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World Wide WEG: ich@vancouver

Ein Austauschjahr passt nur schwer in zwei Koffer. Und dann ist da noch die Abschiedsparty, die Jacqueline vom Packen abhält

Von:

Jacqueline Möller

An: werbinich@tagesspiegel.de

Betreff: Ein Jahr im Zeitraffer

Anziehsachen, Bücher, Fotos – mein Zimmer hat sich in wenigen Sekunden zu einem reinsten Chaos verwandelt. Was ich grade mache? Packen für den Rückflug nach Deutschland, zumindest versuche ich es. Es stellt sich als Akt der Unmöglichkeit heraus. Ein Jahr in zwei Gepäckstücke zu verfrachten, ist ja schon eine Herausforderung an sich. Dabei auch noch die Gewichtsbeschränkungen der Airline einzuhalten, ist schlichtweg nicht machbar.

Mein Handy klingelt. Ein Freund ist dran, er will wissen, was ich in meinen zwei verbleibenden Tagen vorhabe. Gute Frage, denke ich, zu viel! Koffer packen, ein Abschiedsgeschenk für meine liebe Gastfamilie finden, mich von Freunden verabschieden und dazu noch eine Abschiedsparty schmeißen. Mein Terminkalender ist voll. Eigentlich zu voll für die Party, auf die mich der Freund einlädt. Trotzdem gebe ich nach. Mich treibt das schlechte Gewissen, ihn nicht mehr wiederzusehen. Die Koffer sind nach wie vor ungepackt. Dennoch befinde ich mich kurze Zeit später auf der Party und genieße zum letzten Mal die Sorglosigkeit meines Auslandsschuljahres. Die Vorstellung, dass ich in weniger als 48 Stunden schon im Flieger sitzen werde, ist immer noch fremd.

Eine Freundin holt mich zurück in die Realität: „Ich kann gar nicht glauben, dass du in zwei Tagen schon wieder nach Deutschland gehst – wir werden dich vermissen!“ Wow. Ein Satz wie ein Schlag in die Magengrube. Der Gedanke, Kanada verlassen zu müssen, versetzt mir einen Stich. Ein Jahr meines Lebens habe ich in diesem Land verbracht. Im Rückblick ist es wie im Zeitraffer vergangen. Vieles ist mir ans Herz gewachsen. Meine Gastfamilie. Meine Freunde. Meine Schule mit ihren ganz eigenen Regeln und anfangs merkwürdigen Fächern. All das ist Teil meines Lebens geworden.

Der Abschied rückt näher. Irgendwie schaffe ich es doch noch, meine Sachen in den beiden Koffern unterzubekommen. Kurze Zeit später befinde ich mich zum zweiten Mal auf dem internationalen Flughafen von Vancouver. Ein letztes Mal hält mich meine Gastfamilie im Arm. Am liebsten würde ich sie gar nicht loslassen. Aber es hilft nichts: Ich passiere die Sicherheitskontrolle und verschwinde hinter einer gläsernen Wand. Ein letzter schmerzender Blick zurück: Good-bye, Canada!

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