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Panorama: Zahn um Zahn

Darf man sich nach dem Essen sofort das Gebiss putzen? Göttinger Wissenschaftler sagen nein, Berliner Ärzte widersprechen

Berliner Zahnmediziner zeigen ihren Göttinger Kollegen die Zähne. Hatten die doch kürzlich davor gewarnt, sich gleich nach dem Genuss saurer Getränke oder Lebensmittel die Beißer zu putzen. Wer 30 bis 60 Minuten warte, schone die oberste Schutzschicht. Wer hingegen gleich bürste, trage drei bis fünf Mal mehr Hartsubstanz ab, hieß es. Aber Jürgen Gromball, Vizepräsident der Berliner Zahnärztekammer, baut seinen Berufsgenossen auch eine Brücke: „Wissenschaftlich richtig sei das schon, aber praxisfern“. Denn wer habe schon morgens die Zeit, nach dem Frühstück so lange zu warten?

Am schädlichsten ist es eben, wenn gar nicht geputzt werde, und im Vergleich dazu ist der Abtrag der Hartsubstanz hinnehmbar. Hinzu kommt, dass man auch dagegen leicht etwas tun kann, wenn man die Säuren im Mund zum Beispiel durch eine Spülung mit Milch oder einem fluorhaltigen Mundwasser neutralisiert.

Es geht vor allem um den Schutz der äußersten Schicht unserer Zähne, sie besteht aus dem Zahnschmelz. Im Prinzip ist er das härteste Material unseres Körpers. Er ist aus einem Mineralgemisch gebildet, der vor allem Kalzium, Phosphat und Fluoride enthält. In gewissen Grenzen wird er immer wieder repariert, und zwar durch mineralische Bestandteile des Speichels.

Wenn wir unserem Körper aber Saures geben – und da reichen schon Fruchtsäuren, wie sie zum Beispiel im Orangensaft enthalten sind – greift das die Kalziumverbindungen an, es löst sie an der Oberfläche und verringert den Widerstand gegenüber mechanischen Belastungen. Deshalb warnten die Zahnmediziner der Universität Göttingen davor, nach dieser chemischen Einwirkung das leicht angegriffene Material gleich auch noch mit der Bürste zu bearbeiten. Erst müsse der Speichel Gelegenheit bekommen, seine Reparaturwirkung zu entfalten.

Wichtig ist das Zähneputzen freilich dennoch, denn von Essensresten im Mund ernähren sich auch Bakterien, die ihrerseits den Zahnschmelz und überdies Karies verursachen, dadurch den Zahnhalteapparat (Bindegewebe) und letztlich auch das Zahnfleisch angreifen.

Die Göttinger Forschungsgruppe um den Direktor der Abteilung Zahnerhaltung, Präventive Zahnheilkunde und Parodontologie, Thomas Attin, hatte elf Freiwilligen jeweils sechs Proben aus Zahnmaterial auf herausnehmbaren Schienen in den Mund gelegt. Zwei Mal täglich mussten die Probanden die Schienen für 90 Sekunden in ein handelsübliches Erfrischungsgetränk (pH-Wert 2,9) legen. Danach wurde das Testmaterial nach einem vorgegebenen Zeitschema gereinigt.

Aber es sind nicht nur säurehaltige Nahrungsmittel, die die Zähne schädigen, berichten die Forscher in ihrer Arbeit. Es gibt auch Gesundheitsstörungen, die sich bis zu den Zähnen hin auswirken können. Die Forscher nennen zum Beispiel Magenprobleme – etwa wenn meist im Liegen Magensäure die Speiseröhre nach oben fließt (Reflux). Auch Bulimie hat diese schädigende Wirkung.

Gideon Heimann

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