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Greift an: Der frühere VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piech

© dpa/Marcus Brandt

Abgasskandal bei Volkswagen: Ferdinand Piëch ist ganz der Alte

Der einst mächtigste Mann bei VW sorgt für neue Aufregung. Ferdinand Piëchs Vorwürfe im Diesel-Skandal sind auch ein Angriff auf Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil.

Es wird keine Feier geben am 17. April in Wolfsburg, wenn der große Alte 80 wird. Vermutlich sitzt Ferdinand Piëch zum Geburtstag grantelnd in Salzburg und sinniert über das Leben. Sein Lebenswerk heißt Volkswagen. Erst bei der VW-Tochter Audi und dann mehr als zwei Jahrzehnte in der Konzernzentrale am Mittellandkanal in Wolfsburg hat der Ingenieur das Unternehmen geprägt. Und Angst und Schrecken verbreitet. Der Patriarch und sein Lieblingsschüler Martin Winterkorn kauften einen Riesenkonzern mit heute zwölf Pkw-, Lkw- und Motorradmarken zusammen, der so viele Fahrzeuge baut wie kein anderes Unternehmen auf der Welt.

Nach längerer Abwesenheit hat sich Piëch nun zurückgemeldet. Mit wüsten Vorwürfen gegen amtierende und ehemalige VW-Aufsichtsräte sorgt er in der Diesel-Affäre für neue Aufregung. Nicht nur Winterkorn habe früher als behauptet vom millionenfachen Abgasbetrug gewusst, soll Piëch der Staatsanwaltschaft Braunschweig gesagt haben. Auch vier Aufsichtsräte – darunter der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) – seien Monate vor Bekanntwerden des Skandals im Bilde gewesen. Die Beschuldigten wiesen dies umgehend scharf zurück. Doch wer sagt die Wahrheit? Was treibt den bald 80-jährigen Piëch zu solchen Anschuldigungen?

Die Attacke, die für Piëch nach hinten los ging

„Ein ganz schwieriger Mensch“, sagt ein langjähriger VW-Aufsichtsrat über Piëch. Wenn das mal keine Untertreibung ist. Mit speziellen Äußerungen, meist – wie auch jetzt – über Medien verbreitet, hat er oft Politik gemacht, Karrieren zerstört und Machtkämpfe entschieden. Zum Beispiel vor mehr als zehn Jahren, als er einem Journalisten beiläufig die Einschätzung gab, als Vorstandschef von VW könne man nicht gegen die Arbeitnehmer agieren. Das eher lapidare Sätzchen bedeutete das Ende von Bernd Pischetsrieder, der dann durch Winterkorn ersetzt wurde. Pischetsrieder hatte versucht, gemeinsam mit dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff und Porsche-Chef Wendelin Wiedeking Piëch aus dem VW-Aufsichtsrat zu entfernen. Pischetsrieder überlebte das Manöver nicht und Wiedeking war ein paar Jahre später fällig.

Mit Winterkorn ging es lange gut. Bis zum Herbst 2013. Damals spielte der mit ein paar Vertrauten ein Szenario durch für den Fall, dass der Aufsichtsratsvorsitzende Piëch ausfiel. Wiko, so der Spitzname des Vorstandschefs, sollte an die Spitze des Kontrollgremiums rücken und Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch Vorstandsvorsitzender werden. Der Alte war sauer und ging mit allen Mitteln gegen Berichte und Gerüchte über seinen Gesundheitszustand vor.

Die Familie ist heillos zerstritten

Anderthalb Jahre später dann wieder die Attacke über die Medien: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, sagte Piëch Anfang 2015 dem „Spiegel“ und brachte den Konzern damit in heftige Turbulenzen. Als dann bekannt wurde, dass er sich – ohne Rücksprache mit anderen Anteilseignern – schon auf die Suche nach einem Winterkorn-Nachfolger gemacht hatte, unter anderem soll er den damaligen Porsche-Chef Matthias Müller gefragt haben, war das Maß voll. Die Familie Porsche, neben den Piëchs Großaktionär von VW, Stephan Weil als Vertreter des Aktionärs Niedersachsen und die Arbeitnehmer mit Ex-IG-Metall-Chef Berthold Huber und VW-Betriebsratsboss Bernd Osterloh an der Spitze, stellen sich vor Winterkorn – und gegen Piëch. Der Alte hatte überreizt und legte sein Aufsichtsratsmandat nieder; ebenso Piëchs Gattin Ursula. Was für ein Zufall: Angeblich belastet Piëch jetzt neben Winterkorn ausgerechnet Osterloh, Huber, Weil und Wolfgang Porsche. Seinen Vetter.

