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Wirtschaft: 1000 Flugzeuge für Indien

Der europäische Flugzeugbauer Airbus verspricht sich viel vom indischen Markt und will dort zunehmend produzieren lassen

Die Bauteile, die in einem dreigeschossigen Fabrikgebäude in Bangalore montiert werden, erfordern höchste Präzision. Es sind die Laufwerke für die Landeklappen der A-320- Flugzeugfamilie von Airbus. Bisher wurden sie in Großbritannien gefertigt, jetzt hat der europäische Flugzeugbauer die Produktion nach Indien verlegt. Bei der Auslieferung der ersten Einheiten hätten seine Ingenieure von den Airbus-Kollegen Beifall für die Qualität ihrer Arbeit erhalten, sagt Tobi, wie er hier genannt wird. Mit vollem Namen heißt er Udayant Malhoutra und ist der Vorstandsvorsitzende von Dynamatic Technologies.

Die Geschichte des Unternehmens ist beispielhaft für die aufstrebende Luftfahrtindustrie Indiens. Ursprünglich stellte man Hydraulikpumpen für Lkw und Baumaschinen her. Als Tobi die Firma 1986 übernahm, machte sie einen Jahresumsatz von umgerechnet 300 000 Dollar. Heute sind es 120 Millionen Dollar. Der Zusammenbruch der Sowjetunion brachte die Wende. Als Ersatzteile für die Panzer der indischen Armee, die aus Russland stammen, fehlten, sprang Dynamatic Technologies in die Bresche. Das war ein erster Schritt zum Einstieg in den zuvor dem Staatskonzern Hindustan Aeronautics vorbehaltenen Luftfahrtbereich. Den Anfang machten dann Tragflächen und Heckteile für einen unbemannten Flugkörper, als Produktionsstätte diente eine umgebaute Garage.

„Guru, Shishya, Parampara“ (Lehrer, Schüler, Tradition) lautet Tobis Geheimrezept für die Qualifizierung der inzwischen 2200 Mitarbeiter. Er verpflichtete die erfahrensten Luftfahrt-Experten des Landes und ließ sie den ambitionierten Nachwuchs schulen. „Die Eltern sind arme Landwirte aus der Umgebung, ihre Kinder Ingenieure und Wissenschaftler, das ist wirkliche Transformation“, sagt der Unternehmer. Einschließlich Altersvorsorge liegt das Monatseinkommen bei 900 Dollar, in Indien ist das ein Spitzenwert für Fabrikarbeiter, von denen die meisten obendrein auch noch Firmenanteile besitzen.

Indien ist für Airbus einer der bedeutendsten Märkte, betonte Airbus-Chef Thomas Enders in diesen Tagen bei einem Besuch vor Ort. Sechs der sieben größten indischen Luftverkehrsgesellschaften setzen auf Produkte des europäischen Herstellers, der Marktanteil beträgt 68 Prozent. Für die kommenden 20 Jahre sieht Airbus hier einen Bedarf für mindestens 1000 weitere Jets, was einem Geschäftsvolumen von 138 Milliarden Dollar entspricht. Luftfahrtminister Praful Patel geht angesichts der rasanten Wachstumsraten sogar von der doppelten Zahl an neuen Flugzeugen aus.

Damit nicht genug, in Indien findet Airbus auch die Ingenieure, von denen es in Europa zu wenige gibt. 350 000 verlassen jährlich die Hochschulen des Landes. Nur jeder Vierte davon erfüllt die Ansprüche des Unternehmens, am Ende kommen knapp 900 in die engere Wahl. Denn es geht es nicht nur um die fachliche, sondern auch um die menschliche Qualifikation. Mitarbeiter müssen ins Profil der Airbus-Familie passen und eine langfristige Beschäftigung zum Ziel haben, sagt Chefingenieurin Joelle Williame.

Die neuen Kollegen werden für ein paar Monate zur Einarbeitung nach Deutschland, Frankreich oder Großbritannien geschickt. Dann geht es zurück in die Heimat. Im Zeitalter von Internet und Videokonferenzen kann jeder, der die Firmenkultur einmal verstanden hat, überall auf der Welt für den Flugzeughersteller arbeiten, betont Enders. So hat Airbus vor drei Jahren mit 25 Ingenieuren in Indien ein eigenes Engineering-Center gegründet. Heute erstellen dort bereits 180 Experten aerodynamische Analysen für das Großflugzeug A 380, untersuchen das Strömungsverhalten des neuen A 350 und testen im virtuellen Cockpit-Labor kostensparend neue Systeme. In zwei bis drei Jahren sollen es 400 Mitarbeiter sein.

Der Standort ist nicht willkürlich gewählt. Bangalore ist das Zentrum der nationalen Luftfahrtindustrie und gilt wegen der hier ebenso starken IT-Branche zugleich als das Silicon Valley des Landes. Die Kontraste in der mit mindestens sechs Millionen Einwohnern drittgrößten Stadt Indiens sind gravierend. An der Old Madras Road entsteht ein palastartiges Einkaufszentrum. Airbus belegt gleich gegenüber die dritte Etage des Infinity-Businessparks: zwischen dem Medienkonzern Thomson-Reuters und Google. Um die Ecke hat sich auch der Rivale Boeing angesiedelt. Während hier die neue Elite des Landes modernste Technologie entwickelt, leben gleich nebenan Menschen in maroden Wellblechhütten. Ein paar Kilometer entfernt werden bei Airbus Training India Wartungstechniker aus ganz Asien geschult. Ende des Jahres wird der neue Standort am internationalen Flughafen eröffnet. Dort können dann auch Piloten ihre Musterzulassung erwerben. Zwei Flugsimulatoren für den A 320 wurden bereits installiert.

Daneben verfügt Airbus in Indien über 25 direkte und indirekte Industriepartner, darunter acht Hauptzulieferer. So bauen 110 Mitarbeiter bei Hindustan Aeronautics die vorderen Türen für jeden zweiten der europäischen Mittelstreckenjets. Selbst zur Lösung der Produktionsprobleme beim A 380 holte sich Airbus Unterstützung aus Indien. Das IT-Unternehmen Mahindra Satyam berechnete die optimale Anordnung der Kabelbäume. Inzwischen arbeiten hier 250 Spezialisten für den Flugzeugbauer, die auch in die Entwicklung des neuen A 350 eingebunden sind.

80 Prozent seines Umsatzes macht Airbus außerhalb Europas, so ist das Engagement in Indien Teil der Konzernstrategie, auch Arbeit in Drittländer zu verlagern. Noch befinden sich 90 Prozent der Arbeitsplätze in Europa, mittelfristig sollen es nur noch 60 bis 70 Prozent sein, kündigte Enders in einem Interview mit der „Times of India“ an. Bisher werden nur 25 Prozent der Zuliefer-Aufträge außerhalb Europas vergeben, bisher überwiegend in die USA. In den kommenden zehn Jahren soll der Anteil auf 40 Prozent steigen. Die indischen Partner sollen in diesem Zeitraum Arbeitsaufträge mit einem Gesamtvolumen von einer Milliarde Dollar erhalten, kündigte der Airbus- Chef an.

Bei Dynamatic Technologies wird es langsam eng. 120 Millionen Dollar werden deshalb in den Bau einer neuen Produktionsstätte am Flughafen investiert. „Wir haben uns für eine Vielzahl von weiteren Projekten beworben und sehen eine Menge zusätzlichen Geschäfts mit Airbus“, freut sich Firmenchef Tobi auf die Zukunft.

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