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Panorama: Wie im Selbstbedienungsladen

In Russland werden immer neue Details über Sicherheitsmängel in staatlichen Museen bekannt

Noch ist die Aufregung um Diebstähle von Kunstgütern in der St. Petersburger Eremitage nicht verebbt, schon gibt es neue alarmierende Nachrichten aus russischen Sammlungen: Das Staatsarchiv meldete den Verlust eines ganzen Stapels von Architekturskizzen aus dem 19. Jahrhundert. Experten beziffern deren Wert auf mehrere Millionen Euro. Und nachdem die Regierung nun Kontrollen angeordnet hat, befürchten die Beamten des russischen Kultusministeriums, dass weitere Fehlbestände aufgedeckt werden.

Museumschefs und hohe Beamte sind derzeit gefragte Gäste bei Talkshows im Fernsehen und im Radio. Michail Schwydkoj, der Leiter der Agentur für Kunst und Kino im russischen Kulturministerium, hatte gleich nach den spektakulären Verhaftungen der inzwischen geständigen Hehler von St. Petersburg mit Konsequenzen gedroht. Das dürfte allerdings nicht ganz einfach werden. Denn die Öffentlichkeit bekommt derzeit Einblicke in einen Sumpf, wie ihn sich die Verantwortlichen für die russischen Kunstsammlungen wohl in ihren schlimmsten Albträumen nicht vorgestellt hätten. So arbeitete der Sohn von Larissa Sawadskaja, der ungetreuen Eremitage-Kuratorin, beim Zoll. Das erleichterte den Dealern die illegale Ausfuhr des Diebesgutes erheblich.

Auch hatte der russische Rechnungshof, wie dessen damaliger Vizepräsident, Jurij Boldyrew, sagte, bei Kontrollen schon 1999 Lücken in den Beständen der Eremitage festgestellt und ein Jahr später sogar den wahrscheinlichen Hergang der Diebstähle rekonstruiert. Damals habe niemand davon Notiz genommen.

Kulturfunktionär Schwydkoj warnt nun davor, die Museumsmitarbeiter in Bausch und Bogen zu verurteilen. Rufe nach schärferen Kontrollen beim Verlassen des Hauses – in diesem Zusammenhang war sogar von hochnotpeinlichen Leibesvisitationen die Rede – brächten ebenfalls nicht die erwarteten Ergebnisse und würden, so Schwydkoj, nur „eine Art KZ-Atmosphäre“ schaffen. Seine Behörde werde vielmehr einen Maßnahmenkatalog vorlegen. Dabei geht es vor allem darum, neben dem Gehalt – die Kuratoren der Eremitage gehen mit umgerechnet rund 450 Euro monatlich nach Hause und fühlen sich im Vergleich zu Kollegen in der Provinz fürstlich bezahlt – auch den gesellschaftlichen Status von Museumsangestellten aufzuwerten. Denn selbst modernste Sicherungs- und Überwachungssysteme bieten aus Sicht Schwydkojs nur begrenzt Schutz.

Handlungsbedarf gibt es dennoch. Die meisten der über tausend Räume der Eremitage – das Gebäude war vor 1917 Teil der Winterresidenz russischer Zaren und steht daher selbst unter Denkmalschutz – verfügen bis heute nicht über Klimaanlagen. Die Frischluftzufuhr regeln die Aufseher daher wie vor hundert Jahren – durch öffnen der Fenster.

Dazu kommt, dass die Sammlungen so umfangreich sind, dass nur ein Bruchteil der Schätze ausgestellt werden kann. Bis zu 90 Prozent lagern in den Magazinen, teilweise unter unvertretbaren Bedingungen, was Dieben ebenfalls die Arbeit erleichtert. Dazu kommt ein hoffnungslos veraltetes System für die Katalogisierung und Inventarisierung der Bestände. Vor allem Kleinkunstwerke werden beim Säubern und der wissenschaftlichen Aufarbeitung häufig anderen Abteilungen des Hauses zugeordnet, ohne dass gleichzeitig die Inventarlisten korrigiert werden.

Anderes wurde noch nicht einmal vollständig erfasst, beispielsweise die riesige Ausbeute der großen Choresmien-Expedition von 1940. Archäologen bargen damals unter dem Sand der Kyzylkumwüste eine ganze, bis heute kaum erforschte Zivilisation: Wandmalereien, Schmuck und Kultgegenstände der Kuschan. Das ist ein aus China nach Westen verdrängtes Volk, das kurz nach Beginn unserer Zeitrechnung in Zentralasien ein Weltreich begründete. Viele der Kisten wurden bis heute nicht geöffnet. Böse Zungen erklären das auch damit, dass die ehemalige Sowjetrepublik Usbekistan ihr nationales Kulturerbe zurückfordert.

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