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Zuhause: Familienbetrieb

Kinder, der Arbeitsplatz und Designermöbel: Das passt so gar nicht. Familie Diez beweist: Es geht doch!

Im Glockenbachviertel lebt Münchens umtriebigstes Designerpaar. Für Liebhaber von glatten Flächen und klaren Linien entwerfen Saskia und Stefan Diez – sie Schmuck, er Möbel. Sie verkauft ihre Halsketten bis nach New York und Paris, er gilt als einer der wichtigsten Möbeldesigner Deutschlands. Sie leben und arbeiten mit ihren drei Kindern. Und die bringen manchmal das Streben nach Perfektion ins Wanken.

Im Vorderhaus der Geyerstraße 20 ist der Showroom von Saskia Diez. An einem alten Schreibtisch entwirft die 34-Jährige Schmuck aus feinem Silber, bunten Holzkugeln und Steinen, die sie auch auf Spaziergängen an der Isar aufsammelt. In der dritten Etage ist die Wohnung der Familie, die vor allem als Schlafstatt und Stauraum dient. Gelebt aber wird in der Remise hinter dem Haus, in der Werkstatt. Im Sommer bleiben die Türen offen, laufen Kinder, Besucher und Praktikanten rein und raus, für Projektbesprechungen stehen ein paar Stühle vor der Tür. Hinter dem Grundstück plätschert der Glockenbach, drinnen wird gesägt, gebastelt und geplant.

Ein ganz normaler Dienstagvormittag im März: Nikolaus (2), Helena (3) und Selma (5) sind noch im Kindergarten. Zwischen einer Kiste mit Bioäpfeln, zerfledderten Kinderbüchern und Regalen voller Prototypen stehen Modelle: Raumansichten, Stühle, auf Pappe aufgezogene Fotos von Armen, an denen Schmuckstücke baumeln. Es ist viel los bei Herrn und Frau Diez. Die Mailänder Möbelmesse öffnet am 12. April, wo er Neuheiten für die Firmen e15 und Wilkhahn zeigt. Sie bereitet zur gleichen Zeit eine Ausstellung für den Münchener Förderpreis vor.

Am großen Besprechungstisch erklärt Stefan Diez einem Praktikanten auf Englisch, wie er den Bezugsstoff eines Sitzmöbels verarbeiten soll. Er hat ziemlich genaue Vorstellungen und kritzelt zur Erläuterung seitenweise Skizzen in einen Block. Der 39-jährige Münchener vertritt eine neue Generation deutscher Designer, die jenseits von Bauhaus und Funktionalismus international wahrgenommen werden. Seine Möbel-Entwürfe sind einfach, durchdacht und dabei leichtfüßig.

Für den westfälischen Büromöbelhersteller Wilkhahn hat er mithilfe von Technologie aus der Automobilindustrie einen eleganten Stuhl aus Stahlblech entworfen („Chassis“), für den Hersteller Thonet den guten alten Kaffeehausstuhl ins 21. Jahrhundert übersetzt. Und die Sitzmöbel-Familie, die er für e15 entworfen hat, zählt bereits zu den Klassikern der Mailänder Messe. Er hat eine Ausbildung zum Schreiner absolviert, bevor er in Stuttgart bei Richard Sapper Design studierte, danach beim Industriedesigner Konstantin Grcic arbeitete und schließlich 2003 das eigene Studio eröffnete.

Seine Frau Saskia, die nach ihrer Goldschmiedelehre in München Industriedesign studierte, arbeitete als Designerin unter anderem für Rosenthal und Grcic, bevor sie 2005 mit ihrer ersten Schmuckkollektion herauskam. Seither werkeln die beiden unter einem Dach, aber in verschiedenen Disziplinen.

Was beide an Design fasziniert, ist das Experimentieren mit Materialien, die den klassischen Wertebegriff unterlaufen: modellhaft wirkende Stühle aus hochwertiger Eiche, eleganter Schmuck aus Isargestein, Taschen aus reißfestem Papier. Die papiernen Gepäckstücke brachten dem Paar den Deutschen Designpreis 2010 in Silber ein.

