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Hedonist mit Humor. Wolfram Siebeck 2009 in der Küche des Ritz Carlton in Berlin.

© dpa

Zum Tod von Wolfram Siebeck: Der Genießer

Wolfram Siebeck, der einflussreichste Gastronomie-Kritiker Deutschlands, ist tot. Er hat gutes Essen populär gemacht. Ein Nachruf.

Vor knapp einem Jahr war Wolfram Siebeck verstummt, hatte die letzte Kolumne für seinen Online-Blog „Wo is(s)t Siebeck?“ geschrieben. Das Schweigen schmerzte die Szene. Denn fast 60 Jahre lang hatte er bis dahin die Deutschen auf ihrem Weg zur Feinschmeckerei begleitet, hatte als einflussreichster Gastronomiekritiker zahllose Küchenchefs im In- und Ausland beschrieben, inspiriert, begeistert und geärgert. Und seinen Lesern gezeigt, dass es möglich ist, über Essen gleichzeitig sachkundig und lustig zu schreiben – Können, das ihn in interessierten Kreisen geradezu populär machte. Am Donnerstag ist Wolfram Siebeck auf Burg Mahlberg in Baden im Alter von 87 Jahren gestorben, nach kurzer schwerer Krankheit, wie es hieß.

Einer wie er musste in einem Land ohne kulinarische Traditionen und kulinarisches Qualitätsbewusstsein zwangsläufig provozieren und polarisieren. Teure Restaurants, teure Produkte, besondere Weine, weite Reisen zu Spitzenrestaurants – das fanden die meisten Deutschen exotisch oder sogar dekadent, als Siebeck, ein gelernter Grafiker, darüber zu schreiben begann, zunächst ganz unauffällig 1958 im „Twen“ und später im „Stern“. Bekannt wurde er durch seine zahllosen Beiträge in der „Zeit“ und im „Feinschmecker“, wo er zur richtigen Zeit die wichtigen Trends aufspürte.

„50 Cotes und kein Coq“ war eine Reportage überschrieben, in der 1972 er die seltsamen Ansprüche eines talentierten Jungkochs namens Eckart Witzigmann beschrieb, der gerade die Chefposition im Münchener „Tantris“ übernommen hatte und sich schwer tat, seine Gäste von den Vorzügen seines Coq au vin zu überzeugen.

Feinde im linken Milieu

In Frankreich revolutionierten Paul Bocuse, Alain Chapel und Michel Guerard zu dieser Zeit die Stilistik der Feinschmeckerküche, erfanden den Koch als kreativen Schöpfer, der möglichst täglich mit den frischen Produkten des Marktes eine neue Speisekarte schrieb und die Klassiker abschaffte. Siebeck war dabei, reiste vor allem durch Frankreich, lebte zum Teil in der Provence, deren begnadete Küchenchefs wie Roger Vergé oder Alain Ducasse er mit Verve beschrieb. Das mit der Kritik nahm er ernst, bezog in den Wirren der „Nouvelle Cuisine“ immer wieder deutlich Stellung und provozierte so manchen selbstbewussten Koch: Josef Viehhauser, der aufstrebende Hamburger Küchenavantgardist, warf ihn aus seinem „Canard“, als er nach einer negativen Kritik erneut zum Essen kommen wollte. Kollegen wie Klaus Besser und Gert von Paczensky, die das Thema in dieser Zeit ebenfalls entdeckten, waren weniger umstritten – aber auch viel weniger lustig.

Es lag auf der Hand, dass ein offensiver Hedonist wie er Feinde vor allem im linken Milieu heranzog – die Erfindung der Toskana-Fraktion lag noch in weiter Ferne. Der Schriftsteller Günter Herburger, Erfinder der „Urschlamm-Pfanne“, phantasierte, wie er Siebeck mit einer Einladung ins Würzburger Bahnhofsrestaurant quälen könnte, Max Goldt höhnte „Ach, der Wolfram Siebeck, der hat ja so recht“ („Wissenwertes über Erlangen“). Über nichts konnte sich Siebeck so pointiert und lustvoll aufregen wie über Leser, die ihm vorwarfen, es sei doch ein Verbrechen, über Gänsestopfleber zu schreiben, während doch Milliarden Menschen Hunger litten. Gern machte er sich auch über Zeitgenossen lustig, die Unsummen in ihre Autos steckten und sich gleichzeitig über die Preise guter Restaurants mokierten. Wer andererseits beklagte, dass die industrielle Landwirtschaft nur noch billige Massenprodukte liefere, der hatte ihn ganz sicher auf seiner Seite. Mit dem, was er für primitive Lustbarkeiten hielt, fremdelte er zeitlebens. Eine einzige Currywurst will er gegessen haben, geschmeckt hat sie ihm nicht.

Ein Koch warf ihn aus dem Restaurant

Er hat das gute Essen populär gemacht, doch die Popularisierung der Kochkunst durch das Fernsehen, die er in seinen letzten Lebensjahrzehnten mit ansehen musste, war ihm ein Graus. Er selbst hielt sich aus dem Fernsehen völlig heraus, nachdem der Dokumentarfilmer Roman Brodmann gestorben war. Beide hatten in den 80ern für den Südwestfunk eine zwölfteilige Serie produziert, in der Siebeck wichtige Küchenchefs zu sich einlud, damit sie seine Kochkünste kommentieren sollten – das Ergebnis fiel nicht immer positiv aus, und viele Profis spotteten gern hinter vorgehaltener Hand über das Können des Autodidakten.

Vor allem aber schrieb Siebeck Bücher, Koch- Küchen- und Reisebücher, rund 45 insgesamt, dazu unzählige Kolumnen. In den Neunzigern war er eine Weile auch für den Tagesspiegel tätig, berichtete von Frau Hoffmann, der Katze, die ihm in der Provence zugelaufen war und ihn zu zeitkritisch-satirischen Betrachtungen anregte. Kulinarisch kehrte er in seinen späten Publikationen wieder zur klassischen französischen Küche zurück – die exaltierten Basteleien der Molekularköche waren ihm ein Graus.

Auch im hohen Alter reiste er noch, nahm Ehrungen entgegen und meldete sich zu Wort, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. 2013 rief er zur Wahl Peer Steinbrücks auf, den er als Opfer einer infamen Intrige sah – es ging um die ominöse Putzfrauen-Affäre. Und darum, dass der Kanzlerkandidat bekannte, keinen Pinot Grigio unter fünf Euro zu trinken. Falsch, sagte Siebeck, zehn Euro seien die angemessenere Grenze. Sein Witz, seine Lust an der Provokation und seine Genusssucht werden der deutschen Gastronomie fehlen.

Ein ausführliches Tagesspiegel-Interview mit Wolfram Siebeck aus dem Jahr 2008 lesen Sie hier.

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