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Ismail Bahadir (links) wurde 1969 als der millionste "Gastarbeiter" in Deutschland gefeiert. Foto: dpa

© picture-alliance/ dpa

50 Jahre Migration: Als die Türken nach Deutschland kamen

Vor 50 Jahren kamen die ersten türkischen Gastarbeiter nach Deutschland. Inzwischen gibt es hierzulande 70.000 türkische Unternehmer. Grund genug für eine Feierstunde am Bahnhof in Ankara.

Für Ismail Bahadir muss der Moment recht merkwürdig gewesen sein. Zwischen dem türkischen Minister Faruk Celik und dem deutschen Botschafter in Ankara, Eckart Cuntz, berichtete der Rentner Bahadir am Bahnhof der türkischen Hauptstadt davon, wie es war, in den 1960er Jahren als Türke nach Deutschland zu gehen. Damals war Bahadir schon einmal Mittelpunkt großer Aufmerksamkeit an einem Bahnhof: 1969 wurde Bahadir als der millionste „Gastarbeiter aus dem südosteuropäuischen Raum“, wie es damals hieß, in München willkommen geheißen. Am Mittwoch war er Ehrengast bei einer Feierstunde aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums des Beginns der türkischen Arbeitsmigration in die Bundesrepublik.

Zwölf Jahre lang arbeitete Bahadir in Deutschland, bevor er 1981 in die Türkei zurückkehrte und sich in seiner Heimatstadt Konya niederließ. Bei seiner Ankunft in München hatte Bahadir einen Fernseher als Geschenk bekommen – als er ging, waren die Türken in Deutschland längst nicht mehr so willkommen. Schon 1973 verfügte Deutschland einen Anwerbestopp.

Ein halbes Jahrhundert nach der Unterzeichnung des „Abkommens zur Anwerbung türkischer Arbeitnehmer“ ziehen Türken und Deutsche Bilanz. Eine Reihe von Gedenkveranstaltungen erinnert an den Beginn der Migration, deren Auswirkungen in beiden Ländern bis heute hochpolitische Themen sind. In Ankara stand am Mittwoch unter anderem eine Zugfahrt mit Dampflok als Symbol für die Emigration der Türken nach Deutschland auf dem Programm – der Zug sollte zwar nur etwa fünf Kilometer weit fahren, aber immerhin. Ende Oktober, am Jahrestag der Unterzeichnung des Abkommens, soll ein anderer Zug von Istanbul auf eine echte Reise nach Deutschland gehen, ganz so wie Ibrahim Baradir und viele andere Türken in die Bundesrepublik gelangten. Dann wollen sich auch Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Bundeskanzlerin Angela Merkel treffen.

Bei der Feier am Mittwoch rückten die vielen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten in den Mittelpunkt. Heute bestehe ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland aus Migranten oder deren Nachfahren, sagte Botschafter Cuntz. „Das macht unsere Nation heute aus.“

Minister Celik, im Ankaraner Kabinett für die fünf Millionen Auslandstürken zuständig, strich heraus, wie hoffnungslos zurückgeblieben die Türkei 1961 war: „Damals hatten sie bei uns gerade den Ministerpräsidenten hingerichtet“, sagte er und meinte damit Regierungschef Adnan Menderes, der nach einem Putsch 1960 von den Militärs gehängt worden war. Heute allerdings sei alles ganz anders, sagte der Minister.

In Deutschland gibt es inzwischen 70.000 türkische Unternehmer. Und die Türkei selbst ist eine aufstrebende und zunehmend selbstbewusste Regionalmacht, in der sich immer mehr Menschen eines früher nie gekannten Wohlstands erfreuen. In Anspielung auf die deutsche Kritik an türkischen Migranten erinnerte der Minister die Bundesrepublik auch daran, dass die Auswanderung keine Idee der Türken war: „Die Leute gingen, weil man nach ihnen rief.“ Nun müsse sich Deutschland verstärkt um eine gute Integration bemühen, was bedeute, „Kultur und Religion“ der Türken zu respektieren.

Außerdem ist die Türkei heute selbst ein Zielpunkt für „Gastarbeiter“ – und für immer mehr türkische Rückkehrer aus Deutschland. Schon seit einigen Jahren ziehen mehr Türken aus Deutschland in die Türkei als in umgekehrter Richtung. Der türkische Wirtschaftsboom ist aber nicht nur für die in Deutschland lebenden Kinder und Enkel aus Bahadirs erster Generation der Arbeitsmigranten attraktiv: Knapp zwei Millionen legale und illegale Beschäftigte aus dem Ausland arbeiten inzwischen in der Türkei, schätzt die Regierung in Ankara. Das entspricht fast der Zahl der Türken in Deutschland.

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