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© akg-images/Erich Lessing

Zu Besuch bei Berthold Beitz: Der Patriarch

Manche halten ihn für den mächtigsten Mann des Ruhrgebiets: Ex-Kruppchef Berthold Beitz ist heute der Vorsitzende der Krupp-Stiftung - und hat Essen den Neubau fürs Folkwang-Museums geschenkt

Ein kleines Reh, allein auf weiter Flur, den Kopf verschämt zur Seite gebeugt. Wenn Berthold Beitz am Abend sein Büro verlässt, ist die zarte Skulptur das Einzige, was auf seinem riesigen Schreibtisch stehen bleibt. Der Manager ist für klare Verhältnisse, nicht einmal das Telefon duldet er auf der roten Arbeitsplatte. Es wurde auf einen kleinen Hocker neben seinem Stuhl verbannt.

Ein Reh – draußen in der freien Wildbahn müsste es sich in Acht nehmen vor ihm. Beitz ist passionierter Jäger, selbst mit seinen 96 Jahren noch. Aber er ist auch ein Freund der Kunst. Sie hat ihn hierher auf den Essener Hügel geführt, auf dem er seit 56 Jahren schaltet und waltet, ein Patriarch und Philanthrop, eine Jahrhundertgestalt.

Als junger Generaldirektor der Hamburger Iduna-Germania-Versicherung hatte Beitz Anfang der 50er Jahre bei dem Essener Bildhauer Jean Sprenger die Skulptur eines jungen Mädchens in Auftrag gegeben. Im Atelier begegnete er Alfried Krupp. Der verschlossene Alfried, der als Kriegsverbrecher verurteilt, aber frühzeitig aus der Haft entlassen worden war, tat sich schwer mit seinem Erbe. Die beiden trafen sich noch ein paar Mal, in der Nacht zu Beitz’ 39. Geburtstag fragte der vier Jahre ältere Krupp, ob er sein Generalbevollmächtigter werden wollte. 1953 trat Beitz seinen Posten an.

Generalbevollmächtigter! Ein Mann ohne Stallgeruch, aus kleinen Verhältnissen! Die Direktoren des Ruhrgebiets waren not amused. Der Jungmanager konnte agieren, als gehörte ihm der Konzern. Was er, gegen Skepsis und Widerstand, clever, hart und mit großem Erfolg tat.

Das scheue Reh und „der wohl mächtigste Mann des Ruhrgebiets“, wie ihn das neue „Geo Special Ruhrgebiet“ nennt – das scheint so gar nicht zusammenzupassen. Aber Berthold Beitz, charmanter Diplomat und strenger Chef, mit Rudolf Augstein einst ebenso befreundet wie mit Axel Springer, ist ein komplexer Mann. Und immer für eine Überraschung gut.

Der heutige Vorsitzende des Kuratoriums der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung hat Honecker empfangen und Tschu En-lai besucht, Angela Merkel hat ihm die Hand geschüttelt, Chruschtschow, Nehru, Weizsäcker, die Fotos stehen in seinem Büro, zusammen mit den signierten Porträts von Helmut Schmidt, Walter Scheel, Golo Mann. Beitz macht immer eine blendende Figur auf den Bildern. Und doch kann der weltmännische Industrielle scheu sein wie ein Reh: wenn es um Öffentlichkeit, vor allem um seine Person geht. Interviews, so hat er vorher erklären lassen, gibt er nicht mehr, es sei schon alles gesagt, alles geschrieben worden. Aber jetzt, an diesem Freitagmorgen im Januar, an dem ich mit seinem persönlichen Referenten verabredet bin, empfängt er mich spontan doch. Ohne Block, es ist ja kein Interview.

