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Von:Wlada Kolosowa An: werbinich@tagesspiegel.de Betreff: Der Süßigkeitenstreik Am Anfang des Semesters malte der Kulturschock-Beauftragte meiner Uni (ja, den gibt es hier) eine dicke Kreidelinie an die Tafel.

Von:

Wlada Kolosowa

An: werbinich@tagesspiegel.de

Betreff: Der Süßigkeitenstreik

Am Anfang des Semesters malte der Kulturschock-Beauftragte meiner Uni (ja, den gibt es hier) eine dicke Kreidelinie an die Tafel. Das Kreidestück setzte in der oberen Ecke der Tafel an, wanderte im 45-Grad-Winkel bis an ihren tiefsten Punkt, stieg dann furchtbar quietschend wieder bis zur Mitte und verharrte dort. Das sei die durchschnittliche Zufriedenheitskurve internationaler Studenten: Radikale Begeisterung für das Neue schlägt um in Sehnsucht nach dem Gewohnten und pendelt sich später irgendwo dazwischen ein. Genau da bin ich nun, sieben Monate nach meiner Landung. Ich bin angekommen. Habe mich eingependelt.

Dreifach-Schokoladen-Keksteig-Eiskrem mit nur 35 Kalorien pro Portion versetzt mich nicht mehr in welpenhafte Entzückung. Amerikanische Maßeinheiten treiben mich nicht mehr in den Wahnsinn. Zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Betriebssystem wird jetzt mühelos gewechselt: Ich messe selbstverständlich in Füßen, wiege in Pfund und habe in Fahrenheit Fieber. Auch wenn ich es nach wie vor unlogisch finde. Der Legende nach hat Herr Fahrenheit Anfang des 18. Jahrhunderts die Punkte seiner Skala so festgelegt: Null soll der kälteste Winter in seiner Heimat Danzig sein, knapp 100 seine Körpertemperatur. Ich finde es immer noch komisch, dass eine ganze Nation sich an einem toten Wissenschaftler misst, der zur Zeit der Messung auch noch leicht überhitzt war. Ich hinterfrage es aber nicht mehr. Ist so. Ist Alltag.

Anfangs machte ich mich noch darüber lustig, dass Amis die Reise zwischen der heimischen Senseomaschine und dem Kaffeeautomaten am Arbeitsplatz nicht ohne Koffeinproviant antreten können. Inzwischen umklammere ich morgens selbst ganz amerikanisch den Kaffeebecher – die Schnabeltasse weit vom Körper gestreckt, wie ein Fackelträger, der seinen Lauf antritt.

Woran ich mich aber nie gewöhnen werde: an die Praktikantenkultur. Mein Partypraktikum bei einem Onlineportal für Lifestyllefragen habe ich wie berichtet gekündigt, um mich neuen journalistischen Herausforderungen zu stellen. Die gute Nachricht: Der neue Arbeitgeber heißt „Washington Post“. Die schlechte: Es ist die Mode-Beilage. Anstatt mein Englisch zu polieren, dampf-bügle ich nun Kleider im Wert einer Minivilla, hole Tampons für die Models, Haselnuss-Mocca für den Chef und M&Ms für den Stylisten. Die Herausforderung? Sich für die richtigen zu entscheiden. Die mit Erdnussbutter kann er nämlich nicht leiden.

Der Praktikumsproblem-Beauftragte der Uni (ja, den gibt es hier auch) sagt, ich soll den Kopf nicht hängen lassen. Es läge nicht an mir, es sei Sitte. Die wenigsten Amis machen neben ihrem Studium Praktika – also gehe man anfangs davon aus, dass ich nicht mehr Verantwortung vertrage als den Gang zum Süßigkeitenkiosk. Zum Trost drückte er er mir ein Buch von Paul Watzlawick in die Hand: „Die Gebrauchsanweisung für Amerika“. Über Praktikumsmiseren steht da leider nur wenig drin.

Für nächste Woche plane ich einen ganz deutschen Arbeitsaufstand! Wenn es sein muss, mit Erdnussbutter-M&Ms.

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