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Volkswagens US-Chef Michael Horn vor einem Ausschuss des amerikanischen Parlaments in Washington.

© AFP

Update

Abgas-Skandal bei Volkswagen: US-Chef: Wusste erst seit September von Manipulations-Software

Bei VW hat es am Donnerstag in der Konzernzentrale und andernorts Razzien gegeben. In Washington äußert sich Volkswagens US-Chef vor einem Parlamentsausschuss.

"Ich bin kein Ingenieur", ist der Satz, den Michael Horn am Donnerstag im US-Kongress am häufigsten sagt. Von den "Defeat Devices" habe er vor Anfang September nichts gewusst. "Meines Wissens nicht", hören die Mitglieder des Ausschusses für Energie und Handel fast genauso oft. Der US-Volkswagenchef gibt am Donnerstag den Eindruck, dass in der amerikanischen Filiale nur von Wolfsburg ferngesteuerte Mitarbeiter sitzen, die von den Autos, die sie verkaufen, im Grunde nichts verstehen. Ihm Gegenüber sitzen wütende US-Parlamentarier. Gleich zu Beginn bekennen mehrere, ein VW sei ihr erstes eigenes Auto gewesen. Sie fühlen sich persönlich betrogen.

Auf die Frage, ob im Frühjahr 2014, als die erste Studie über die abweichenden Werte publiziert wurde, bei VW-Amerika irgendjemand von den "Defeat Devices" wusste, sagte Horn: "Meines Wissens nicht." "Ich hatte keinen Anlass anzunehmen, dass ein 'Defeat Device' in unseren Autos sein könnte. Technisch sei die Frage damals nach Wolfsburg gegangen. Erst kurz vor einem Treffen mit Vertretern der US-Umweltbehörde EPA am 3. September sei er über die Installation der „Defeat Device“ genannten Software zum Austricksen der Emissionstests informiert worden.

Horn sagte, es sei noch nicht abzusehen, wann die in den USA verkauften Autos umgerüstet sein könnten. "Es wird mindestens ein bis zwei Jahre dauern", sagte Horn, der mehrfach darauf verwies, kein Ingenieur zu sein. Für Freitag kündigte er einen ersten Plan zum Umgang mit den Problemen von VW-Händlern und Kunden an. Schon jetzt gebe man den Händlern die maximalen Boni.

Ein Frage des demokratischen Abgeordneten Peter Welch illustriert die Stimmung in Bezug auf VW in den Vereinigten Staaten. "Wie können Sie sich als Mitglied der menschlichen Rasse fühlen?", fragte Welch den US-VW-Chef, wie er denn nachts überhaupt schlafen könne. Horn versicherte: "Ich schlafe nachts nicht." Auf die Frage, ob in den höheren Rängen in Wolfsburg wirklich kein Wissen über die Betrugssoftware vorhanden war, sagte Horn: "Ich stimme Ihnen zu, dass das schwer zu glauben ist. Ich persönlich kämpfe damit." Zu Beginn der Anhörung indes hatte die demokratische Abgeordnete Jan Schakowsky zu allem was Horn aussagen werde, schon konstatiert: "Ich glaube kein Wort."

Horn, der zu Beginn der Anhörung unter Eid genommen wurde, musste auch beantworten, ob er schwören könne, beim Zahlen der Strafgelder und Entschädigungen keine Steuerschlupflöcher zu nutzen. Den Schwur leistete Horn nicht. Er müsse sich erst einmal ansehen, von welchen Steuerschlupflöchern die Rede sei. Aber er verspreche, dass die Kosten "nicht zu Lasten der amerikanischen Steuerzahler" gehen sollen. Die Sitzung wird am Nachmittag (Ortszeit) fortgesetzt.

Razzia bei VW in Wolfsburg

Zuvor hatte es am Donnerstag eine Razzia bei Volkswagen gegeben. Am Vormittag seien in Wolfsburg und an anderen Orten Durchsuchungen durchgeführt worden, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Neben drei Staatsanwälten seien rund 50 Einsatzkräfte des Landeskriminalamtes im Einsatz gewesen. Bei den unangekündigt durchsuchten Gebäuden handle es sich sowohl um Geschäftsgebäude des Volkswagen-Konzerns als auch um Privatgebäude sowie Wohnungen von VW-Mitarbeitern. Details würden aus ermittlungstaktischen Gründen derzeit nicht mitgeteilt.