Die Werkstatt am Glockenbach ist für beide mehr als nur ein Arbeitsplatz. „Wenn man mich fragt, wo ich lebe, denke ich nicht an die Wohnung im dritten Stock, ich denke zuerst an die Werkstatt. Wir sind ja auch oft am Wochenende hier“, sagt Stefan Diez. „Wenn die Kinder nicht wären, hätten wir die Wohnung vermutlich gar nicht.“

Unten, in der Büroküche, wo Kinderzeichnungen an den Wänden hängen, wird oft für Freunde gekocht. Oben auf der Galerie gibt es ein Büro und einen Raum, der als Spielzimmer für die Kinder geplant war. De facto halten sie sich aber nie dort auf. Wenn die Kinder nachmittags nach Hause kommen, kümmert sich Saskia Diez um den zweijährigen Nikolaus. Die Mädchen spielen noch ein, zwei Stunden im Studio. Sie basteln, malen oder suchen sich jemanden, der gerade mit Modellbau beschäftigt ist und etwas Zeit für sie hat. „Der Lieblingsort der Mädchen ist hinter dem Regal mit den Prototypen“, sagt Saskia Diez. „Das ist eigentlich Stauraum, aber für die Kinder ist es ihre Höhle. Wenn wir ein größeres Abendessen haben und der Besprechungstisch zur Tafel wird, holen sie sich etwas zu essen und verstecken sich da hinten.“

Wie es ist, in einer Werkstatt aufzuwachsen, weiß Stefan Diez aus der eigenen Kindheit. Er stammt aus einer Schreinerfamilie in Freising und kann sich gar nichts Besseres vorstellen. „Für mich war es das Größte, sonntags in die Werkstatt zu schleichen und die Maschinen anzustellen“, erzählt er. „Je größer und gefährlicher, desto besser! Ich habe sie auch nur ganz kurz angemacht und mich auf den Boden geschmissen, falls was wegfliegt.“ Mit einer ähnlichen Selbstverständlichkeit wachsen seine Kinder in der Arbeitsumgebung ihrer Eltern auf, zwischen Schere, Stein, Papier, mit Heißklebepistole und Cutter.

Wie funktioniert das, drei Kinder und zwei Karrieren in einer Werkstatt? Mit guter Organisation, einer offenen Atmosphäre und netten Großeltern, die einspringen, wenn Messebesuche wie in Mailand anstehen. Keine Nanny, kein Au-pair? „Nein, nein“, winkt Saskia Diez ab, „die Kinder haben ein gutes Gefühl dafür, wer hier gerade ein paar Minuten Zeit hat, etwas mit ihnen zu machen.“ Ihr Mann ergänzt: „ Sie wachsen mit Werkzeug auf, haben daher einen normalen Umgang damit und so ein gutes Gespür für Dinge entwickelt, die gefährlich sind. Wir erklären ihnen, dass man mit einer Heißklebepistole vorsichtig sein muss – und dann lassen wir sie damit spielen. Im Zweifel verbrennen sie sich mal oder schneiden sich mit einem Cutter. Aber es ist noch nichts Schlimmes passiert.“

Spielzeug zu entwerfen, das ist beiden Gestaltern noch nie in den Sinn gekommen. Saskia Diez hat eine „Kid’s Collection“ aus Bergkristall und bunten Holzperlen entworfen, legt aber großen Wert darauf, dass ihre Töchter nicht mit Prototypen verwöhnt werden: „Selma und Helena bekommen mal eine Kette oder Ohrringe zum Geburtstag, so wie andere Kinder auch.“ Design-Spielzeug hält Stefan Diez für überflüssig. „Am liebsten spielen Kinder doch mit unfertigen Sachen: Papier, Stifte, Kartons. Es ist wichtig, ihnen die Freiräume dabei zu lassen.“

Die Werkstatt ist ein Paradies für bastelfreudige Kinder: Pappmodelle, die danach rufen, als Puppenstuben zweckentfremdet zu werden, Materialproben ohne Ende und junge Leute, denen man über die Schulter gucken kann, wenn sie eine 3D-Zeichnung am Computer machen. Kein Wunder, dass die Diez-Kinder manchmal den Erwachsenen nacheifern und gerne zeichnen oder malen.

Gelegentlich müssen die Eltern klarstellen, dass man sich an Materialkisten nicht beliebig bedienen kann. Dass ihre Eltern Designer sind, ist den drei Kindern nicht bewusst. Design wird im Diez-Haushalt nicht besonders thematisiert. „Ich erkläre ihnen nie, was zum Beispiel einen guten Stuhl ausmacht“, sagt ihr Vater. „Man kann Kindern wirklich den Spaß verderben, indem man ihnen immer alles erklärt.“ Und er erzählt, wie dankbar er dafür ist, dass sein Vater so wenig Zeit hatte, dass er meist allein in der Werkstatt herumbasteln konnte.

Die Diez-Kinder haben einen unverkrampften Umgang mit Prototypen, von denen es in der Geyerstraße wimmelt. „Neulich haben die Kinder Duschköpfe, die wir für Bosch entworfen haben, mit Malfarbe verschönert“, sagt Stefan Diez: Und bayerisch entspannt fügt er hinzu: „Aber mei, so was regt mich nicht auf.“

Dorothea S, ergeld

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