA.

Von: Wlada Kolosowa

An: werbinich@tagesspiegel.de

Betreff: Öl ins Feuer

Es wäre so einfach, zu bleiben. So schmerzlos. So stressfrei. Gerade hat man sich von Mutti abgenabelt, das U-Bahn-Netz kapiert und den Weg zur Uni, zum Supermarkt und zum Lieblingsclub auf Autopilot gestellt. Die Häuser in Berlin haben Gesichter bekommen und die Gesichter in Hörsälen Namen. Ich habe lang für diese Routine geschuftet. Vier Semester habe ich gebraucht, um kein Tourist mehr zu sein in der Stadt, in der ich mit Erstwohnsitz gemeldet bin. Jetzt fühlt sich das neue Leben, endlich, endlich nach Alltag an und nicht nach täglicher Herausforderung. Und ich? Ich mache alles kaputt. Mit eigenen Händen und bei vollem Bewusstsein. Tausche sanierten Altbau in der - sofern man der internationalen Flüsterpost glaubt - momentan aufregendsten Stadt der Welt gegen Campus-Dreierzimmer und Gruppendusche in einem Vorort in den USA, bei dessen Suche sich Google Maps regelmäßig ratlos aufhängt. Und zahle dafür auch noch einen Batzen Geld, von dem man vier Jahre lang sorglos die Autopilotwege hätte gehen können.

Ist das Selbstverstümmelung? Gewissermaßen ja. Es ist ein Auslandsjahr.

Ich jammere, ich weiß. Und ich jammere auf hohem Niveau. Niemand hat mich zum Austausch gezwungen. Ich wollte das so. Und habe sogar überdurchschnittlich Glück gehabt: Eine freundliche Stiftung hat einen Teil des Geldbatzens finanziert und eine freundliche Tageszeitung bezahlt mich sogar für das Gestöhne darüber. Objektiv gesehen hat niemand weniger Grund zu jaulen, als ich. Da aber alle Probleme so groß sind, wie sie sich anfühlen, bemitleide ich mich ausführlich auf meiner Abschiedsparty. Die Aufgabe der Zuhörer ist nicht, mir konstruktiv aufzuzeigen, dass ich auf der Sonnenseite des Lebens stehe. Ich will nur am Kopf getätschelt werden, als Anerkennung meiner opferungsvollen Weltgewandtheit. Sie wissen es, ich weiß es auch. Und kann trotzdem nicht damit aufhören, mit meinem Abschiedsschmerz hausieren zu gehen.

So ganz ohne ein Körnchen Wahrheit ist mein Klagelied jedoch nicht. Erst in den letzten Tagen ist die Erkenntnis gekommen, dass Gehen auch Aufgeben bedeutet und damit die Frage, ob es sich trotzdem lohnt. Der Auslandaufenthalt ist im Organisationstaumel zum Selbstzweck geworden: Visaanträge, Auslandsversicherungen und Gepäckgewichtbegrenzungsbestimmungen haben das Warum erstickt. Das Warum kam erst in den letzten Tagen, in einer sehr banalen Kulisse - wie alle Sinnfragen. Ich stand in der Supermarktschlange, eine Flasche Olivenöl für die WG in der Hand, und habe plötzlich kapiert: Die wird ohne mich leer. Plötzlich wurde ich ganz eifersüchtig auf meinen Zwischenmieter und wehleidig ob meines alten, eingespielten Lebens. Ich habe das Öl aus Trotz ins Regal zurückgestellt. Aber schon auf dem Autopilotweg nach Hause hatte ich die Antwort: Vielleicht geht man auch, um zu verstehen, was man zurück lässt. Und um wacher und gestärkter zurückzukommen.

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