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Panorama: "Zauber des Westens": Die Leiden des jungen M.

Die inzwischen beendete Debatte über seine angebliche IM-Tätigkeit hat dem Baseler Intendanten Michael Schindhelm Gelegenheit gegeben, auf einen bislang kaum beachteten Abschnitt seines Lebens einzugehen. Wie er in der "Zeit" schrieb, hat er die letzten Jahre der DDR als Übersetzer "im Provinzversteck" überdauert.

Die inzwischen beendete Debatte über seine angebliche IM-Tätigkeit hat dem Baseler Intendanten Michael Schindhelm Gelegenheit gegeben, auf einen bislang kaum beachteten Abschnitt seines Lebens einzugehen. Wie er in der "Zeit" schrieb, hat er die letzten Jahre der DDR als Übersetzer "im Provinzversteck" überdauert. Seinen erlernten Beruf als Quantenchemiker hatte er aufgegeben, sich innerlich verabschiedet von einem Land, das ihn Anfang der achtziger Jahre zu einer privilegierenden Ausbildung in die Sowjetunion geschickt hatte. Diese Zeit im Süden Russlands hat er in dem vor einem Jahr erschienenen Erzähl-Debüt "Roberts Reise" literarisch verarbeitet; die Öffnung des Blicks wird hier eindrucksvoll mit der bereits sichtbaren Agonie des politischen Systems parallelisiert.

Sein zweites Buch setzt nun die Erfahrung der Fremde auf andere Weise fort: "Zauber des Westens" handelt vom Aufbruch des Ostens in eine andere Wirklichkeit, von Lernprozessen und Enttäuschungen in einer Zeit sich überstürzender Ereignisse.Ausspannen von der Wirklichkeit

Schindhelm, der 1990 die Leitung einer neu gegründeten Theater-GmbH in Thüringen übernimmt, erzählt seinen eigenen Berufswechsel aus der Perspektive eines nachdenklichen, nicht selten sarkastischen Kommentators, der dem unerfahrenen Intendanten, der er damals war, bei den ersten Gehversuchen auf öffentlichem Terrain zusieht: Schlüsselfiguren der Wendezeit treten auf, versichern ihm, es gehe jetzt darum, die kulturelle Substanz der neuen Bundesländer zu erhalten.

Eine Zeitlang ist für den Umbau der maroden DDR-Theater - aus heutiger Sicht - erstaunlich viel Geld da; aber die neue Freiheit präsentiert sich mit "eiserner Maske": Man kann - vor wenigen unermüdlichen Zuschauern - zwar spielen, was man will, von "Othello" bis "Othello darf nicht platzen". Nur zeigt der Mensch der neuen Republik kein Verlangen nach Beckett oder anderen eben noch verbotenen Autoren, er will "ausspannen von der neuen Wirklichkeit", "lachen mit dem Zarewitsch und dem Orlowski".

Als Schindhelm wenige Jahre später die Dreispartenbühne von Gera übernimmt, konstatiert er, jede Autohauseröffnung ziehe mehr Leute an als das Theater in einem Monat. Im gerade eingerichteten Jugendtheater fragen die Kinder, warum die Vorstellung keinen Werbeblock habe. Er setzt sich dafür ein, dass noch eine weitere Spielstätte - ein für die Stasi errichtetes Kulturhaus - hinzukommt. Die Eröffnung der neuen "Kammerspiele" wird landesweit als großes Ereignis gefeiert - dann stellt sich heraus, dass in den Ministerien bereits seit einiger Zeit an einer "Topographie der Verschuldung" gearbeitet wird. Die Szenarien des Theatersterbens im Osten Deutschlands sind längst entworfen.

Ikonographie des Trash

Basel, wo er seit 1996 lebt, hätte ihm nach eigenem Wunsch zur künstlerischen Heimat werden sollen; aber die Probleme, die ihm sein Vorgänger hinterlassen hat, machen diese Hoffnung bald zunichte: Da auch in Basel die Subventionen gekürzt werden, entscheidet er sich dafür, das klassische Ballett durch eine Tanztheatertruppe zu ersetzen, und löst damit einen Sturm der Entrüstung aus.

Mit einem Shooting-Star der Regieszene als neuem Schauspielchef leitet er eine neue Ära ein, inauguriert ein Theater für die junge Generation, die mit Comics, Videos und der "Ikonographie des Trash" aufgewachsen ist. Das ästhetische Crossover zieht zunächst wenig neues Publikum an, vertreibt vor allem die traditionsbewussten, Skandale scheuenden Älteren. Erst nach erfolgreichen Auslandstourneen und nachdem das Haus 1999 von der Kritik als "Theater des Jahres" gefeiert wird, glätten sich die Wogen der Erregung, kehrt ein Teil der Abonnenten zurück. Öffentliche Diskussionen mit tumultuarischen Szenen, wie er sie in den letzten Jahren erlebt hat, wertet Schindhelm als gutes Zeichen - als Lebenszeichen eines bereits totgesagten Theaters, in dem viele nur mehr die anachronistische Alternative zu dem sehen, was - je nach Alter und Vorlieben - Filme, Musicals oder Real-Life-Soaps bieten.

Theater als Transitraum

Bilder des verbotenen West-Fernsehens waren das Erste, das Schindhelm in seiner Jugend vom Westen zu sehen bekam - verführerische Bilder, die das "vergiftete Idyll seiner Kindheit" noch trister erscheinen ließen. Was davon blieb, ist ein tief verwurzeltes Misstrauen gegen die in trügerischer Sicherheit wiegende, unverbindliche Macht der Bilder. "Zauber des Westens" mündet in eine aphoristisch zugespitzte Zeitkritik, einen Versuch über die Krise des Theaters. Der ideelle Ort, den er dem Theater zuweist, bildet eine Art Gegenpol zu allem medialen Inszenierungszauber.

Schindhelm vergleicht ihn mit dem russischen Wohnheim, in dem er als Student gelebt hat. Es ist ein wenig komfortabler "Transitraum", ein Ort des Kommens und Gehens, in dem interessante, fremdartige, oft auch unangenehme Begegnungen stattfinden. Man muss alles in Ruhe auf sich wirken lassen und kann, wenn etwas stört, nicht einfach zappen.

Rolf Strube

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