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Panorama: Wiedersehen mit Lenin

Warum ein Hotelier das alte Denkmal von Eisleben aufstellen will

Fast 50 Sowjetsterne leuchten signalrot durch das Januargrau. Die Sterne sind neu bemalt. Sie stecken auf sowjetischen Soldatengräbern am Weg in die Stadt. Hier in Eisleben, Mansfelder Land, Sachsen-Anhalt, wird vielleicht das erste Lenin-Denkmal seit der Wende wiedererrichtet. Aber eigentlich hat die Stadt schon jemanden zum Anlehnen.

„Lutherstadt Eisleben“.  Hier wurde der Reformator geboren. Hier ist er gestorben. Der Reformator und der Revolutionär kamen immer gut miteinander aus – 46 Jahre friedliche Koexistenz der Standbilder. Luther blickt noch heute über den Marktplatz, mit der rechten Hand wirft er die päpstliche Bannbulle ins Feuer, mit der linken drückt er die Bibel ans Herz. Überlebensgroß. Lenin stand nur ein paar Schritte weiter, noch überlebensgrößer. Die rechte Hand in der Hosentasche, mit der linken hielt er seine Jacke fest. Luther ist die eindeutig revolutionärere Erscheinung. Aber die Mützen der beiden waren fast gleich. 1991 beschloss der Stadtrat, den Revolutionär vom Sockel zu heben.

Als die Eislebenerin Marion Baum vor ein paar Jahren mit ihrem Mann in Berlin ins Museum ging, traf sie einen alten Bekannten: „Aber das ist doch“, sagte sie, „das ist doch – unser Lenin!“ Er war es wirklich. Lenin hat es von Eisleben bis ins Foyer des Zeughauses Unter den Linden geschafft. Marion Baum und ihr Mann sahen den Lenin mit leisem Tadel in seiner neuen Umgebung: Dass die Berliner immer alles haben müssen! Man kennt das ja schon.  War früher auch so.

Marion Baum ist mit dem Lenin aufgewachsen. Täglich lief sie an ihm vorbei, klebte Postkarten mit seinem Denkmal drauf in ihren Heimatkundehefter und schrieb Aufsätze über ihn. Sie hätte nichts dagegen, wenn er wiederkommt. Ihr Mann auch nicht. Dabei sieht Marion Baum überhaupt nicht leninistisch aus. Sie trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem Andy-Warhol-Rolling-Stones-Zungenmund drauf. Zunge und Mund sind gemustert wie die amerikanische Fahne. „Eine feste Burg ist unser Glaube“, hatte der größte Sohn der Stadt einst formuliert. Aber wer glaubt hier in Eisleben an was?

Der Vorkämpfer für Lenins Rückkehr ist der stadtbekannteste Wessi. Hartmut  Heger spricht viel schneller als die anderen im Ort – er handelt auch so –, Heger hat ein schönes, romantisches Hotel am Markt und kann direkt auf den Luther mit der Bibel am Herzen gucken. Er beteuert, kein Leninist zu sein. Aber warum kommt dann, wer in Hegers Hotel zur Toilette geht, an einer Friedrich-Engels-Büste vorbei? Und oben, im zweiten Stock, steht ein großer Leninkopf im Fenster. Und ganz oben, unterm Dach,  hängt ein Wilhelm-Pieck-Gemälde. Im Bibliotheksschrank sind dann auch noch zwei Ernst-ThälmannBücher, ein „Wörterbuch der Ökonomie des Sozialismus“ und ein Band „Wissenschaftliche Leitung und Entwicklung der Kader“. Oben drüber aber schaut Luther von der Wand, verklärten Blicks wie ein mittelalterlicher Mystiker. Die katholische Mystik gehört auch zu Eisleben heute. Nicht nur Lenin soll zurück in die Stadt, ein katholisches Kloster ist auch wieder da. Nach 450 Jahren.

Heger findet es aufregend, inmitten von so viel Geschichte zu leben. Darum hat er viele Häuser hier gekauft. Das am Markt ist von 1480 und gehörte einst den Mansfelder Grafen. Vor Heger wohnte die SED-Kreisleitung des Mansfeld-Kombinats da. Weil dieses Bergbau-Kombinat so groß war, hatte es nämlich eine eigene Kreisleitung, das muss man sich mal vorstellen, erklärt Heger mit geschichtlicher Begeisterung. Also hatte Eisleben zwei SED-Kreisleitungen!

