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© Lars von Törne

Zu Besuch: Obama schlägt Al Capone

Die Stadt Chicago hat den US-Präsidentschaftskandidaten geprägt. Jetzt kommen die Touristen und wandeln auf Baracks Spuren. Der Tagesspiegel war vor Ort und hat sich umgesehen.

Wer durch das Viertel rund um das Wohnhaus  Barack Obamas spaziert, landet früher oder später  beim Hyde Park Hair Salon, dem Barbier des Präsidentschaftskandidaten. Sechs Stühle, auf denen sich sechs Männer von sechs Friseuren die kurzen, schwarzen Locken stutzen lassen. „Ich habe ihm gerade heute morgen die Haare nachgeschnitten“, sagt der Barbier Zariff, ein kräftiger, ernst blickender Mittvierziger, der sich nur beim Vornamen nennen lässt. „In diesen Tagen, wo er ständig im Fernsehen und bei öffentlichen Debatten ist, kommt er fast täglich hierher“, erzählt Zariff, während er einem anderen Kunden mit dem Rasierer die Haarkante akkurat nachzieht. Als er hört, dass der Besucher aus Deutschland kommt, strahlt der sonst reserviert wirkende Zariff. „Nach seinem Besuch hat Barack noch lange von dem warmen Empfang in Berlin geschwärmt“, sagt der Friseur. Seit 15 Jahren kommt Obama zu ihm. Auch davon kann man einiges in der Biographie des Kandidaten lesen, denn der in der schwarzen Gemeinschaft Chicagos gut vernetzte Zariff - der in Obamas Buch den Alias-Namen Smitty trägt - hat dem neu in die Stadt gekommenen Obama anfangs viel von der politischen Struktur der Stadt erklärt. Darauf angesprochen, lächelt Zariff nur wissend und gibt zu verstehen, dass er sich jetzt wieder um seinen Kunden kümmern muss.

Chicago seit 20 Jahren

Seit 20 Jahren ist Chicago die Heimatstadt von Barack Obama. Seitdem der Anwalt und Senator als Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten weltweite Berühmtheit erlangte, sind viele Stationen seines Lebens zu Touristenattraktionen geworden - darunter auch sein privates Wohnhaus. Es liegt in einer der wenigen Gegenden der Stadt, in der Weiße und Schwarze zusammenleben und nicht nach Vierteln und Straßenzügen segregiert sind, wie es in dieser Stadt auch Jahrzehnte nach der offiziellen Rassentrennung noch weit verbreitet ist.

Obamas Villa gehört inzwischen sogar bei den Architekturrundfahrten der renommierten „Chicago Architecture Foundation“zum Standardprogramm. Auch wenn mancher architekturgeschichtlich geschulte Führer vom Haus des Kandidaten nicht allzu viel hält, wie  Rick Koepke sagt, der täglich Touristen zu den besonderen Bauwerken der Stadt am Michigansee führt. „Aber jeder will es sehen, also haben wir es in die Tour mit aufgenommen.“ Wie groß das Interesse ist, wird deutlich, als der Reisebus mit gut 20 Touristen um die Ecke der Greenwood Avenue biegt, einer kleinen Straße am Rande der Universität im Viertel Hyde Park, das mit seinen von Gärten umgebenen Villen an Berlin-Zehlendorf erinnert. „Dort ist das Haus“, sagt Rick Koepke und zeigt nach links, wo man hinter Hecken und einer Gruppe Sicherheitsleute ein dreigeschossiges Einfamilienhaus aus rotem Backstein sieht. Die Touristen drücken ihre Nasen an die Fenster auf der linken Busseite, Kameras surren und klicken, aufgeregte Stimmen erfüllen den Bus. Halten will der Fahrer hier aber nicht - das würden die FBI-Leute vor Obamas Villa nicht dulden.

Viele Veranstalter von Chicago-Stadtführungen haben ihr Programm um ein paar Obama-Stationen ergänzt. Der Kandidat ist dabei, dem bislang prominentesten Sohn der Stadt, dem Gangsterkönig Al Capone, den Rang als Touristenmagnet abzulaufen. Und die besonders engagierten Anhänger des Kandidaten können sich bei der Zeitung „Chicago Tribune“ seit kurzem eine Tour zu mehr als 20 Orten ausdrucken, die für Obamas Leben und seine Karriere wichtig sind.

Unscheinbare Gebäude werden zu Touristenattraktionen

„Bei uns schauen jetzt regelmäßig Leute aus aller Welt vorbei, die sonst nie in dieses Viertel kommen würden“, freut sich Sharon McKennie, Geschäftsführerin des Restaurants „MacArthur’s“. Es liegt am westlichen Stadtrand in einem vor allem von Schwarzen bewohnten Viertel. Obama lobt „MacArthur’s“ mit seinem Südstaaten-Menü in seinen Memoiren als eines seiner Lieblingsrestaurants. Vor allem die marinierte Putenkeule hat es ihm angetan. „Dort hinten hat er sich immer mit Leuten aus dem Viertel getroffen und über politische Fragen diskutiert“, sagt restaurantchefin McKennie und zeigt in eine abgetrennte Ecke des mit Holz vertäfelten und in Sitzecken aufgeteilten Lokals. Die Wände zieren Fotos prominenter Besucher, vor allem schwarze Politiker, Sportler, Senatoren - und eben Obama. Zuletzt hat er sich allerdings schon ein paar Monate nicht mehr blicken lassen, wahrscheinlich wegen des Wahlkampfes, sagt die Restaurantchefin.

Manch unscheinbares Gebäude ist erst durch Obama in den Rang einer Touristenattraktion aufgestiegen. Wer die bei Besuchern besonders beliebte Bootsfahrt der Chicagoer Architektur-Stiftung zu architektonischen Sehenswürdigkeiten am Ufer des Chicago River mitmacht, erfährt zum Beispiel ausführlich, was es mit dem „East Bank Club“ auf sich hat, einem grauen Betonklotz am Rande eines ehemaligen Industrieviertels. „Das ist das Fitnesscenter, in das Barack Obama regelmäßig geht“, erklärt Führerin Barbara Butz den Hunderten Bootsgästen, als der Ausflugsdampfer den wenig ansehnlichen 70er-Jahre-Bau passiert. Hier schwitzt Chicagos politische Elite, von Bürgermeister Richard Daley bis zu Bürgerrechtler Jesse Jackson. Deswegen kommt nicht jeder rein. „Das ist einer der wenigen Clubs, wo sich die Frauen vor dem Training das Make-Up auflegen, nicht hinterher“, spottet die Touristenführerin.

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