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Panorama: Zarteste Versuchung

Der Schauspieler Johnny Depp gibt sich solide und als fürsorglicher Vater. Dafür lieben ihn seine Anhängerinnen

So ganz von dieser Welt ist er nicht. Nicht dann, wenn er wie absinthbenebelt und zugleich mit genialischer Sicherheit durch seine Filme stolpert, etwa in „Fluch der Karibik", „From Hell" oder „Sleepy Hollow". Auch nicht, wenn er plötzlich bei der Liveübertragung kurz vor der Oscarverleihung vor hundert Millionen Zuschauern das Maori-Mädchen Keisha Castle-Hughes umarmt und ihr wundervolle Komplimente für ihre Hauptrolle in „Whale Rider" macht, für die die 13Jährige nominiert war – so als sei sie der Weltstar, und er ein schüchterner Fan, der gerade dahinschmilzt. Und noch nicht einmal, wenn er seine Interviews gibt, in denen er von seiner Insektensammlung erzählt, und dass er Clowns hasst, und davon, dass er bei Halsschmerzen am liebsten mit Eigenurin gurgelt. Und wie später der Leser fragt sich schon der Interviewer, ob das jetzt alles stimmt oder ob er das nur gesagt hat, weil es sich gut anhört.

Nummer eins seiner Generation

Mythos zu Lebzeiten, Frauenschwarm und seit geraumer Zeit auch fürsorglicher Familienvater – so ganz wird man aus Johnny Depp nicht schlau. Der Faszination tut das aber keinen Abbruch. Depp ist einfach die zarteste Versuchung und einer von jenen wenigen Darstellern, bei denen ein Mann nicht sauer wird, wenn alle Frauen von ihnen schwärmen. Und das tun sie. Manchmal geht es dabei nur um seine Tattoos, „Winona forever". Das beeindruckt Frauen. Manchmal geht es um seinen klaren, trotzdem irgendwie unergründlich-verstörten Blick, der wahrscheinlich ihre Mutterinstinkte weckt. Gern reden sie auch über seinen Mund. Oder man schimpft auf Vanessa Paradis, jene französische Sängerin und Schauspielerin, mit der er seit vier Jahren liiert ist.

Sein Leben zuvor sei eine „Illusion" gewesen, sagt Depp. Er meint damit die Themen Drogen, Partys, Frauen. „Es war, als ob sich plötzlich ein dichter Nebelschleier auflöste und ich erstmals klar sehen konnte", sagt er. Wenn man ihn auf der Leinwand sieht, könnte man denken, dass sich der Nebel bei weitem noch nicht ganz gelichtet hat, und dass das auch ganz gut so ist. Es gibt nämlich zwei Johnny Depps. Der eine ist der Schlafwandler. Der, der seinen Regisseuren vertraut. Er sagt dann nicht viel, und seine Lakonie, sein fragender Blick haben gar nichts Manieriertes, nichts Aufgesetzt-Geheimnisvolles, sondern sind vor allem neugierig. Immer ein bisschen fremdartig. Vielleicht ein spätes Erbe seiner Indianerverwandtschaft. „Edward mit den Scherenhänden" war so eine Rolle, sein erster von bisher drei Filmen mit Tim Burton. Oder „Gilbert Grape" und „Donnie Brasco". Ziemlich oft hat Depp schon Detektive gespielt, jene Stellvertreter der Zuschauer, die vor allem Fragen stellen und unerforschte Gefilde betreten. In „Sleepy Hollow", in „From Hell", wo er Jack the Ripper jagte, und vor allem in „Die neun Pforten". Roman Polanski schickte ihn damals ins Reich der Bibliomanie. Und er traf letztendlich auf den Teufel. Wenn Johnny Depp solche Figuren spielt, hat das nie diese unangenehme Selbstgewissheit anderer Kinodetektive. Er weiß wirklich nicht mehr als der Zuschauer. Ein Schlafwandler eben.

Ziemlich viel geschlafen hat er auch in Jim Jarmuschs „Dead Man". Aber der Film war dann der Anfang des zweiten Johnny Depp, des Kunstgewerblers. Damals, vor zehn Jahren lag es vielleicht noch am Regisseur, dass er ziemlich manieriert wirkte. Inzwischen ist daraus aber eine Pose geworden, die genauso Johnny-Depp-typisch ist wie seine Coolness. Und Filme wie „The Man Who Cried" und „Chocolat" waren, wenn man ehrlich ist, vor allem unglaubliche Schmonzetten. Depp ist am besten, wenn er schräge Charaktere spielt, Rebellen, Outsider, weiche Typen. Aber er ist dann auch am schlechtesten, wenn er keine Regisseure zur Seite hat, die ihn im richtigen Moment ausbremsen und dafür sorgen, dass das Weiche nicht zum Seichten wird.

Wie intelligent, ironisch, einfach gut Johnny Depp aber auf der Leinwand sein kann, zeigt ein letzter Vergleich: Beim Oscar im Februar war er gemeinsam mit Russel Crowe nominiert. Beide spielten Schiffskapitäne. Vielleicht war „Master and Commander" der bessere Film, aber wenn man einmal den starren, schwerblütigen Russel Crowe in diesem Film mit der Lockerheit von Johnny Depp vergleicht, seine Ironie mit dem Bierernst des „Gladiator", ist es keine Frage mehr, wer die Nummer eins seiner Generation ist. Denn wenn Johnny Depp gut ist, dann ist er so gut, dass er alles kann.

Rüdiger Suchsland

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