Dahin kann historisches Interesse einen bringen. Heger aus Norddeutschland weiß nicht nur alles über die Stadtbrände Eislebens, das Grafengeschlecht derer von Mansfeld, sondern auch mehr über das Partei-Innenleben der SED als viele Eislebener. Der Hotelier findet, dass die SED-Spur zur Geschichte des Hauses gehört. Aber er hat auch schon Ärger gekriegt wegen des Engels’ vorm Klo. Eine SPD-Landtagsabgeordnete fand den Toiletten-Engels verantwortungslos. „Herr Heger, sie hätten ihn wenigstens kommentieren müssen.“

Doch wegen Lenin kriegt Heger nun noch mehr Ärger. Denn die DDR-Bürgerrechtler haben von ihm erfahren. Vera Lengsfeld sagte, dass Lenin ein Massenmörder war, und sie möchte keinen „Gruseltourismus“ in Eisleben. Und der sächsische Ex-Innenminister Heinz Eggert findet, wer Lenin aufstellt, könne gleich Hitler und Stalin daneben stellen. So hat Heger das noch nie gesehen.

Die Eislebener auch nicht. Wenn die Schmuckverkäuferin Silvia Straube aus dem Fenster ihres Ladens schaut, hätte sie den Lenin genau vis-a-vis, wenn er zurückkäme an den alten Platz. Soll er? „Mich stört er nicht.“ Vielleicht denkt man in den Lutherhäusern anders über den führenden Atheisten der Bolschewiki. Aber die Museumsfrauen dort heben nur die Schultern: „Von uns aus hätte er gar nicht weggemusst.“ Wohnen in Eisleben lauter verkappte, unbelehrbare Tendenz- Kommunisten? Wohl nicht. Denn dem Ostvolk  ist dieser Lenin immer fremd geblieben, es spürte die Herrschaftsideologie in seinem Rücken. Wenn dasselbe Ostvolk  jetzt nichts dagegen hat, diesen ganz speziellen Lenin zurückzunehmen – der Stadtrat hatte für seinen Verbleib in Berlin gestimmt –, dann wohl deshalb, weil er wirklich  ein Stück Stadtgeschichte ist: 1943 traf Lenin als deutsche Kriegsbeute in Eisleben ein. Zum Einschmelzen in der Krughütte. Aber die konnte ihn nicht verhütten. Der Ofen war zu klein für die 2,9-Tonnen-Arbeit des russischen Bildhauers Matwei Maniser.

Lange hielt sich die Legende, dass ein Eislebener Antifaschist das Einschmelzen verhindert hätte. Der Mann ist nach dem Krieg Bürgermeister geworden, aber vor ein paar Jahren fand sich in den SED-Archiven ein Papier von 1959. Darin stand, dass die Geschichte wohl erfunden ist.

Als die Russen am 2.Juli 1945 Eisleben von den Amerikanern übernahmen, schauten sie so ungläubig wie Marion Baum in Berlin: Da war ja ein Lenin. Ihr Lenin. Drei Jahre später schenkte die Sowjetunion der Stadt das Denkmal. Auch als Mahnmal. Es sollte daran erinnern, unter welchen Umständen es nach Eisleben kam.

Mahnmal, genau, sagt der Hotelier Hartmut Heger. Von ihm aus könne man den Lenin auch kommentieren. Er sagt nicht „Massenmörder“, sondern schlägt vor: „Schöpfer einer Ideologie, die Millionen Tote forderte.“ Heger denkt kurz darüber nach, ob man dann nicht auch was unter den Luther schreiben müsste (Die Bauern! Die Juden! Die Religionskriege!), überhaupt unter die allermeisten Denkmäler. Er wischt den Gedanken weg und fasst einen Plan: Ich werde den Lenin der Stadt abkaufen!

Aber weiß er denn, was so ein Lenin kostet? Heger ist ein Mann der Entschlüsse, er weiß es nicht, aber zögert nur  kurz: 15000 Euro? Und dann stelle ich ihn in den Hinterhof in das Buchsbaumrondell. Dann muss ihn nicht jeder anschauen, nur wer will. Die Pilger, die bereits heute zu Tausenden ins Frauenmystikerinnen-Kloster strömen, Heger sieht sie schon am Lenin vorbeiziehen.

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