Aufrecht und elegant, wie stets im maßgeschneiderten Dreiteiler mit Einstecktuch sitzt der Grandseigneur auf seinem Direktorensessel. Von hier blickt er auf die monumentale Villa Hügel im Park über dem Baldeneysee, das Schloss, das Alfred Krupp 1873 als Wohnsitz der Familie baute. Seit 1953 gehört es quasi der Öffentlichkeit, werden hier große Ausstellungen gezeigt. Zuletzt diente es dem Museum Folkwang als Ausweichquartier. Jetzt hat dieses einen gefeierten Neubau von David Chipperfield, der diese Woche eröffnet wurde. Dank Berthold Beitz.

Hin und her ging vor ein paar Jahren in Essen die Debatte, wie man den ungeliebten Anbau des Museums durch eine der Sammlung adäquate Architektur ersetzen könnte. Wie, wann, von wem, und wer soll das alles bezahlen … Irgendwann beschloss Beitz: Es reicht! Die Krupp-Stiftung zahlt das Ganze, 55 Millionen Euro. Aber der Bau darf keinen Cent teurer werden und muss in zwei Jahren stehen. Dass Chipperfields Bau ihm gefällt, ist keine Überraschung. Schon 1960 hatte Beitz, der sich selber in den 50er Jahren einen modernen Bungalow bauen ließ, Mies van der Rohe beauftragt, ein neues Verwaltungsgebäude zu entwerfen, auf dem Hügel, mit Blick auf den Baldeneysee. 1963, als die Pläne fertig waren, fehlte Krupp das Geld.

Der spontane Entschluss zur Museumsfinanzierung fiel auf Sylt, wo der Segler seit Jahrzehnten seine Ferien verbringt. Am Strand, zwischen Himmel und Meer, kam ihm Nolde in den Sinn, der zur Sammlung klassischer Moderner des Folkwangmuseums gehört. Wenn Beitz davon erzählt, merkt man, was für eine Freude es ihm war, mit seinem Millionen-Coup zu verblüffen. Sich damit in der Öffentlichkeit brüsten würde er nie. Am großen Festakt zur Eröffnung am Donnerstag hat er zwar teilgenommen – geredet hat er nicht. Beitz mag keine Reden, so wie er keine Akten mag. Wenn ihm einer zu lang spricht, guckt er auf die Uhr. Fünf Minuten später guckt er wieder drauf. Dann steht er auf und geht.

Beitz ist ein Mann der Tat. Machen und Macht, vielleicht ist es kein Zufall, dass sich die Worte so nahe sind. Trotz des übervollen Regals in seinem Rücken: Nie, erklärt er, käme er auf die Idee, ein Buch aufzuschlagen und von vorne bis hinten durchzulesen. „Dazu bin ich viel zu ungeduldig.“ Ein Grund mehr, warum er der Kunst so zugeneigt ist. Vor allem Karl Schmidt-Rottluff hat es ihm angetan, der Expressionist mit den kräftigen Farben und dem kräftigen Pinselstrich, den er selber sammelt. „Jeden Morgen auf dem Weg zum Frühstück freu ich mich daran.“ Mit Klee dagegen kann er wenig anfangen.

„Meine Ungeduld ist ein Crocodil“, so hatte Alfred Krupp, dem die Gussstahlfabrik im 19. Jahrhundert ihren gewaltigen Aufschwung verdankte, einmal gesagt – „das lässt sich nicht bezähmen.“ Essen, das war einmal Krupp – und Krupp war Essen. Dort ging man im Krupp’schen Konsum einkaufen, ließ sich im Krupp’schen Krankenhaus behandeln (tut es heute noch). Man war stolz darauf, Kruppianer zu sein, da musste man hart arbeiten und gehorsam sein, aber man wurde umsorgt, mit Bildung, Wohnung, Krankenpflege. Die Stadt wuchs mit dem Konzern, der einmal Europas größtes Industrieunternehmen war. Zur Hochzeit von Bertha Krupp und Gustav von Bohlen und Halbach 1906 schickte die Stadt Essen einen gigantischen silbernen Aufsatz, der heute noch in der Ausstellung über die Geschichte der Familie in der Villa Hügel zu sehen ist: „Zur Vermählungsfeier der Tochter ihres größten Bürgergeschlechts mit Herrn von Bohlen und Halbach. Die dankbare Heimatstadt des Hauses Krupp.“ Margarethe Krupp stiftete anlässlich der Hochzeit eine Million Mark und 50 Hektar Grundbesitz zum Bau einer Gartenstadt, die „vor allem der Wohnungsfürsorge der minderbemittelten Klassen dienen soll“. Noch heute sind die Wohnungen der Margarethenhöhe heiß begehrt.

