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Panorama: Wie die Sintflut

Pakistan erlebt eine Katastrophe ohnegleichen – 14 Millionen Menschen brauchen Hilfe

Die Helfer blicken in große Augen. „Die Menschen in der Menge haben mich an der Hand gezogen, jeder wollte, das ich ihm helfe, mir angucke, wo früher seine Hütte stand“, sagt Eric Dayal, Notfallhelfer der Caritas Pakistan. Er war in Sibi, einer der am stärksten bevölkerten Städte der Welt. Jetzt sind 80 Prozent der Häuser, der Schulen, der Läden, der Krankenhäuser fortgeschwemmt. Zu essen, zu trinken haben die Menschen nichts mehr. „Mir haben die Überlebenden höflich ein Glas mit braunem Wasser angeboten“, erzählt Lisa Beyl, die als Katastrophenhelferin für die Caritas in Pakistan tut, was sie kann. „Es war das dreckigste Wasser, was ich je gesehen habe.“

Doch sie trinken es, um zu überleben. „Wir können den Menschen vorerst nichts anderes empfehlen, als dass sie das Wasser durch ihre Kleidung filtern und dann die Reinigungstabletten hineinwerfen sollen“, sagt die Caritas-Helferin. Doch wer hat schon noch überhaupt einen Plastikbecher.

Die Fluten wollen nicht abziehen. Kranke Kinder entlassen ihren Durchfall hinein. Wenn das Wasser abgelaufen ist, leiden die Menschen unter Krankheiten und aufgeschwollener Haut, Choleraepidemien werden befürchtet. Gnadenlos brennt die Sonne, 49 Grad im Schatten werden gemessen. Aber es gibt noch nicht einmal mehr einen Schatten. 150 internationale Helfer hat die Caritas International derzeit in Pakistan, 20 000 Menschen sollen von ihnen vorerst versorgt werden.

Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein. 14 Millionen Menschen sind von der Flutkatastrophe betroffen. Hilflos stehen sie in einem Meer, schwimmen oder haben sich auf einen Hügel gerettet, der als Insel in den Wassermassen aufragt. Die Menschen haben buchstäblich nichts als ihr Hemd am Leib. Es ist eine Katastrophe, wie sie in der Bibel geschrieben steht.

In Deutschland bangen 70 000 Pakistaner um ihre Angehörigen. In Berlin versuchen rund 5000 von ihnen in die alte Heimat zu mailen, zu telefonieren, zu simsen. Janbaz Khan, Erster Sekretär der Pakistanischen Botschaft in Berlin, stammt aus der Überschwemmungsregion. Alle seine Verwandten haben überlebt, sagt er. Er weiß, dass die Muslime sich damit zu trösten suchen, dass die Katastrophe „von Gott gesandt ist“. Die Pakistaner nehmen jede Hilfe dankend an, ob sie von den Taliban kommt oder von der westlichen Welt, von den Katholiken der Caritas. „Es ist nicht das erste Mal, dass Christen ihren muslimischen Brüdern die Hand gereicht haben“, sagt Bischof Andrew Francis aus Multan, „wir hoffen, dieser Einsatz bringt unsere beiden Gemeinschaften enger zusammen“. Janbaz Khan appelliert, die Medikamente der Hilfsorganisationen sollten mindestens noch ein Jahr haltbar sein, nach dem Beben 2005 war viel Medizin zu schnell verfallen. Fachleute weisen darauf hin, es sollten bitte langfristig Lebensmittelkonserven abgeworfen werden, die „halal“ sind, wie sie in der arabischen Welt zu erhalten sind. Sonst würden viele Muslims das Essen wieder erbrechen müssen, weil sie etwa Schweinefleisch nicht anrühren dürfen.

Überall warten verzweifelt Menschen auf Hilfe, wie Akhtar Wali, 45 Jahre alt, dessen Schicksal Caritashelferin Lisa Beyl kennt. Er lebt mit seiner Familie derzeit in Peschawar im Matsch, verletzt, unter einem Eselskarren. Der ist das Einzige, was ihnen geblieben ist.

Die Einzigen, die helfen, sind westliche Hilfsorganisationen, die sich in Pakistan befinden, islamistische Hilfsorganisationen, Hubschrauber der pakistanischen Armee, aber auch der US-Armee. Unfassbar ist die Ignoranz der Regierung. Der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari hat erst jetzt, nach heftiger Kritik, seine Auslandsreise beendet und ist in die Heimat zurückgekehrt. Die Opfer werfen dem Präsidenten vor, sie mit der Fortsetzung der Reise nach Großbritannien und Frankreich im Stich gelassen zu haben. Ziemlich sachlich klingt eine Erklärung des pakistanischen Finanzministeriums, über die Reuters berichtet. Die bisherige Prognose des Wirtschaftswachstums von 4,5 Prozent müsse wegen der Hochwasserkatastrophe gesenkt werden, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums demnach. In der Tat ist die Wirtschaftskraft Pakistans in der Vergangenheit erheblich gestiegen. Das Wachstum betrug im vergangenen Jahr 4,1 Prozent. Der Internationale Währungsfonds erklärte sich zu Verhandlungen bereit, um dem Land zu helfen.

Die UN wollen die Hilfsanstrengungen für die Millionen Flutopfer in Pakistan erheblich beschleunigen, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtet. „Wir werden einen Spendenaufruf über mehrere hundert Millionen Dollar herausgeben“, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in New York. Notwendig sei unmittelbare Hilfe für die 14 Millionen Menschen, die von den schwersten Überschwemmungen seit Menschengedenken betroffen sind. Ban betonte, auch mittel- und langfristig werde Pakistan Hilfe brauchen. „Das wird eine große und langwierige Aufgabe.“

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