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Beruft sich auf Traditionen. Sani Garba hält ein Foto seiner 14-jährigen Schwiegertochter Wasila Tasi'u hoch.

© AFP

Zwangsheirat: 14-Jährige in Nigeria vergiftet ihren Ehemann

Eine 14-Jährige im Nordwesten Nigerias steht vor Gericht, weil sie ihren 35-jährigen Ehemann getötet hat. Der Fall wirft eine Debatte auf um die Scharia und die alten Traditionen auf, die das Leben vieler Menschen bestimmen.

Für die einen ist Wasila Tasi’u Opfer, für die anderen grausame Mörderin: Die 14-Jährige aus einer armen muslimischen Familie im Nordwesten Nigerias muss sich vor Gericht verantworten, weil sie vier Menschen mit Rattengift getötet haben soll, darunter ihren 35-jährigen Ehemann. Der Fall spaltet Nigeria. Im Norden wird die frühe Heirat von Mädchen unter 18 Jahren nicht als Problem wahrgenommen. Im christlichen Süden steht die Praxis für die Rückständigkeit des muslimischen Nordens und der dort seit dem Jahr 2000 geltenden Scharia, dem islamischen Recht.

Der Vater Tasui Mohammed versichert, seine Tochter sei alt genug gewesen für die Hochzeit und habe sich ihren Bräutigam selbst ausgesucht. „Für uns ist sie kein Kind. Es ist üblich, Mädchen mit 14 Jahren zu verheiraten“, sagt der Vater des toten Bräutigams, Sani Garba. Er fügt hinzu: „Wir können ihr nicht vergeben.“ Der Polizeisprecher des Staates Kano, Musa Magajia Majia, ist hingegen überzeugt, dass Tasi’u aus Verzweiflung mordete, „weil sie von ihren Eltern gezwungen wurde, einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebte“.

Schauplatz der Tragödie ist das abgelegene Dorf Unguwar Yansoro, rund 60 Kilometer von Nigerias zweitgrößter Stadt Kano entfernt. Nach Darstellung der Polizei gestand Wasila Tasi’u, bei einem Fest im April rund zwei Wochen nach ihrer Hochzeit Rattengift ins Essen gemischt zu haben. Ihre Anwältin Hussaina Aliyu von der Anwältinnen-Vereinigung Fida weist allerdings darauf hin, dass die Aussage nicht bei Gericht verwendet werden könne, weil die Minderjährige ohne Vormund oder Anwalt verhört wurde. Sie versucht den Fall an die Jugendgerichtsbarkeit verweisen zu lassen. Eigentlich sollte der Prozess gegen Wasila Tasi’u am 4. August beginnen. Wegen eines Streiks des Gerichtspersonals wurde das Verfahren zunächst verschoben.

In Nigeria können Frauen unter 18 Jahren nur mit Zustimmung der Eltern heiraten. Dennoch sind Hochzeiten sehr junger Mädchen im Norden weit verbreitet, vor allem auf dem Land. Dass er seine Tochter mit 14 Jahren verheiratete, findet Tasui Mohammed nicht ungewöhnlich. Sechs ihrer Schwestern seien ebenfalls seit ihrem 14. Lebensjahr verheiratet, sagt der 50-Jährige. „Meine Tochter wurde nie zu dieser Ehe gezwungen. Sie wählte Umar aus drei Verehrern aus.“ Nach den Stammesgebräuchen der Hausa informieren die Mädchen ihre Väter durch einen Boten von ihrer Partnerwahl. Wasila Tasi’u schickte ebenfalls einen Freund, um ihren Vater zu unterrichten. „Sie versicherte mir, dass das ihre Wahl sei“, sagt er. Warum sie ihren Mann dann getötet habe, könne er nicht verstehen.

16 Prozent der Mädchen werden vor dem 14. Geburtstag verheiratet

Die UN-Kinderrechtsorganisation Unicef berichtet, dass in ganz Nigeria 16 Prozent der Mädchen vor dem 15. Lebensjahr verheiratet werden, 39 Prozent seien mit 18 Jahren verheiratet. Die Ford-Stiftung hat eine Studie zu Kinderhochzeiten in Westafrika finanziert, die zu dem Schluss kommt, dass in Nigeria 27 Prozent der Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren verheiratet sind, viele als Zweit- oder Drittfrauen. Polygamie ist im Norden Nigerias nach wie vor üblich. Im Nordosten sind demnach 78 Prozent der Mädchen vor dem 15. Lebensjahr verheiratet, im Süden des Landes sind es weniger als 20 Prozent.

Menschenrechtler – vor allem aus dem Süden Nigerias – fordern unter Verweis auf das Kinderrechtsgesetz von 2003 die Aufhebung der Klage gegen die 14-Jährige. Sie weisen zudem darauf hin, dass das Mädchen möglicherweise in ihrer Ehe Gewalt ausgesetzt gewesen sei. Ein Freund des Bräutigams dringt hingegen auf eine strenge Bestrafung, schon allein, um Nachahmerinnen abzuschrecken: „Vier andere Frauen versuchten, ihre Männer zu vergiften“, sagt Husseini Yansoro. „Sie fühlten sich ermutigt von dem rechtlichen Beistand für Wasila Tasi’u sowie von den Gerüchten über ihre baldige Freilassung.“ Bestätigt wurden diese Gerüchte allerdings nicht.

Der Onkel der Angeklagten versteht nicht, warum seine Nichte so viel Verständnis erfährt. „Unsere Töchter gehen in keine moderne Schulen. Hier gibt es keine, wir haben nicht einmal eine Grundschule.“ Für sie sei eine Ehe noch die beste Perspektive. „Sobald sie 14 sind, verheiraten wir sie. Warum sollten wir sie zu Hause behalten?“ (mit AFP)

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