Die Herrschaften sind sich in der Familie in herzlicher Abneigung verbunden. Mancher im Aufsichtsrat, der über die Jahre mit den Milliardären zu tun hatte, spricht sogar von Hass. Und für Piëch ist kaum erträglich, wenn er „sein“ Unternehmen nun in der Hand seines Cousins „Wolfi“ sieht, den er für unfähig hält.

"Ich hatte die Hoffnung, dass Herr Piëch sich besinnt"

Stephan Weil wies Piëchs Vorwürfe am Donnerstag in Hannover erneut als unwahr zurück. Sie seien „nicht bewiesen und nicht beweisbar“, sagte Weil. Über die Motive Piëchs könne er nur spekulieren. Piëch sei 2015 im Streit zurückgetreten. „Möglicherweise besteht da ein Zusammenhang.“ Schon seit einigen Monaten, sagt der Ministerpräsident, seien ihm Piëchs Vorwürfe bekannt. Die US-Kanzlei Jones Day, die den Dieselskandal im VW-Auftrag aufklären soll, habe die Aussagen geprüft und als unglaubwürdig bewertet.

„Tatsächlich hat es im Frühjahr 2015 von keiner Seite Hinweise an mich gegeben“, sagte Weil zu dem Vorwurf, er habe frühzeitig von Abgasmanipulationen erfahren. Doch warum informierte er nicht die Öffentlichkeit über Piëchs angebliche Aussage? „Ich hatte die Hoffnung, dass Herr Piëch sich besinnt“, sagte der SPD- Politiker. „Da haben wir uns leider geirrt.“ Die nun laufende Diskussion sei für alle „schädlich“.

„Hätte uns Dr. Piëch in Kenntnis gesetzt, dann hätten wir das Unternehmen und die Belegschaften vielleicht vor großem Schaden bewahren können“, reagierten Osterloh und Huber auf die angeblichen Äußerungen Piëchs, wonach auch sie bereits im Februar 2015 von diesem über Dieselgate informiert worden seien. „Jetzt erwarten wir, dass der Vorstand umgehend prüft, ob er gegen Piëch vorgehen muss.“ Wenn der damalige Aufsichtsratschef Piëch vom Skandal gewusst hätte, wie er behauptet, dann wäre er qua Amt verpflichtet gewesen, etwas zu unternehmen. „Der hat doch nie mit den Leuten gesprochen“, heißt es im Konzern. „Und jetzt schaufelt er sich sein eigenes Grab.“

VW wird womöglich Piëch verklagen

Nicht nur der VW-Vorstand prüft nun „mögliche Maßnahmen und Ansprüche“ gegen Piëch. Auch der Aufsichtsrat selbst wird womöglich aktiv und Anzeige erstatten. „Da kann man sich die ganze juristische Bandbreite vorstellen“, hieß es am Donnerstag aus dem Gremium. Die Forderung nach Schadenersatz, eine Strafanzeige wegen Verleumdung – „jetzt wird keine Rücksicht mehr genommen“, sagte ein Insider dem Tagesspiegel. „Piëchs Aussage kann man nicht so stehen lassen, wir werden jetzt dagegenhalten.“

Ob Piëch tatsächlich im Dezember 2016 bei der Justiz aussagte und die Mitglieder des Präsidialausschusses des VW-Aufsichtsrats belastete, ist unklar. Der zuständige Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe war am Donnerstag nicht zu erreichen.

Die Rolle des israelischen Geheimdienstes

Die Abgas-Affäre bekommt derweil weitere politische Dimensionen. Grüne und Linke forderten, Piëch vor den Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages zu laden. Ministerpräsident Weil wird dort am kommenden Donnerstag vernommen. Spekuliert wird außerdem, dass der israelische Inlandsgeheimdienst Schin Bet eine Rolle in der Diesel-Affäre gespielt haben soll. Das berichteten „Spiegel Online“ und die „Wirtschaftswoche“. So soll der Dienst ein Schreiben besessen haben, aus dem hervorging, dass US-Behörden Martin Winterkorn frühzeitig über Betrügereien bei Abgaswerten informierten. Dieses Schreiben habe der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, Ende Februar 2015 Piëch gezeigt. Primor habe damals den ehemaligen Schin-Bet-Chef Juval Diskin bei sich gehabt. Primor sagte der „Wirtschaftswoche“, er sei mit Diskin befreundet und habe diesem einen Gefallen getan. Man sei bei verschiedenen deutschen Unternehmen gewesen, unter anderem bei VW. Zum Abgasskandal wollte sich der Ex-Botschafter nicht äußern: „Zu allem, was mit dem VW-Skandal zu tun hat, sage ich nichts. Gar nichts.“

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