Krupp, das war Essens Glück und Verhängnis. Denn die wohltätige Firma war nicht nur ein Eisenbahnzulieferer, sondern auch ein Rüstungskonzern. Die „Dicke Bertha“ war das bekannteste Geschütz im Ersten Weltkrieg. „Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder“ sollten die Deutschen unter den Nazis sein; ein Foto in der Ausstellung zeigt Gustav Krupp und Hitler, Hände schüttelnd. Für die Alliierten wurde Krupp zum Inbegriff des bösen Deutschlands.

Und dann kam Beitz. Der gute Deutsche. In einer Titelgeschichte von 1959 schilderte der „Spiegel“ den Konzernchef als ruppigen, nassforschen Manager, der notfalls über Leichen ging. Was in der 15-seitigen Geschichte nicht vorkam: dass Berthold Beitz ein Lebensretter war. Was Krupp selbst nicht wusste, als er ihn zum Generalbevollmächtigten machte, was kaum bekannt war in der Öffentlichkeit, bis er 1973 als „Gerechter unter den Völkern“ in der israelischen Gedenkstätte Jad Vashem geehrt wurde.

Schon in jungen Jahren wollte der gelernte Bankkaufmann raus in die Welt. So landete er bei Shell in Hamburg, wurde bald in den Osten versetzt. Als Leiter der Karpaten-Öl im galizischen Boryslaw rettete er hunderte Juden, indem er sie für unabdingbar für die Produktion erklärte. Seine Sekretärin schilderte später, wie der nicht mal 30-Jährige eigenhändig die verplombten Viehwaggons aufriss, vor den Augen der SS. Als hätte ihn seine entschlossene Furchtlosigkeit unverwundbar gemacht.

Angst, sagt Beitz heute, habe er nie gehabt, und zitiert seinen Lieblingssatz, von Perikles: „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, und das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“

Beitz, nach dem die Harvard University eine Professur für Menschenrechte benannte, war in Galizien nicht ganz allein. Seine Frau Else hat seine Rettungsaktionen nicht nur mitgetragen, sie selber hat Kinder im Haus versteckt. Im vorletzten Jahr wurde auch sie als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Seit über 70 Jahren sind die beiden verheiratet, und Beitz lässt keinen Zweifel daran, dass er auch zu Hause der Bestimmer ist. Aber auch Else Beitz ist für Überraschungen gut. Mit 58 Jahren hat die Hamburgerin ihr Abitur nachgeholt, Erziehungswissenschaften studiert und mit 73 magna cum laude promoviert. Ihr Thema: „Industriepädagogik in den Großbetrieben des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, dargestellt am Beispiel der Firma Fried. Krupp“.

„Ich habe ein Gefühl für den Osten“, hat Beitz später gesagt. Schon früh hat er (zum Ärger Adenauers) Geschäfte mit Osteuropa und der Sowjetunion gemacht, hat so der Politik Türen geöffnet. Ohne Beitz, meinte Johannes Rau einmal, hätte es Brandts Entspannungspolitik vermutlich nicht gegeben. Ein Außenminister, dem man kein Gehalt zahlen muss: Das, sagt Rau vergnügt in einem Fernsehporträt, sei doch nicht schlecht.

