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Wirtschaft: 10 Jahre Währungsunion: Heute vor zehn Jahren kam die D-Mark in den Osten Deutschlands. Erinnerungen eines Währungsgewinnlers

1. Schlimm, die Währungsunion.

Von David Ensikat

1. Schlimm, die Währungsunion. Auf dem Helmholtzplatz in Berlin-Prenzlauer Berg ist es oft recht laut. Obdachlose und Säufer strömen in Scharen auf den Platz. Früher, in der DDR, gab es hier keine Obdachlosen. Nur ein paar Säufer, etwa zehn ältere Herren. Die machten keinen Lärm. Die Bürokraten nannten solche Leute "Problembürger" und achteten darauf, dass sie eine feste Arbeit hatten. In vielen Betrieben gab es "Säuferbrigaden", in denen es nicht so auffiel, wenn einer mal nicht kam. Betriebe, die mit richtigem Geld rechnen müssen, können sich so was nicht leisten. Seit es im Osten richtiges Geld gibt, haben viele Säufer Job und Wohnung verloren. Es ist laut geworden am Helmholtzplatz.

2. Schwierig, die Währungsunion. Irgendwann im Juni 1990 stand ich in einer langen Schlange in der Sparkasse. In der Schlange stand eine Omi, die all ihre Ostmark abheben wollte, um sie im Strumpf daheim vor den undurchsichtigen Währungsmanipulationen zu bewahren. "Um Gottes Willen, machen Sie das nicht", riefen die Leute in der Schlange. Und sie versuchten, der Überforderten die Sache zu erklären. Sie verstand gar nichts, weinte, und ging heim. Hoffentlich hob sie ihr Geld nicht noch bei einer anderen Sparkasse ab.

3. Ein Glück, die Währungsunion. Vor dem 1. Juli 1990 war ich zwei Monate lang ein schlechter Mensch. Durch Leute wie mich musste die DDR-Wirtschaft kaputt gehen: Ich war ein Währungsgewinnler. Im Osten lebte ich, in Westberlin hatte ich einen Job - für zehn harte Mark pro Stunde spülte ich Teller und machte Salate. Das Geld tauschte ich in weiche Mark - und kam auf einen Stundenlohn, der zehnmal höher war als einer, den ich im Osten bekommen hätte. Nach der Währungsunion konnte ich weiter im Westen arbeiten, war aber kein Währungsgewinnler mehr und konnte wieder ein guter Mensch sein.

4. Und? Ich habe eine Flasche Rotwein gewonnen. Im April 1990 schloss ich mit einem Herrn von Mitte 50 die Wette ab, wann sie uns die Westmark bescheren würden. Ich meinte, sie käme bestimmt noch im Sommer. Er meinte, sie käme viel später. Er hat geahnt, dass sein Job von den Ostmark(t)verhältnissen abhing - er war kein Säufer, sondern Chemiker in einem staatlichen Institut. Im selben Jahr verlor er seine Arbeit. Mir geht es prima. Ich verdiene richtiges Westgeld. Als die D-Mark in den Osten kam, war ich zweiundzwanzig und schaute mich um, was man so werden könnte.

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