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Panorama: Zugeschneit: Moskau im weißen Gewand

Wenn Lydia Iwanowna morgens das Haus verlässt, glaubt sie, im Reich de Schneekönigin zu sein. Hüfthoch türmt sich zu beiden Seiten der Tür die weiße Pracht, die Lydia Iwanowna eher als weißen Fluch sieht: Zwischen den Schneebergen führt ein Trampelpfad hindurch, der so schmal ist, dass die Mittfünfzigerin nur vorankommt, wenn sie konsequent einen Fuß vor den anderen in die Spuren setzt, die Hundebesitzer und andere Frühaufsteher schon getreten haben.

Wenn Lydia Iwanowna morgens das Haus verlässt, glaubt sie, im Reich de Schneekönigin zu sein. Hüfthoch türmt sich zu beiden Seiten der Tür die weiße Pracht, die Lydia Iwanowna eher als weißen Fluch sieht: Zwischen den Schneebergen führt ein Trampelpfad hindurch, der so schmal ist, dass die Mittfünfzigerin nur vorankommt, wenn sie konsequent einen Fuß vor den anderen in die Spuren setzt, die Hundebesitzer und andere Frühaufsteher schon getreten haben. Und für die hundertfünfzig Meter braucht sie jetzt die dreifache Zeit, weil die Füße immer wieder bis zur halben Höhe der Waden in den lockeren, über Nacht gefallenen Schnee einsinken.

Die schlimmste Prüfung aber hält das Schicksal bereit, wenn Lydia Iwanowna die große Straße überquert, weil dort die Bushaltestelle ist. Der schmale Durchgang zwischen den aufgeschütteten Schneehaufen besteht aus blankem Eis und weist zudem noch ein Gefälle von mindestens 15 Prozent auf. Soviel Schnee, das behaupten ganz Alte, habe es in Moskau seit dem ersten Weltkrieg nicht mehr gegeben. Sogar die Meteorologen räumten ein, allein in der letzten Woche sei über das Doppelte der für den gesamten Februar üblichen Niederschlagsmenge über die russische Hauptstadt niedergegangen.

Das Unglück begann in der Nacht zum vorvergangenen Freitag. In nur sechs Stunden fielen 25 cm Neuschnee. Weitere 20 kamen im Laufe des Tages hinzu. Als dann noch Schneesturm einsetzte, bildeten sich in den Außenbezirken die ersten Verwehungen, die Straßenbahnen und Busse lahm legten. Am Sonntag schüttete es erneut den ganzen Tag und in der Nacht zum Donnerstag ein weiteres Mal. Seither geht nichts mehr in der Zehn-Millionen- Metropole.

Autofahrer müssen mindestens eine Stunde mehr für ihren täglichen Weg zur Arbeit einkalkulieren. Selbst im Zentrum wurden die Straßen nur teilweise geräumte. Statt vier stehen daher meist nur zwei Fahrspuren zur Verfügung. Die Folge: kilometerlange Staus und eine durchschnittliche Fortbewegungsgeschwindigkeit von weniger als zehn Kilometer die Stunde. Dazu kommt, dass die Moskauer Regierung gar nicht weiß, wohin mit all dem Schnee. Die große Deponie jenseits des Autobahnrings ist randvoll, am Donnerstag kippten Laster den Schnee bereits in die Jausa, einem Nebenfluss der Moskau. Das ist eigentlich verboten, weil es nach der Schneeschmelze im Frühjahr häufig Hochwasser gibt. Mitte der Neunziger hatte die Stadt daher eine Schnee-Schmelzanlage in Betrieb genommen. Nach dem diesjährigen Drama sollen weitere vier dazukommen.

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