Viele haben damit gerechnet, dass der Unternehmer irgendwann in die Politik gehen würde. – Politiker? Er? Um Gottes willen! Dann, stöhnt Beitz, hätte er sich immer mit anderen, mit der Partei abstimmen müssen. Er, der die schnellen Entscheidungen aus dem Bauch heraus liebt, der im Alleingang, als Krupp Liquiditätsschwierigkeiten hatte, 25,04 Prozent der Firma an den Iran verkauft hat! Schnüffelnd hält er die Finger an die Nase: Der Instinkt ist sein wichtigster Ratgeber. „Wenn ich in einen Raum komme, weiß ich zu 80 Prozent, wie die Verhandlungen laufen.“ Ob ihn der Instinkt nicht auch mal getrogen hat? „Natürlich!“

Stolz erklärt er, dass er weder einer Partei noch einem Verein je angehört hat. „Ich bin ein Einzelgänger.“ Das mag mit der Landschaft zusammenhängen, in der er aufgewachsen ist, dem dünn besiedelten Vorpommern. Aber wahrscheinlicher noch hat seine Distanz, ja, sein Misstrauen anderen gegenüber etwas mit seiner Erfahrung im Dritten Reich zu tun. „Ich fürchte, wenn man die Menschen loslässt, sind nicht wenige wie Raubtiere“, hat er in einem Interview gesagt.

Auf keine Tat ist der Protestant so stolz wie darauf, Alfrieds Sohn Arndt von Bohlen und Halbach dazu gebracht zu haben, auf sein Erbe zu verzichten. Ein Milliardenerbe, im Tausch gegen eine jährliche Zuwendung von zwei Millionen Mark. Nur so konnte 1967 die Firma in eine Kapitalgesellschaft verwandelt werden, an der die gemeinnützige Krupp-Stiftung alle Anteile hielt und mit deren Vermögen sie Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport fördert.

Essen hat Beitz 2007, als Ersten seit 58 Jahren, zum Ehrenbürger erklärt, er tut mehr als jeder andere für die Stadt. Das neue Museum Folkwang versteht er als Geschenk an deren Bürger. Aber sein Herz – das hängt an der alten Heimat. Und die hängt in seinem Büro an der Wand. Auf die große alte Karte von Pommern hat Beitz, der auch nach 60 Jahren Ruhrgebiet noch mit deutlich hörbarem pommerschen Akzent spricht, einen kleinen roten Punkt geklebt, um das Dorf zu markieren, aus dem er stammt. Unter seinen zahlreichen Auszeichnungen ist ihm die Ernennung zum Stifter der Universität Greifswald, die es ohne ihn vielleicht nicht mehr gäbe, die wichtigste. Dabei hat der spätere IOC-Vize-Präsident, der einst sitzen geblieben ist, weil er lieber schwimmen und rudern als in die Schule ging, der unzählige Ehrendoktoren- und -professorentitel hat, selber nie eine Hochschule besucht. Er hätte gern Medizin studiert, aber dazu fehlte der Familie das Geld.

Der letzte Krupp: Beitz hasst es, wenn er so genannt wird. Er sei höchstens der letzte Beitz, erklärt der Vater dreier Töchter dann. Und doch weiß er selbst am besten, dass er der Letzte ist. Auch wenn Gerhard Cromme, der als Kronprinz gehandelt wird, Beitz’ Amt übernimmt – mit diesem wird mehr als eine Ära enden. Krupp als Firma existiert jetzt schon nicht mehr, nach der Fusion gibt es nur noch ThyssenKrupp, an der die Stiftung einen Anteil von 25,3 Prozent hat.

Beitz, Alfried Krupps Testamentsvollstrecker, ist der Letzte, der sich dessen Vermächtnis so tief verbunden fühlt. „Warum, glauben Sie, komme ich noch jeden Tag hierher?!“, fragt er und blickt zur Zimmerdecke. Er rede noch oft mit dem letzten Krupp. Und Beitz ist sich ziemlich sicher, dass er bei der Eröffnung des Folkwangmuseums von oben zuguckt und was er sagen wird: „Das hast du gut gemacht.“

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