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Brandenburg: „Wir bauen das wieder auf“

Nach dem Brandanschlag auf den Dönerladen handelte Sarah Schütze. Jetzt ehrte sie der Bundespräsident

Von Sandra Dassler

Ortrand - Ihre Eltern haben ihr ein schickes rotes Kleid gekauft – kurz, so wie es das Protokoll des Neujahrsempfangs beim Bundespräsidenten den geladenen Gästen empfiehlt. Das Kleid war ungewohnt für sie, doch Sarah Schütze hat darin am vergangenen Montag eine gute Figur gemacht neben all den Politikern im Schloss Bellevue.

Einige Tage später sieht die 16-jährige Schülerin wieder aus wie ein normaler Teenager: Jeans und Kapuzenshirt, Lippenpiercing, rötlich gefärbte Haare.

Sarah Schütze sitzt mit ihren Freunden im Dönerimbiss des kleinen Städtchens Ortrand an der brandenburgisch-sächsischen Grenze. Mit etwas flapsigen Worten erzählt sie, wie Horst Köhler mit ihr geredet hat und Angela Merkel und dass es zum Glück ein Gläschen Sekt gab, an dem sie sich festhalten konnte.

Hinter dem Ladentisch verkauft Ismail Kilic seine Döner, die Schlange der Kunden reißt nicht ab. Der Laden ist frisch renoviert, Stühle und Tische sind neu, ein großes Wandbild und ein kleiner Fernseher verbreiten Gemütlichkeit.

Sarah Schützes Freunde lauschen ihren Erzählungen: Alexander Köhler (26) zum Beispiel, den seine Kumpel nur Alex nennen, Orlando Ort (24), der gerade Vater geworden ist, oder Carsten Gückstock (28), der fast immer eine Mütze trägt, als wolle er sein Gesicht verstecken. Alle drei sind arbeitslos, und alle drei hätten es ebenso verdient, vom Bundespräsidenten empfangen zu werden. Doch Horst Köhler hat sich für Sarah Schütze entschieden – und damit sind Alex, Orlando und Carsten zufrieden.

Denn Sarah hatte schließlich die Idee mit dem Benefizkonzert. Und mit angepackt hat die 16-Jährige auch, als sie alle fassungslos vor den verkohlten Überresten ihres Lieblingsdönerimbisses standen.

Das war am 23. Juni letzten Jahres. Jemand hatte in der Nacht zuvor das Feuer gelegt. „Ein schrecklicher Anblick“, erinnert sich Sarah Schütze: „Alles verkohlt und verschmort.“ Die Schülerin hat die Verzweiflung im Gesicht von Ismail Kilic nicht vergessen. Der 27-jährige Türke, sein Bruder Ibrahim und ihre Familien standen vor dem Nichts. Eine Versicherung hatten sie nicht, weil es in den Jahren zuvor immer wieder Übergriffe auf den Imbiss gegeben hatte – und alle Versicherungsgesellschaften abwinkten.

Sarah, Alex, Orlando, Carsten und einige andere haben an jenem 23. Juni spontan zu den Kilic-Brüdern gesagt: „Wir bauen das wieder auf“. Sie haben noch am gleichen Tag begonnen. Plötzlich war die verfluchte Arbeitslosigkeit fast ein Segen: Von früh bis spät in die Nacht hinein werkelten die jungen Männer. Sarah und ihre Eltern halfen ebenfalls, Ortrander Gewerbetreibende spendierten Material, die Stadt richtete ein Spendenkonto ein, der Leiter des Lebensmittelmarktes nebenan besorgte dieses und jenes, und viele Kunden steckten Geld in die große gelbe Sammelflasche.

Weil aber alles noch nicht ausreichte, kam Sarah auf die Idee mit dem Benefizkonzert: „In den Städten und Dörfern ringsum gibt es viele Jugendbands“, erzählt sie: „Die spielen Hardrock, Punk – und sie sind alle eher links. Die habe ich angesprochen, und alle haben mitgemacht.“

Die Vorbereitungen für das Konzert kosteten dennoch viel Kraft: Bühne, Technik, Toiletten, Versorgung – „ohne die Hilfe meiner Eltern hätte ich das nicht geschafft“, sagt Sarah.

Am 29. Juli kamen schließlich mehr als 500 junge Leute zu dem ungewöhnlichen Konzert – obwohl es zeitweilig wolkenbruchartig regnete. Knapp 1700 Euro konnten Sarah und ihre Freunde danach Ismail Kilic übergeben.

Deshalb hatte Bundespräsident Horst Köhler sie zum Neujahrsempfang geladen – stellvertretend für alle Ortrander Bürger, die geholfen haben.

Die haben sich mit Sarah gefreut, auch in ihrer Schule ist man jetzt mächtig stolz auf sie. „Ich weiß nicht“, sagt die 16-Jährige zweifelnd: „Wir haben doch etwas völlig Normales getan.“

Auch ihre Eltern und Freunde betonen immer wieder, dass ihre Hilfe eigentlich nichts damit zu tun hatte, dass Ismail Kilic Türke sei: „Er ist einfach ein Freund – wir hätten das für jeden anderen Freund auch getan“, sagt Sarahs Mutter Sylvia.

Die 40-Jährige hat aber wie alle anderen Helfer auch erfahren, dass durchaus nicht alle so denken. „Wer hilft euch denn?“, wurden sie mehr als einmal gefragt. Dass Ortrand zum Symbol für das „andere Ostdeutschland“ geworden ist und sogar von der türkischen Gemeinde in Deutschland ausgezeichnet wurde, passt nicht jedem. Und sowohl die Kilic-Brüder als auch ihre deutschen Freunde haben manchmal Angst, dass die Brandstifter wiederkommen. Obwohl die Polizei noch immer keine Hinweise auf die Täter hat, sind sie sicher, dass es Rechte waren, die den Anschlag im Juni letzten Jahres verübten. „Die sollen nicht wagen, noch einmal hier aufzutauchen“, sagt Sarah Schütze. „So viele haben geholfen. Sie werden nicht zulassen, dass Ismail aus unserer Stadt vertrieben wird. Nicht nur, weil sein Döner wirklich der beste weit und breit ist. Sondern weil er einfach zu uns gehört.“

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