Ziel der Durchsuchungen sei es, Unterlagen und Datenträger sicherzustellen, die mit Blick auf „in Betracht kommende Straftatbestände“ Auskunft über die genaue Vorgehensweise der an der Manipulation der Abgaswerte von Dieselfahrzeugen beteiligten Firmenmitarbeiter und deren Identität geben könnten, teilte die Staatsanwaltschaft weiter mit.

„Wir werden die Staatsanwaltschaft bei der Ermittlung des Sachverhaltes und der verantwortlichen Personen nach besten Kräften unterstützen“, sagte ein VW-Konzernsprecher. Im VW-Stammwerk in Wolfsburg sei den Ermittlern eine umfassende Dokumentensammlung übergeben worden.

Bundesregierung prüft Kurzarbeiterregelung für Leiharbeiter

Wegen der Abgas-Krise bei Volkswagen prüft die Bundesregierung zudem die Ausweitung der Kurzarbeiterregelung auch auf Leiharbeiter. „Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles bereitet gerade Vorschläge vor“, sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (beide SPD) am Donnerstag in Wolfsburg nach einem Treffen mit dem Weltkonzernbetriebsrat.

Die VW-Konzernzentrale wird gerade äußerlich renoviert. Doch auch im Konzern muss einiges umgekrempelt werden.
Die VW-Konzernzentrale wird gerade äußerlich renoviert. Doch auch im Konzern muss einiges umgekrempelt werden.

© John MacDougall/AFP

Ziel der Politik und des Konzerns müsse die Beschäftigungssicherung sein. „Jetzt in erster Situation werden die Leiharbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen sein.“

In Krisensituationen sind Leiharbeiter in anderen Fällen bislang immer die ersten gewesen, die ihren Job verloren haben. Der Schutz durch die Kurzarbeit-Regeln galt meist nur für die Stammbeschäftigten. Gabriel betonte, am Ende dürfe es nicht dazu kommen, „dass die Beschäftigten, die Arbeitnehmer, den Preis zahlen sollen, dafür dass es massives und strafbares Verhalten der Manager gegeben hat“. Es gehe auch darum, die Ehre der Arbeitnehmer zu verteidigen. „Ich kann nur dazu raten, sehr schnell zu sein mit dem Aufklärungsprozess.“

Sigmar Gabriel fordert mehr Transparenz bei der Aufklärung

Zudem forderte Gabriel hat mehr Transparenz bei der Aufklärung der weltweiten Abgas-Affäre von Volkswagen gefordert. „Ich teile die Auffassung der Arbeitnehmervertreter, der Betriebsräte und der IG Metall, dass es ein offensives Vorgehen des Konzerns geben muss. Nicht erst auf Nachfrage“, sagte der SPD-Politiker. „Klar ist, dass das Unternehmen aufklären muss. Je offensiver es das tut, desto besser wird es werden. Je defensiver, desto schwieriger“, betonte Gabriel. Er habe den Eindruck, dass der Aufsichtsrat und der neue Vorstand dies auch bereits wüssten.

Minister nimmt Automobilindustrie in Schutz

Gabriel warnte außerdem. „Es wird in Deutschland aber auch darum gehen, dass wir aufpassen, dass wir nicht übers Ziel hinausschießen.“ Es dürfe nicht darum gehen, eine Debatte über die gesamte Automobilindustrie oder über den Diesel zu führen. „Es hängen über 70 000 Arbeitsplätze an der modernen Dieseltechnologie“, sagte Gabriel. „Ich kann nur dazu raten, jetzt nicht eine allgemeine Debatte über die Autoindustrie in Deutschland zu führen.“ Beim aktuellen Skandal gehe es „um ein spezielles Produkt, ein strafwürdiges Verhalten von einem Unternehmen. Das ist schlimm genug, aber man muss aufpassen, nicht die ganze Industrie in Deutschland oder gar Europa zu schädigen.“ (mit dpa)

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