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Wirtschaft: 150 Zahnarzt-Praxen für 30 000 Einwohner

BUDAPEST .Gleich hinter der Grenze zwischen Österreich und Ungarn steht das erste Schild.

BUDAPEST .Gleich hinter der Grenze zwischen Österreich und Ungarn steht das erste Schild."Zahnarzt" versprechen die handgemalten roten Lettern.Das einzige deutsche Wort sticht in der ungarischen Umgebung grell hervor.Wenige Kilometer weiter reiht sich Zahnarzt-Schild an Zahnarzt-Schild.In allen Größen, Farben und Schrifttypen werben Zahnärzte in Mosonmagyaróvár für ihre Leistungen.Hier, dicht hinter der Grenze zu Österreich, kommen rekordverdächtige 150 Praxen auf 30 000 Einwohner.

Der Auslöser für den Ärzteboom sitzt auf der anderen Seite des Schlagbaums: Seit die deutschen, österreichischen und Schweizer Gesundheitspolitiker die Leistungen für Zahnersatz kürzten, ordern viele Versicherte ihre neuen Zähne in Ungarn, wo nicht nur die Sachertorte wesentlich weniger kostet als in Wien und München, sondern auch Kronen, Brücken und Implantate.

Im Café der Schweizer Zahnarzt GmbH gibt es beides gleichzeitig: Sachertorte und Zahnersatz.Mit strahlendem Lächeln empfängt eine Hosteß die Gäste, wie die Patienten hier heißen.Statt eines Wartezimmers, in dem es nach zahnarzttypischen Desinfektionsmitteln riecht, harren die Patienten im Kaffeehausduft der Behandlung.Der zahnärztliche Ernst beginnt ein Stockwerk höher: In den hellen, modernen Behandlungsräumen setzen neun Zahnärzte nach einer gründlichen Voruntersuchung Kronen und Brücken ein, schrauben Implantate in den Kiefer und tauschen Amalgam- gegen Goldfüllungen aus - alles zu Preisen, die 30 bis 70 Prozent unter den deutschen liegen.

In Österreich hat sich längst herumgesprochen, daß Ungarn bei Zahnbehandlungen einiges zu bieten hat.90 Prozent der Patienten der Schweizer Zahnarzt GmbH kommen aus Österreich.Doch die Deutschen holen auf: Immer mehr Versicherte erkennen, daß die Behandlung im Ausland nicht zwangsläufig schlechte Qualität mit sich bringt."Die Anfragen nehmen zu, auch von Leuten, die in anderen EU-Ländern nach Alternativen suchen", berichtet Roland Englert von der Intermed GmbH in Schöllkrippen, die mit Zahnärzten in Ungarn und Spanien zusammenarbeitet.

Auch auf Mallorca und Ibiza spüren die Arztpraxen den Wandel."Seit ein paar Monaten werden wir überhäuft mit Anfragen nach einer Zahnbehandlung im Urlaub", sagt Gabor Santha, der in Palma de Mallorca die "Praxis mit Biß" leitet.

Denn seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Zahnersatz und Brillen aus dem EU-Ausland haben Auslandserstattungen das richterliche Plazet.Und: Viele gesetzliche Krankenkassen erstatten ihren Mitgliedern nach vorheriger Absprache den Festzuschuß auch für Zahnersatz aus Spanien.Viele private Kassen, aber auch einige wenige gesetzliche erkennen sogar ungarische Rechnungen an.

Das war nicht immer so.Als Roland Englert und sein Partner Günter Hofmann vor zwei Jahren Intermed gründeten, um qualifizierte Zahnarzt- und Laborleistungen aus dem Ausland nach Deutschland zu vermitteln, stießen sie erst einmal auf die geballte Ablehnung der Standespolitiker, der Kammern und der Ämter."Die IHK wollte uns zuerst gar nicht eintragen, weil wir angeblich unter Standesrecht fielen", erinnert sich Englert.Und auf die erste Anzeige, in der sie ihre Vermittlungsleistungen anboten, meldete sich kein einziger Kunde - dafür ließen empörte Zahnärzte die Telefone heißlaufen."Wir haben anfangs nicht gedacht, daß wir in so ein Wespennest stechen", gibt Englert zu.Denn trotz aller Aufregung werde eine Behandlung im Ausland doch immer nur für eine Minderheit in Frage kommen.Doch die Aufregung in der Heimat hat für Zahnersatztouristen auch ihre Vorteile: Unter den wachsamen Augen der deutschen Standesvertreter haben es fragwürdige Angebote schwer, sich am Markt zu etablieren."Wir achten sehr genau auf die Qualität unserer Partner", betont Englert.So sei die Schweizer Zahnarzt GmbH bisher der einzige Partner im ehemaligen Ostblock."Dort bekommen wir die Garantieleistungen und die Standards bei der Ausbildung und den Materialien, die wir verlangen."

Die Gesellschaft, von Schweizer Kapitalgebern finanziert, betreibt mit 35 Mitarbeitern drei Zahnzentren in Ungarn.Der Umsatz lag 1997 bei 2,8 Mill.DM, für die nächsten Jahre strebt Geschäftsführer János Géczi eine deutliche Steigerung an.Möglich werden soll das durch das neue Zahn-Zentrum in Szombathely, wo bisher rund eine Mill.DM in den Ausbau eines denkmalgeschützten Hauses mitten in der Fußgängerzone geflossen sind.Dort setzen die Ungarn um, was sie unter "Rundum-Betreuung" verstehen: In den hellen Räumen sollen neben der Zahnarztpraxis auch ein Kosmetikstudio, ein Friseur und eine Kinderbetreuung Platz finden.In Deutschland beäugen die Zahnärzte die Entwicklung noch mit Mißtrauen.Doch langsam wandelt sich das Klima.Viktor Bergmann ist Zahnarzt in Hanau, und in seiner Praxis nutzt er neben deutschen auch ungarische Laborleistungen."Ich kann meine Angebotspalette dadurch enorm erweitern, und ich habe eben auch Patienten in schwierigen sozialen Situationen, für die im Sinn von Marktöffnung bezahlbare Alternativen zugänglich gemacht werden müssen." Marktöffnung ist für ihn keine Einbahnstraße: "Gerade in Süddeutschland kommen viele Patienten aus Frankreich und der Schweiz nach Deutschland", sagt Bergmann.Die Patienten müßten sich künftig stärker über die Qualität ihres Zahnarztes informieren.Dazu sollten sinnvolle Kriterien veröffentlicht werden, sagt er.

Für künftige Zahnarzt-Tester öffnet sich ein weites Feld: Denn Patienten, die heute 19 Jahre und jünger sind, bekommen überhaupt keinen Zuschuß mehr zum Zahnersatz.Schon in wenigen Jahren werden sie wissen wollen, ob sich eine Auslandsbehandlung für sie lohnt.

ULRIKE SOSALLA (HB)

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