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Panorama: Wüste ohne Grenzen

Hart und ohne Kommerz: das exzentrische Festival „Burning Man“ in der Wüste von Nevada

Er kommt von hinten, leise, sehr schnell. In mondloser Nacht hüllt ein Sandsturm das Camp in wattedichtes Weiß, legt sauren Staub über Augen und Zunge, lässt einen auf die Knie gehen, nach Luft schnappen, tastend die Staubmaske in der Hosentasche suchen. Der Lichtkegel der Taschenlampe prallt eine Armlänge entfernt auf eine Wand aus wirbelnden Sandpartikeln. Dazu ein surrealer Klangteppich, nicht zu orten, auf anrührende Weise beruhigend: Schlager der 40er Jahre, die in knarzender Grammofon-Qualität durch den Dunst herüberwabern.

Kleine, unvorhersehbare Momente bestimmen die außergewöhnliche Chemie des Wüstenfestivals „Burning Man“. Dabei steht es in vielem für Gigantomanie: Waren es 1986 nur 20 Eingeweihte, die an einem Strand in San Francisco erstmals eine Holzstatue („The Man“) einäscherten, kommen mittlerweile über 35000 Besucher in die Black Rock Desert zwei Autostunden nördlich von Reno.

Neben hunderten Kunstinstallationen werden ganze Nachtclubs, Radiostationen, turmhohe Wasserrutschen, Großküchen, Zirkuszelte und Tempel mitgekarrt – Sattelschlepper, Baukräne und hydraulische Hebebühnen bestimmen das Bild von „Burning Man“ ebenso wie Flammenwerfer, wild geschmückte „Art Cars“ und „Theme Camps“, in denen sich Gleichgesinnte zusammenschließen, um Kunstprojekte, Happenings und Trinkgelage von titanischen Ausmaßen zu erleben.

Das Ergebnis ist eine temporäre Kulturmetropole auf Wüstensand, die langjährige Teilnehmer wie den US-Journalisten Mike Mayer an ein Dali- oder Miro-Gemälde erinnert, dem Leben eingehaucht wurde. Vieles an „Burning Man“, sagt Mayer, sei uramerikanisch: die Faszination kleiner Jungen beim Spielen mit dem Feuer; der Geist der Siedler, das Neue zu wagen und aufzubauen. Dazu kommt die enge Liebesbeziehung der „Nerds“ und „Techies“, Computerliebhaber und Tüftler aus San Francisco, zum „Burning Man“: Sie bestimmen den Charakter des Events mehr als vereinzelt übrig gebliebene Blumenkinder der Hippie-Ära.

Seine explosive Kreativität zieht „Burning Man“ aus der radikalen Teilhabe der Besucher: Statt Kunst zu konsumieren, die vom Veranstalter herangeschafft wurde, bringen die „Burner“ die Kultur selbst mit – von tonnenschweren, interaktiven Felsbrocken-Karussells über meterhohe, flammenspeiende Metallskulpturen bis hin zu Wohnzimmergarnituren auf endlosen Wüstenflächen. Dazu kommen Theater, Performance, Slam-Poetry, experimentelle, eklektische Musik und eine kräftige Prise Dada-Slapstick. Zu den ehernen Grundsätzen des Festivals gehört seit den Anfangstagen jegliches Fehlen von Kommerz. Sponsoren aus der Wirtschaft, sonst eine Alltäglichkeit im Kulturbetrieb, gelten als indiskutabel. Auf dem Festivalgelände gibt es außer Kaffee und Eis zum Kühlen nichts zu kaufen – die Kultur des Teilens und Schenkens gehört zum „Wertesystem“ der Organisatoren um den 57-jährigen „Burning Man“-Gründer Larry Harvey.

Das birgt logistische Herausforderungen: Alles, was für eine Woche Leben in der Wüste benötigt wird, muss mitgebracht werden – Wasser zum Trinken und Waschen, Lebensmittel, Stromgeneratoren, Zelt oder Wohnwagen, tagsüber Schutz vor extremer Hitze und Sonne, nachts vor schneidender Kälte. Statt den Müll im Container zu entsorgen, nehmen alle ihren Abfall mit nach Hause. Heerscharen Freiwilliger säubern am Ende den Wüstenboden, um das Areal besenrein den US-Behörden zu übergeben.

Auch eine kleine Hand voll deutscher „Burner“ leistet sich den Wüstentrip jedes Jahr. Eine deutsche Kopie des Festivals ist schließlich abwegig: Allein die Vorstellung, deutsche TÜV-Prüfer mit Schulbussen zu konfrontieren, die zu psychedelisch fluoreszierenden Piratenschiffen umgebaut wurden, sorgt für Erheiterung. Der Anblick von „Black Rock City“ würde die Ordnungshüter in den Nervenzusammenbruch treiben.

Auf die Frage, ob das Festival einmal an seine organisatorischen Limits stoßen könnte, schüttelt Larry Harvey den Kopf: „No. This is America.“ – In der Wüste ist Platz für alle.

www.burningman.com

Fabian Mohr[Reno]

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