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World Wide WEG: Unsere neue Kolumne

Tausende Kilometer von daheim entfernt - und trotzdem fordern die Eltern Rechenschaft. So hatte sich das unser Autor nicht gedacht

Von: Julius Wolf

An: werbinich@tagesspiegel de

Betreff: Panik kann warten

Der Abschied fällt meinen Eltern schwerer als mir. „Und, bist du schon aufgeregt?“, fragen sie immer wieder. Natürlich bin ich aufgeregt. Ich werde für mindestens ein Jahr nicht zu Hause sein. Aber es ist eine gute Aufregung. Ich denke, dass mir eigentlich auch mulmig zumute sein müsste. Ich warte auf eine Last-Minute-Panik, die davor warnt, so lange von elterlichem Rat und Geld abgeschnitten zu sein. Aber nichts passiert. Warum auch? Meine Entscheidung steht. Vor ein paar Jahren hatte mein Vater versucht, mich für ein Austauschjahr zu begeistern, aber ich wollte einfach nicht. Jetzt will ich, und deswegen kann nichts schiefgehen.

Die ersten Anrufe nach Hause laufen nicht so toll. Besonders nachdem die ersten Fotos angekommen sind. Ich werde mit Fragen gelöchert. „Wo bist du, was machst du, hast du schon Arbeit, wird’s nicht langsam Zeit, eine zu finden? Man sieht euch immer nur breit grinsend mit Bier in der Hand.“ Ätzend. Aber meine Eltern verstehen schnell und sparen sich die Kommentare. Ein tolles Gefühl! Nicht erklären zu müssen, warum man was macht.

Nach zwei Monaten Melbourne ist das Ersparte verbraucht. Vorbei die Zeit des breiten Grinsens und des Biertrinkens. Nun heißt es, nicht nur mit anderen Backpackern über Selbstständigkeit zu philosophieren, sondern auch was dafür zu tun. Jobsuche ist anstrengend. Ein Lebenslauf und ein Resümee müssen geschrieben und Leuten in die Hand gedrückt werden, die Arbeit zu vergeben haben. Man muss telefonieren und hinter den Arbeitgebern her sein. Zu Hause habe ich in der Stammkneipe meines Vaters in der Küche gejobbt. Wer hat das wohl eingefädelt? Hier muss ich alle Kontakte selbst herstellen. Anstrengend und nervig ist das. Was ich nicht erwartet habe: das überwältigende Glücksgefühl bei meinem ersten Job. Das muss gefeiert werden. Ein Abendessen mit meiner Mutter und ein lockeres Gespräch bei ein, zwei Bieren mit meinem Vater. Problematisch bei der Entfernung. Ein längeres Telefonat muss reichen. Bei all der herrlichen Selbstständigkeit – Abendessen und Bier wären mir jetzt lieber.

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