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Wirtschaft: 500 widerspenstige Berliner

Unternehmer aus der Hauptstadt wollen die Adresse „.berlin“ vermarkten. Doch ein Dorf hat ältere Rechte

Berlin - Bürgermeister Horst Schramm möchte nicht mit seinem Hauptstadtkollegen Klaus Wowereit tauschen. Schließlich hat sein 500-Seelen-Dorf Berlin, Ortsteil der Gemeinde Seedorf bei Bad Segeberg in Schleswig-Holstein, ebenfalls fast alle Sehenswürdigkeiten der Millionenstadt an der Spree zu bieten. Besuchern zeigt der CDU-Kommunalpolitiker geduldig den kleinen Ort, er führt sie über den Kurfürstendamm mit beschaulichen Einfamilienhäusern, wandert Heerstraße und Uhlandstraße entlang, hält auf dem Potsdamer Platz kurz inne und genießt die norddeutsche Landluft auf der Straße „Unter den Linden“. Wer von der Berliner Sightseeingtour hungrig wird, kann sich im einzigen Gemischtwarenladen weit und breit, dem „KaDeWe“, mit Brot eindecken. Nur ein „Brandenburger Tor“ hat Horst Schramm noch nicht aufstellen lassen.

Dafür fehlt das Geld. Denn auch das kleine Berlin hat Finanzsorgen. Deshalb lauschte Horst Schramm interessiert, als er im Herbst 2006 einen Anruf aus der fernen Hauptstadt erhielt. Ein geschäftiger Internetexperte war am Apparat. Dirk Krischenowski, gebürtiger Schleswig-Holsteiner und Mitgründer der Initiative „dotBerlin“, hatte viel zu erzählen. Von einem großen Projekt, einer eigenen Berlin-Domain und einer Zusammenarbeit zwischen Hauptstadt und Dorf. Domains sind Internetadressen, die jeden Rechner im weltweiten Datennetz eindeutig identifizieren.

Bevor Krischenowski sich an Horst Schramm wandte, hatte „dotBerlin“ weltweit rund 40 Orte mit dem Namen Berlin identifiziert, die eine eigenständige Verwaltung haben. „Wir bemühen uns, all diese Orte über unser Projekt zu unterrichten, weil die Berlin-Domain eine Initiative für alle Berliner weltweit ist“, sagt „dotBerlin“-Sprecher Johannes Lenz- Hawliczek. Das norddeutsche Dorf nimmt bei den Bemühungen der Großstadt-Berliner eine Schlüsselrolle ein, denn es hat die älteren Rechte: Es wurde erstmals 1215 urkundlich erwähnt und damit 22 Jahre früher als die deutsche Hauptstadt. Dass sein Berlin jetzt ein Mitspracherecht hat, ist für Horst Schramm daher „selbstverständlich“.

Aber ob das kleine Berlin überhaupt seine Zustimmung geben muss, ist unklar. Zuständig für solche Fragen ist die Icann (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers), die die Grundlagen der Verwaltung von Namen und Adressen im Internet festlegt und technische Verfahrensstandards beschließt. Sie hat sich bislang nicht dazu geäußert. Denkbar ist, dass das ältere Mini-Berlin bei einem möglichen Streit mit der 22 Jahre jüngeren Hauptstadt um die Rechte an der Domain bevorzugt behandelt würde.

Auf einen solchen Streit will man es nicht ankommen lassen. Schließlich pflegen Hauptstadt und Dorf seit Jahren freundschaftliche Beziehungen auf höchster Ebene: Regierende Bürgermeister wie Willy Brandt oder später Eberhard Diepgen haben persönlich ihre Aufwartung gemacht, und auch in umgekehrter Richtung finden regelmäßige Besuche statt. Außerdem möchte „dotBerlin“ eine neue virtuelle Heimat für „Menschen aus aller Welt, die sich mit Berlin verbunden fühlen“, schaffen.

Die virtuelle Heimatverbundenheit ist auch wirtschaftlich interessant: Getragen wird die dotBerlin GmbH & Co. Kommanditgesellschaft von zahlreichen Unternehmen der Berliner Onlinegemeinde, wie etwa der Strato AG. Der Domainverkäufer verwaltet jede vierte der rund elf Millionen deutschen „de-Domains“ und gilt mit 480 Mitarbeitern und Kampfpreisen von 19 Cent für eine Internetadresse als zweitgrößter Adressregistrierer Europas. Sollte die Bewerbung bei der Icann erfolgreich sein, können Berliner auf der ganzen Welt neben Internetseiten, die auf „.de“, „.com“ oder „.net“ enden, auch Homepages mit der Endung „.berlin“ ins World Wide Web stellen.

Dorfbürgermeister Horst Schramm hatte gleich erkannt: „Es geht hier nicht nur um die Verbundenheit zu Berlin, sondern auch um Geld.“ Schließlich hat der Verkauf von Internetadressen schon so manche öffentliche Kasse gefüllt – Ministaaten wie die ozeanischen Inselkönigreiche Tuvalu und Tonga verkauften ihre Rechte an den nationalen Adressen „tv“ und „to“ für Millionenbeträge an ausländische Unternehmen.

Deshalb engagierte Bürgermeister Schramm kurzerhand einen Hamburger Fachanwalt für Medienrecht und auch die Groß-Berliner Internetexperten wurden zur entscheidenden Gemeindevertreterversammlung Mitte März in „Schramms Gasthof“ eingeladen. Der liegt im Berliner Nachbardorfteil Kembs – in Berlin gibt es keine eigene Kneipe. Wo sonst über Straßensanierung, Feuerwehrfeste oder Schulbusverbindungen beraten wird, ging es diesmal um das ganz große Geschäft. Das Angebot der Berliner an ihre Partner aus der Provinz: vier kostenlose Berlin-Domains sowie die Neugestaltung der ortseigenen Internetpräsenz, auf der auch Berliner Landurlaub zwischen Kühen und Traktoren gebucht werden kann.

Am Ende des langen Abends fuhr „dotBerlin“-Chef Dirk Krischenowski ohne unterschriebenen Vertrag von Berlin zurück nach Berlin. Bürgermeister, Gemeindevertreter und Fachanwalt hatten einstimmig abgewunken und Nachbesserungen am Vertragswerk gefordert. „Wir müssen über Geld reden – um Millionenbeträge geht es dabei aber ganz sicher nicht“, versichert Horst Schramm. Über Details wurde Stillschweigen vereinbart.

Mitte Juni treffen sich die Internetexperten aus der Hauptstadt und die Kommunalpolitiker aus dem Dorf erneut vor den Toren von Berlin im Gasthaus des Bürgermeisters. „Wenn die Details unseren Wünschen entsprechen und unser Jurist grünes Licht gibt, werden wir den Entwurf in die Fraktionen geben und bei der nächsten Sitzung der Gemeindevertretung am 19. Juni eine Entscheidung fällen“, sagt Horst Schramm. Dem Projekt stehe das Dorf sehr aufgeschlossen gegenüber. Denn irgendwo sind sie doch alle Berliner.

Sebastian Wieschowski

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